Jahresbilanz 2010 - Die Grünen Eine Partei im Höhenflug
Seit Monaten befinden sich die Grünen im Aufwind. Ihre Umfragewerte verdoppelten sich auf mehr als 20 Prozent. Da kann die Jahresbilanz nur positiv ausfallen. Für Parteichef Özdemir ist das trotzdem kein Grund abzuheben. Er gibt sich bescheiden - und kämpferisch.
Von Mark Kleber, SWR, ARD-Hauptstadtstudio
So was gibt es sonst nur im Märchen: Die Umfrageergebnisse der Grünen haben Ähnlichkeit mit fliegenden Teppichen: "Ich habe meine Vorfahren aus dem Orient. Insofern kenne ich mich mit fliegenden Teppichen gut aus, und ich kann euch sagen, man schafft's auf dem Teppich zu bleiben", sagt Grünen-Chef Cem Özdemir beim Bundesparteitag in Freiburg im November 2010.
Nach der Bundestagswahl hätte sich wohl kein Grüner einen solchen Höhenflug träumen lassen. Im Herbst 2009 hatte sich Parteichefin Claudia Roth noch damit angefreundet, zur kleinsten Fraktion im Parlament zu gehören: "Opposition können wir." Und dann das. Von 10,7 Prozent rauf auf das Doppelte.
Grüne profitieren vom Tief der anderen
Die Grünen als Fast-Volkspartei - so gut lief es für sie in diesem Jahr vor allem, weil es für die anderen erst mal schlecht lief. SPD und Linkspartei waren mit sich selbst beschäftigt, und die Koalition legte den vermutlich längsten Fehlstart der Welt hin. Da fiel es Grünen-Fraktionschefin Künast leicht, mal ganz schwer zuzulangen: "Die Regierung hat keine Werte, keine Ziele, keinen Plan und auch keinen Mumm. Sie können es nicht."
Die Wahl in Nordrhein-Westfalen brachte den Grünen weiteren Aufwind. Doch so richtig nach oben schnellten die Umfragewerte erst, als die Koalition ernst machte mit ihrer Atompolitik. Plötzlich leuchtete über den Grünen wieder die rote Sonne der Anti-Atomkraftbewegung. Die alten Lager waren wieder da - und die Grünen beim Widerstand ganz vorne mit dabei: "Wenn der Bundesregierung die Sicherheit der Menschen etwas wert wäre, dann würde sie die Atomkraftwerke so schnell wie möglich abschalten und nicht noch mehr Tausende Tonnen schwer verstrahlten Müll produzieren", so Roth.
Grüne geben sich selbstbewusst und bescheiden
Und dann gab es noch viel Aufregung um "Stuttgart 21". "Der Stopp ist schwierig, aber er ist notwendig und erfordert Mut. Und den bringen wir mit", sagt der Spitzenkandidat der Grünen in Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann.
Aber was tun mit so viel Erfolg? Die Grünen reagieren mit größtmöglicher Bescheidenheit bei gleichzeitigem Selbstbewusstsein - auch gegenüber der SPD, deren Chef die Grünen als Latte-Macchiato-Partei verspottet. "Da kann ich nur sagen, Filterkaffe ist auch keine Lösung, lieber Sigmar Gabriel", kontert Özdemir.
"Die Grünen sind die Dagegen-Partei"
Union und FDP schießen sich auf die Grünen als Hauptgegner ein: "Die Grünen sind die Dagegen-Partei", ätzt FDP-Wirtschaftsminister Brüderle. Und Kanzlerin Merkel lästert: "Wenn es so weiter geht, werden die Grünen für Weihnachten sein, aber gegen die davor geschaltete Adventszeit."
Was die Grünen auf ihrem Bundesparteitag zurückweisen. Doch dann stimmen sie gegen Münchens Olympiabewerbung, und auf dem Höhenflug gibt es noch andere Luftlöcher. In Hamburg bricht die schwarz-grüne Koalition auseinander. Und auch das Schlichtungsergebnis für "Stuttgart 21" macht den Grünen keine Freude.
In den Umfragen legen sie jetzt nicht mehr weiter zu, aber immerhin: Sie bleiben bei über 20 Prozent. Vielleicht also könnte ein Märchen wahr werden: ein grüner Ministerpräsident in Baden-Württemberg. Für den Grünen-Chef ist da jedenfalls noch viel Musik drin: "Rocken wir die Republik 2011", gibt sich Özdemir kämpferisch.