Hintergrund zur Föderalismusdebatte Künftig nur noch sieben statt 16 Länder?
Während die Große Koalition noch um Zustimmung zur Föderalismusreform II wirbt, denken manche schon über einen nächsten Schritt nach: "16 Bundesländer, so wie wir sie jetzt haben, wird es in 10 oder 15 Jahren nicht geben können", so der Vorsitzende der Föderalismuskommission, Struck. Die Forderung, die Zahl der Länder zu verringern, ist nicht neu - ganz im Gegenteil. Sie steht seit Gründung der Bundesrepublik im Grundgesetz.
Von Holger Schwesinger, tagesschau.de
Das kleinste deutsche Bundesland - Bremen - hat gerade mal 660.000 Einwohner und hängt seit langem am Tropf des Bundes und der anderen Länder. In Nordrhein-Westfalen leben hingegen gut 18 Millionen Menschen - mehr als in den meisten EU-Staaten. Schon den Gründungsvätern der Bundesrepublik war klar, dass eine solche - von den Alliierten geerbte - Länderstruktur wenig Sinn macht, denn eigentlich sollten die einzelnen Länder ähnlich leistungsstark sein. Deshalb schrieben sie den Artikel 29 ins Grundgesetz, in dem ausdrücklich eine Neugliederung der Bundesländer gefordert wurde. 1976 wurde aus dieser Muss- eine Kann-Regelung. Ihr Ziel: Die Länder sollen "nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können".
Die meisten Länder hängen am Finanz-Tropf
Tatsächlich sind heute nur die wenigsten der 16 Bundesländer dazu aus eigener Kraft in der Lage. 2008 erhielten zwölf von ihnen finanzielle Zuweisungen im Rahmen des Länderfinanzausgleichs.
Geberländer des Finanzausgleichs sind: Baden-Württemberg, Bayern (seit 1989), Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen (bis 2007).
Ob ein Land arm oder reich ist, hängt vor allem von zwei Dingen ab: Der Sozial- und Wirtschaftsstruktur sowie der Einwohnerzahl. Strukturschwache Länder wie Mecklenburg-Vorpommern haben geringere Steuereinnahmen als solche mit starker Wirtschaft. Länder mit geringer Einwohnerzahl müssen pro Kopf überproportional viel Geld für die Verwaltung ausgeben. Experten haben ausgerechnet, dass ein Bundesland mindestens fünf Millionen Einwohner haben sollte, um effektiv wirtschaften zu können. Diese Kriterium erfüllen nur fünf Länder: Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen.
Erfolgsbeispiel Baden-Württemberg
Die logische Konsequenz wäre also, mehrere kleine Länder zu einem größeren zusammenzulegen. Dazu bedürfte es eines Bundesgesetzes, das in den betroffenen Ländern durch einen Volksentscheid bestätigt werden muss. Trotz der eindeutigen Aufforderung im Grundgesetz ist eine solche Länderfusion aber bislang nur ein Mal gelungen: 1952 mit dem Zusammenschluss von Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern zum heutigen "Musterländle" Baden-Württemberg. Diverse andere Versuche für eine Neugliederung der Länder kamen über die Vorschläge von Experten-Kommissionen nicht hinaus oder scheiterten - wie der Zusammenschluss von Berlin und Brandenburg 1996 - in der Volksabstimmung.
Starke Identifikation - selbst in den "Kunst-Ländern"
Das Votum des Volkes dürfte eines der größten Hindernisse für eine Länderneugliederung sein. Trotz allgemeiner Mobilität identifizieren sich viele Menschen erstaunlich stark mit "ihrem" Land. Das hat sich nach der Wende im Osten gezeigt, wo sich viele sehr schnell als "Sachsen" oder "Brandenburger" bezeichneten - und das, obwohl die Ostländer ebenso wie die meisten alten Bundesländer reine Kunstprodukte ohne historischen Bezug sind. "Heimatverbundene" Brandenburger, Niedersachsen oder Hessen vom Sinn einer Neugliederung zu überzeugen, dürfte eine schwere Aufgabe sein.
Politiker könnten eigenes Amt wegrationalisieren
Aber es gibt noch andere Gründe, warum es schwer ist, an bestehenden Landesgrenzen zu rütteln: Politiker, die das Projekt in Angriff nehmen, laufen Gefahr, ihr eigenes Amt wegzurationalisieren. Denn eine Neugliederung würde nur dann Sinn machen, wenn die Zahl der Länder sinkt. Damit würde sich aber auch die Zahl der Posten in Landesregierungen und Verwaltungen reduzieren. Es verwundert daher nicht, dass entsprechende Vorschläge besonders häufig aus Ländern wie Bayern oder Baden-Württemberg kommen, die für Fusionen wegen ihrer Größe nicht in Frage kommen. Ganz abgesehen davon würden Änderungen an den Grenzen der Bundesländer auch die politischen Machtverhältnisse verschieben. Und wer an der Macht ist, hat daran meist wenig Interesse.
"Das Bundesgebiet kann neu gegliedert werden, um zu gewährleisten, dass die Länder nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können. Dabei sind die landsmannschaftliche Verbundenheit, die geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit sowie die Erfordernisse der Raumordnung und der Landesplanung zu berücksichtigen."
Baden-Württemberg, Bayern und NRW ungefährdet
Theoretisch wäre nicht nur ein Zusammenschluss von Ländern möglich, man könnte die Landesgrenzen auch komplett neu ziehen. Gerade in Ballungsräumen wie dem Rhein/Main-Gebiet oder der Region Mannheim/Ludwigshafen - die heute noch von Landesgrenzen durchschnitten werden - würde das durchaus Sinn ergeben. Dass sich für eine solche Lösung Mehrheiten in den betroffenen Ländern finden, gilt aber als äußerst unwahrscheinlich. Realistisch sind also nur Zusammenschlüsse bestehender Länder. Die meisten Experten-Vorschläge dafür laufen am Ende auf sieben, acht oder neun Länder hinaus. Unangetastet bleiben dabei nur Bayern (das flächenmäßig größte Land), Baden-Württemberg (das wirtschaftlich sehr erfolgreich ist) und Nordrhein-Westfalen (das die meisten Einwohner hat). Relativ weit gediehen sind die Pläne für eine mögliche Länderfusion im Norden, wo Hamburg und Schleswig-Holstein bereits heute in vielen Bereichen eng zusammenarbeiten.
Kohl: "Werde mich in der Frage nie mehr engagieren"
Wird die Forderung, die seit Jahrzehnten im Grundgesetz steht, also doch noch umgesetzt? Politiker, die bereits mehrere Neugliederungsversuche begleitet haben, sind skeptisch. So meinte etwa Helmut Kohl Mitte der 90er-Jahre: "Ich habe in meinem politischen Leben so viele Ländergrenzen-Neugliederungsdiskussionen mitgemacht, dass ich für den Rest meines Daseins mich in dieser Frage nie mehr engagieren werde."