Gutachten von Sachverständigen Oury Jalloh - war es doch Mord?
2005 wurde der Asylbewerber Oury Jalloh in einer Polizeizelle verbrannt aufgefunden. Neue Ermittlungsakten, die dem ARD-Magazin Monitor vorliegen, zeigen: Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurde er getötet.
Es ist eine überraschende Wende in einem Fall, der die Ermittlungsbehörden 12 Jahre lang beschäftigt hat. Am 7. Januar 2005 wurde der damals 36-jährige Oury Jalloh in einer Polizeizelle des Dessauers Polizeireviers tot aufgefunden, er war verbrannt. Eingeliefert worden war der Asylbewerber aus Sierra Leone, weil er zuvor in stark alkoholisiertem Zustand Frauen belästigt haben soll. Die Polizeibeamten durchsuchten ihn und steckten ihn in eine Ausnüchterungszelle. Dabei wurde er an Händen und Füßen auf einer Matratze gefesselt. Wie danach das Feuer in der Zelle entstanden war, in dem er verbrannte, blieb all die Jahre ungeklärt.
Oury Jalloh verbrannte 2005 in einer Dessauer Polizeizelle.
Die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau, die 12 Jahre für die Ermittlungen zuständig war, ging stets davon aus, dass Oury Jalloh den Brand in der Zelle selbst gelegt habe. Nach den Monitor vorliegenden Unterlagen hat der leitende Oberstaatsanwalt Folker Bittmann diese Einschätzung angesichts neuer Expertisen inzwischen widerrufen.
Fremdeinwirkung wahrscheinlicher als Selbstanzündung
Mehrere Sachverständige aus den Bereichen Brandschutz, Medizin und Chemie kommen laut der Akten mehrheitlich zu dem Schluss, dass ein Tod durch Fremdeinwirkung wahrscheinlicher sei als die lange von den Ermittlungsbehörden verfolgte These einer Selbstanzündung durch den Mann aus Sierra Leone. Die Gutachten und Brandversuche hatten sich zum ersten Mal detailliert mit der Frage nach dem Ausbruch des Feuers in der Arrestzelle beschäftigt.
Die Experten hatten in ihren Stellungnahmen ausgeführt, dass der Brand höchstwahrscheinlich von dritter Hand gelegt worden sei. Der Zustand der Zelle und des Leichnams Jallohs nach dem Brand lasse sich am ehesten durch den Einsatz geringer Mengen von Brandbeschleuniger wie etwa Leichtbenzin erklären. Zudem sei die Theorie der Selbstanzündung so gut wie auszuschließen: Oury Jalloh sei vermutlich bei Brandbeginn komplett handlungsunfähig oder sogar bereits tot gewesen, sodass die Annahme, er habe das Feuer selbst gelegt, nicht stichhaltig sein könne.
Verdacht: Tötung oder Mord
All das fasst der leitende Oberstaatsanwalt Folker Bittmann in einem Monitor vorliegenden Schreiben vom April dieses Jahres zusammen und begründet damit den Verdacht eines Tötungsdelikts bis hin zum Mord. Bittmann hält es demnach für wahrscheinlich, dass Oury Jalloh bereits vor Ausbruch des Feuers mindestens handlungsunfähig oder sogar schon tot war und mit Brandbeschleuniger besprüht und angezündet worden sei. Er benennt in dem Brief sogar konkrete Verdächtige aus den Reihen der Dessauer Polizeibeamten. Als mögliches Motiv für die Tat nennt er die Vertuschung einer anderen Straftat gegenüber dem Asylbewerber.
Werden Ermittlungen eingestellt?
Angesichts dieser neuen Einschätzungen wurde der Generalbundesanwalt hinzugezogen. Dieser lehnte die Annahme des Falles jedoch ab und verwies ihn wieder nach Sachsen-Anhalt. Der Generalstaatsanwalt dort gab die Ermittlungen allerdings nicht nach Dessau zurück, sondern beauftragte wiederum nun die Staatsanwaltschaft Halle mit der Weiterverfolgung des Falles. Die Staatsanwaltschaft Halle will die Ermittlungen laut einer Erklärung vom 12. Oktober 2017 einstellen, weil sich "keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Beteiligung Dritter an der Brandlegung" ergeben hätten. Eine weitere Aufklärung sei nicht zu erwarten.
Die Anwältin der Familie hat gegen die Einstellung Beschwerde eingelegt und wird im Licht der neuen Erkenntnisse Strafanzeige erstatten. "Angesichts der neuen Erkenntnisse ist die drohende Einstellung des Verfahrens ein Skandal", so die Anwältin der Familie Jalloh, Gabriele Heinecke, gegenüber Monitor. Sie nannte das Verhalten der Staatsanwaltschaft "vollständig unverständlich".
Linke fordert Sonderermittler
Die Wende im Fall Oury Jalloh könnte auch politische Folgen haben. Bereits bei einer Anhörung des Rechtsausschusses im Magdeburger Landtag am vergangenen Freitag, dem 10. November, war bekannt geworden, dass die ehemaligen Ermittler aus Dessau den Fall Jalloh mittlerweile neu bewerten, die federführenden Kollegen aus Halle aber auf Einstellung des Verfahrens beharren. Die Linken forderten daraufhin Einsicht in die Akten, aber die Regierungskoalition aus CDU, SPD und Grünen im Magdeburger Landtag lehnte das ab. Die innenpolitische Sprecherin der Partei die Linke im Landtag von Sachsen-Anhalt, Henriette Quade, fordert nun einen Sonderermittler wie etwa im Fall des NSU - auch aus Misstrauen gegenüber den Landesbehörden. "Er sollte von außerhalb von Sachsen-Anhalt kommen", sagte sie gegenüber Monitor, "denn in Magdeburg ist von Seiten des Justizministeriums kein Aufklärungswille zu erkennen."
Die Staatsanwaltschaft Halle war am Mittwoch für eine Stellungnahme nicht mehr zu erreichen.