Interview mit BKA-Chef Jörg Ziercke "Terrorismus im digitalen Zeitalter wirksam bekämpfen"
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist der Weg frei für Online-Durchsuchungen. Doch die Verfassungshüter haben hohe Hürden für das Ausspähen der Computer gesetzt. Was bedeutet das für die Ermittler? Darüber sprach tagesschau.de mit dem Präsidenten des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke.
tagesschau.de: Sie haben sich vehement für Online-Durchsuchungen eingesetzt. Ist das Urteil für Sie ein Schritt nach vorne oder ein Rückschritt?
Jörg Ziercke: Das ist ein Schritt nach vorne. Ich halte diese Entscheidung für eine wichtige Weichenstellung. Sie bietet die Möglichkeit, den internationalen Terrorismus und die organisierte Kriminalität im digitalen Zeitalter wirksam zu bekämpfen. Darüber hinaus ermöglicht sie den Strafverfolgungsbehörden eine angemessene Reaktion auf das weltweit veränderte Kommunikationsverhalten von Schwerstkriminellen - das hat das Bundesverfassungsgericht als notwendig anerkannt. Die Sicherheitsbehörden müssen auf den technologischen Fortschritt reagieren.
Die Entscheidung macht aber auch deutlich, dass Freiheit und Sicherheit keine Gegensätze sind, sondern dass sie in einem ständigen Prozess ausbalanciert werden müssen. Für die Sicherheitsbehörden nehme ich die Botschaft mit, dass sorgfältig zu prüfen ist, ob eine Online-Durchsuchung erforderlich und verhältnismäßig ist. Sie ist nur als "ultima ratio" einzusetzen. Wir haben aber auch nichts anderes gefordert.
Einschränkungen sind "erforderlich"
tagesschau.de: Das Verfassungsgericht hat aber Hürden für Online-Durchsuchungen gesetzt – wie etwa einen Richtervorbehalt. Wie sehr schränkt Sie das ein?
Ziercke: Die ganze Strafprozessordnung ist eine rechtstaatliche Beschränkung des Handelns der Sicherheitsbehörden. Ich halte das aber für erforderlich. Diese Art von Kontrolle muss ausgeübt werden - gerade wenn es um den Eingriff in bedeutsame Rechtsgüter geht. Es ist völlig üblich, dass die Polizei den Staatsanwalt bittet, über einen Richter eine Entscheidung herbeizuführen. Wir sind nur diejenigen, die einen Vorschlag machen, und dann muss der Richter prüfen, ob dieser mit der Strafprozessordnung und mit dem Grundgesetz im Einklang steht. Für das Gefahrenabwehrrecht gilt dasselbe. Eine Online-Durchsuchung dürfte auch dort nur durch richterliche Anordnung vorgenommen werden.
tagesschau.de: Karlsruhe verlangt auch, dass Sie nicht hinschauen, wenn bei einer Online-Durchsuchung auf einmal Details aus dem Kernbereich privater Lebensführung auftauchen. Ist das in der Praxis machbar?
Ziercke: Das Bundesverfassungsgericht spricht hier von einem zweistufigen Schutzverfahren. Das heißt letztlich: Wir müssen von vorneherein technisch in der Lage sein, Eingriffe in den Kernbereich soweit möglich zu vermeiden. Für den Fall, dass dies nicht gelingt, müssen die Verfahrensvorschriften so formuliert werden, dass bei der Auswertung Löschungsregeln und Verwertungsverbote dem Gedanken des Kernbereichschutzes Rechnung tragen. Das ist für mich eine Fortentwicklung dessen, was das Bundesverfassungsgericht zur Wohnraumüberwachung formuliert hat - da hatten die Strafverfolgungsbehörden ja bekanntermaßen große praktische Probleme.
"Wir machen keine Schleppnetzfahndung"
tagesschau.de: Sie haben einmal gesagt, dass Sie mit 10 bis 15 Durchsuchungen pro Jahr rechnen - gilt das weiterhin?
Ziercke: Das gilt weiterhin. Wir machen ja keine Schleppnetzfahndung. Wir müssen das Umfeld analysieren, wir müssen die Person genau kennen, auf die eine Online-Durchsuchung ausgerichtet wird, wir müssen die Technik kennen. Das bedeutet, dass wir Zeit brauchen, dass der Aufwand sehr groß und deshalb die Annahme von 10 bis 15 Maßnahmen pro Jahr realistisch ist.
tagesschau.de: Das Verhalten der im vergangenen Jahr festgesetzten Terrorgruppe um die Deutschen Fritz G. und Daniel S. hat gezeigt, dass sich radikale Islamisten auf mögliche Online-Durchsuchungen einstellen und dann Internet-Cafes aufsuchen oder gar nicht mehr über das Internet kommunizieren. Ist die Online-Durchsuchung da nicht ein Mittel von gestern?
Ziercke: Das glaube ich nicht. Wir haben es in diesem Fall mit einem Netzwerk von 30 bis 40 Personen zu tun, die untereinander kommunizieren. Für uns geht es darum, den Einstieg in ein solches Netzwerk zu finden, um dann die E-Mail-Kommunikation oder das, was abgespeichert wurde, abfangen zu können. Diese Bezüge ermöglichen uns den Einstieg in weitere Ermittlungen. Wir können aber auch zu der Erkenntnis kommen, dass in einem Einzelfall eine Online-Durchsuchung nicht das geeignete Mittel ist – das kann uns aber auch heute schon bei einer Observation oder Telefonüberwachungsmaßnahme passieren. Wenn jemand nicht telefoniert, können wir auch nicht mithören.
Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de