Urteil in München Zehn Jahre Haft für IS-Rückkehrerin Jennifer W.
Jennifer W. schloss sich 2014 dem IS im Irak an. Während ihrer Zeit bei der Terrormiliz soll sie zugelassen haben, dass ein fünfjähriges Mädchen angekettet verdurstete. Nun wurde sie in München zu zehn Jahren Haft verurteilt.
Rund zweieinhalb Jahre nach dem Auftakt des Prozesses ist gegen die IS-Rückkehrerin Jennifer W. das Urteil gefallen. Sie muss für zehn Jahre ins Gefängnis.
Das Oberlandesgericht München sprach die Frau aus Lohne in Niedersachsen wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, wegen Beihilfe zum versuchten Mord sowie zum versuchten Kriegsverbrechen und wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit schuldig.
Die Staatsanwaltschaft hatte lebenslange Haft für Jennifer W. gefordert. Ihre Verteidigung hingegen nur eine zweijährige Gefängnisstrafe.
Fünfjährige im Hof angekettet
Jennifer W. war im Jahr 2014 in den Irak ausgereist, um sich dort der Terrormiliz "Islamischer Staat" anzuschließen und einen der Kämpfer der Organisation zu heiraten. Sie hätten ideologische Gründe zu dieser Entscheidung bewegt, hieß es von der Beschuldigten selbst.
Dem Richterspruch zufolge hielt sich das Paar eine Jesidin als Sklavin. Die Frau hatte eine Tochter. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass das Kind 2015 ums Leben kam - durch das Verschulden von Jennifer W. und ihres Mannes. Der Mann soll das damals fünf Jahre alte Mädchen in einem Hof in der prallen Sonne angekettet haben - wohl als Strafe, weil das Kind eingenässt hatte. Das Mädchen sei der Situation "wehrlos und hilflos ausgesetzt" gewesen, hieß es in der Urteilsbegründung der Richter.
Jennifer W. unternahm dem Urteilsspruch zufolge nichts, um dem Kind zu helfen, obwohl es ihr "möglich und zumutbar" gewesen sei. Im Gegenteil habe sie dem Mädchen noch gedroht, es zu erschießen, wenn es nicht aufhöre zu weinen. Das Kind verdurstete. Jennifer W. habe "von Anfang an damit rechnen müssen, dass das in der Sonnenhitze gefesselte Kind sich in Lebensgefahr befand", sagten die Richter weiter.
Versuchter Mord statt vollendeter Mord
Dass Jennifer W. nur wegen Beihilfe zum versuchten Mord und nicht wegen Beihilfe zum Mord verurteilt wurde, erklärt ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam mit der Einschätzung des Gutachters in dem Fall: Dieser habe nicht sicher feststellen können, ob das Kind objektiv noch zu retten gewesen wäre, als die Angeklagte die Lebensgefahr erkannte. In so einer Situation müsse das Gericht zugunsten einer Angeklagten annehmen, dass das Kind schon verloren war. Beihilfe zum vollendeten Mord scheide damit aus.
Aber das Gericht sagt auch: Aus ihrer eigenen, subjektiven Sicht glaubte die Frau, dass das Kind noch zu retten war. Das führt laut ARD-Rechtsexperte Bräutigam zur Verurteilung wegen "Versuchs". Denn dafür sei allein die Sicht der Angeklagten entscheidend (§ 22 Strafgesetzbuch).
Mutter des toten Mädchens trat als Nebenklägerin auf
Die Mutter des Kindes, die laut Urteil während ihrer Gefangenschaft misshandelt und geschlagen wurde, war in dem Prozess als Nebenklägerin aufgetreten. Ihren Fall hatte die Menschenrechtsanwältin Amal Clooney übernommen, die Ehefrau des Hollywood-Schauspielers George Clooney.
Das Gericht entschied, dass die Beschuldigte mit ihrer IS-Mitgliedschaft die "Vernichtung der jesidischen Religion" und die "Versklavung des jesidischen Volkes" unterstützt habe. Laut der jesidischen Organisation Yazda war der Münchner Prozess zum Zeitpunkt seines Auftaktes die weltweit erste Anklage wegen Straftaten von IS-Mitgliedern gegen die religiöse Minderheit der Jesiden.
Auch früherer Ehemann steht vor Gericht
Jennifer W. kehrte 2015 nach Deutschland zurück und schloss sich hier der salafistisch-dschihadistischen Szene an. Festgenommen wurde sie im Jahr 2018, im folgenden Jahr begann der Prozess gegen sie. Ihr Ex-Mann muss sich in Frankfurt ebenfalls vor dem Oberlandesgericht unter anderem wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten.