FAQ

Stilllegung von Braunkohlekraftwerken Was bringt die "Klimareserve"?

Stand: 04.11.2015 11:18 Uhr

Die Bundesregierung hat heute die sogenannte Klimareserve beschlossen. Die Regelung ist umstritten. Acht Braunkohlekraftwerke werden vor ihrer Stilllegung vier Jahre als Reservekraftwerke bereitgehalten. Was bringt das?

Nach dem Umschalten in den Reservemodus im Herbst 2016 sollen die Kraftwerke 2020 endgültig stillgelegt werden. Die Bundesregierung feiert die Einigung mit den Stromkonzernen als wichtigen Beitrag zur Einhaltung der Klimaschutzziele. Umweltschützer halten die Regelung für ineffektiv und zu teuer.

Welche Kraftwerke welcher Unternehmen sind betroffen?

Insgesamt geht es um acht Kraftwerksblöcke mit einer Kapazität von 2,7 Gigawatt, die in die geplante "Sicherheitsreserve" eingebracht werden.

RWE:

  • Frimmersdorf P+Q
  • Niederaußem E+F
  • Block C in Neurath

Vattenfall:

  • Blöcke E+F des Kraftwerks Jänschwalde in Brandenburg

Mitteldeutsche Braunkohlegesellschaft (Mibrag):

  • Buschhaus D bei Helmstedt

Was bringt die Vereinbarung für den Klimaschutz?

Die geplante "Braunkohlereserve" soll 11 bis 12,5 Mio. Tonnen zur Einsparung des CO2-Ausstoßes beitragen. Die Senkung des CO2-Ausstoßes um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 bis 2020 ist das erklärte klimapolitische Ziel. Um das zu erreichen, muss Deutschland zusätzlich zu den bisherigen Maßnahmen rund 22 Mio. Tonnen CO2 einsparen. Neben der Stilllegung der Braunkohlekraftwerke sollen die Einsparungen in anderen Bereichen erbracht werden, zum Beispiel durch stärkeren Einsatz von Kraft-Wärme-Koppelung, Optimierung von Heizungen und LED-Straßenlaternen.

Umweltschutz-Organisationen wie der BUND und Greenpeace kritisieren, dass der Beitrag der Kraftwerke zur CO2-Minderung zu gering sei. Zudem bezweifeln sie einen zusätzlichen Klimaeffekt, da mindestens vier der acht Braunkohleblöcke bis spätestens 2019 ohnehin hätten stillgelegt werden sollen. Im Fall Niederaußem plant RWE obendrein, die abzuschaltenden Blöcke durch ein neues Braunkohlekraftwerk zu ersetzen.

Was kostet die "Klimareserve“?

Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums erhalten die Kraftwerksbetreiber für die Quasi-Stilllegung ihrer Anlagen sieben Jahre lang rund 230 Millionen Euro pro Jahr, unterm Strich also 1,61 Mrd. Euro.

Eine interne Berechnung der Bundesregierung geht jedoch von einer möglichen Belastung aus, die mehr als doppelt so hoch ist. In dem Papier von Juni 2015, das dem WDR exklusiv vorliegt, ist unter der Rubrik "Kosten des Instruments für Stromkunden bzw. Steuerzahler" neben besagten 230 Millionen jährlich eine "einmalige + zusätzliche" Leistung von "1-2 Mrd. Euro" aufgeführt. Damit ergäbe sich eine Gesamtbelastung von 2,6 bis 3,6 Milliarden Euro.

Das Bundeswirtschaftsministerium blieb auf Anfrage bei seiner bislang veröffentlichten Kostenschätzung von 1,6 Milliarden Euro. Man könne davon ausgehen, dass frühere Kalkulationen auf der Grundlage der jetzt vorliegenden Vereinbarungen mit den Unternehmen aktualisiert worden seien.

Dem WDR liegt auch der Text der Verträge vor, die Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel mit den betroffenen Stromkonzernen ausgehandelt hat. Demnach erhalten RWE, Vattenfall und Mibrag für ihre stillstehenden Kraftwerke - abzüglich der sogenannten variablen Kosten wie zum Beispiel für die Kohle - genau so viel Geld, als würden sie normal Strom produzieren. Üblicherweise wird den Reservekraftwerken laut "Reservekraftwerksverordnung" aber nur der tatsächlich gelieferte Strom und die zusätzlichen Kosten für die Bereitschaft bezahlt, nicht aber ihre entgangenen Einnahmen.

Wird die Braunkohlereserve zur Sicherung der Stromversorgung benötigt?

Die Bundesregierung teilte auf Anfrage mit, dass die "Sicherheitsbereitschaft" auch zur Absicherung der Stromversorgung, etwa bei "extremen Wetterlagen" diene.

Laut zuständiger Bundesnetzagentur tauchen in den Bedarfsplänen bis zum Winterhalbjahr 2019/2020 die nun als Reserven vorgesehenen Braunkohlekraftwerke nicht auf. Für 2019/2020 zum Beispiel hat die Netzagentur einen Reservebedarf von 1600 Megawatt errechnet, die acht Braunkohlekraftwerke jedoch haben allein schon eine Kapazität von 2700 Megawatt. Die Bonner Behörde war nach eigener Auskunft nicht an der Ausarbeitung der Pläne und Verträge für die sogenannte "Braunkohlereserve" beteiligt.

Fachleute der Netzagentur zufolge sind Braunkohlekraftwerke wegen ihrer Trägheit als Reserve zudem völlig ungeeignet. Der Bedarf entstehe manchmal innerhalb weniger Stunden. Die geplanten Verträge hingegen gewähren RWE, Vattenfall und Mibrag eine Vorwarnzeit von zehn Tagen.

Wird die "Klimareserve" rechtlich Bestand haben?

Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages kam bereits am 23. Juli 2015 in einem Gutachten zu der Einschätzung, dass die geplante Regelung unter anderem wegen "fehlender Technologieneutralität, der fehlenden Ausschreibung sowie der Benachteiligung kohlenstoffarmer Energieträger" Probleme mit dem Beihilferecht der EU aufwirft.

Hinzu kommen möglicherweise Konflikte mit deutschen Gesetzen und Verordnungen. So heißt es in Anlage 1 des Vertragstextes wörtlich: "Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, dass das Umweltrecht und das Arbeitsrecht der Umsetzung des vorstehend beschriebenen Betriebskonzeptes nicht im Wege steht." Das könnte im Umkehrschluss bedeuten, dass derzeit durchaus Arbeitsrecht und Umweltrecht diesem Konzept im Wege stehen. Um welche Hindernisse es sich dabei genau handeln und wie diese konkret aus dem Weg geräumt werden könnten, beantwortete das Bundeswirtschaftsministerium auf Anfrage nicht. "Die Einzelheiten der Verständigung kommentieren wir nicht“, heißt es in einer schriftlichen Antwort. "Alle erforderlichen Regelungen" seien in dem geplanten Strommarktgesetz enthalten, das heute dem Kabinett vorliegt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 04. November 2015 um 12:30 Uhr.