Parteitag der Linken Wie viel EU-Kritik darf es sein?
Scharfe Abgrenzung und unbekannte Kandidaten - für die Linke geht es auf ihrem Europa-Parteitag um eine Grundsatzfrage: Will sie linksnationalistisch oder proeuropäisch in die EU-Wahl ziehen?
Wie hältst du es mit der EU? Die Gretchenfrage der Linkspartei dürfte in Bonn harte Kontroversen auslösen, auch wenn es aus der Parteizentrale im Vorfeld fast schon entschuldigend hieß: es werde ein eher langweiliger Parteitag. Sahra Wagenknecht, die Teile der Partei stark polarisierende Fraktionsvorsitzende im Bundestag, reist krankheitsbedingt nicht an.
Die beiden zu wählenden Spitzenkandidaten für die Europawahl, Özlem Demirel und Martin Schirdewan, sind zwar weitgehend unbekannt, dafür aber ziemlich unumstritten. Im Superwahljahr mit vier Landtagswahlen und der Europawahl hat sich die Linkspartei ohnehin auf die Fahnen geschrieben, personelle Streitereien (vorübergehend) einzustellen.
Drei böse Wörter
Stattdessen will man sachlich um Inhalte ringen. Konfliktpotential gibt es durchaus: So las sich der Entwurf des Europawahlprogramms zunächst wie ein völliger Verriss von allem, was Brüssel betrifft: "Die Europäische Union braucht einen Neustart mit einer vollständigen Revision jener vertraglichen Grundlagen, die militaristisch, undemokratisch und neoliberal sind", stand prominent in der Präambel.
Die "drei bösen Wörter" (militaristisch, undemokratisch und neoliberal) müssten umgehend gestrichen werden, hieß es prompt aus dem Reformerlager. Die EU werde so "radikal negativ" dargestellt, dass sich die Frage stelle, warum die Linke antrete zur "Parlamentswahlen einer EU, die alles Schlechte in sich vereinigt", kritisierte etwa Wulf Gallert, der ehemalige Fraktionsvorsitzende der Linkspartei in Sachsen-Anhalt.
Katja Kipping, die Parteivorsitzende von Die Linke, bezeichnet sich selbst als "glühende Europäerin".
Der EU die Liebe erklären - aber wie?
Der Parteitag soll nun über eine neue Formulierung entscheiden. Die fordert immer noch einen Neustart für die EU: "Dabei müssen alle vertraglichen Grundlagen revidiert werden, die zu Aufrüstung verpflichten und auf Militärinterventionen orientieren, die Anforderungen demokratischer Gestaltung entgegenstehen, und die neoliberale Politik wie Privatisierung, Sozialabbau oder Marktliberalisierung vorschreiben."
Klingt wie die gleiche Aussage verpackt in mehr Worte? Absolut nicht, findet die Parteivorsitzende Katja Kipping, die sich als "glühende Europäerin" bezeichnet: "Ich meine, sich kritisch mit den Fehlern der Europäischen Union auseinanderzusetzen, ist die viel größere Liebeserklärung, als einfach darüber hinweg zu sehen."
"Die EU vor Strache, Salvini, Le Pen und Gauland retten"
Der Reformerflügel ist weniger euphorisch. Die neue Formulierung sei ein Schritt in die richtige Richtung - aber noch nicht ausreichend. "Im Moment wird die EU von rechts angegriffen und zwar so sehr, dass es sie gefährdet," sagt etwa der Bundestagsabgeordnete und Außenpolitikexperte Stefan Liebich: "Wir als Linke haben die Aufgabe, die EU vor Strache, Salvini, Le Pen und Gauland zu retten und dann innerhalb der bestehenden EU Veränderungen zu erkämpfen. Sonst haben wir eine Mitschuld, dass die EU kaputt geht."
Liebich kämpft für einen Antrag, der eine Republik Europa fordert - und damit mehr europäische Zusammenarbeit. Vor zwei Jahren wurde dies auf einem Parteitag schon einmal abgeschmettert, aber die Partei habe sich verändert, argumentiert der Berliner Bundestagsabgeordnete. In den letzten Jahren seien besonders viele junge Menschen in die Linke eingetreten, die völlig selbstverständlich proeuropäisch aufgewachsen seien.
Linke-Wähler besonders europafreundlich
Tatsächlich zeigt der Deutschlandtrend der ARD vom 14. Januar, dass gerade die Parteianhänger der Linken besonders europafreundlich sind. Nach der Umfrage von Infratest dimap sprechen sich 73 Prozent der Linken-Basis dafür aus, die Zusammenarbeit der EU-Länder zu vertiefen und weitere Zuständigkeiten an die EU abzugeben. Nur unten den Grünen-Anhängern ist der Wert noch geringfügig höher.
Auch die Landesverbände im Wahlkampf wie Thüringen oder Sachsen setzen auf einen klar proeuropäischen Kurs. "Wir wollen eine Angleichung der Lebensverhältnisse, dass man überall in Europa gleich viel verdient, eine Stärkung des Europäischen Parlaments und einen wirklichen Verbund, der gemeinsam an Frieden und sozialer Gerechtigkeit arbeitet", sagt etwa Antje Feiks. Für viele sei das Utopie, so die Landesvorsitzende der Linken Sachsen, sie verweist darauf, dass es in sozialen Fragen längst europäische Bewegungen gebe. Als Beispiel nennt Feiks die Schülerdemos gegen den Klimawandel oder die europaweiten Solidaritätsdemonstrationen von Ryanair-Angestellten.
Gregor Gysi, Präsident der Europäischen Linken, sorgt sich um die vielen jungen, proeuropäischen Wähler.
Gegenwind von den linken Linken
Doch aus dem besonders linken Lager in der Linken gibt es heftigen Gegenwind. Fabio De Masi etwa gehört zu den eindeutigen EU-Skeptikern der Linkspartei und nennt solche Anträge in der "taz" "Lametta, um die eigenen Kandidaten auf die Liste zu bekommen". Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken gehört zum Wagenknecht-Lager. Er argumentiert, eine Republik Europa bedeute auch ein EU-Haushalt, der nationale Haushalte ersetze. "Da Deutschland aber die größte Volkswirtschaft ist, würden deutsche Finanzminister Italien oder Griechenland regieren. Aber Italiener oder Griechen haben Angela Merkel oder Olaf Scholz nicht gewählt".
Anfang der Woche hat auch Gregor Gysi in die Debatte eingegriffen. Der Vorsitzende der Europäischen Linken hat mit Parteifreunden gemeinsam ein Papier präsentiert, das sich klar gegen eine linke Fundamentalkritik ausspricht. Auch Gysi verweist auf die vielen jungen, proeuropäischen Wähler: "Wenn wir zum Nationalstaat zurückkehren, dann denken die, wir haben eine Meise."