Einsatz in Lützerath Polizei beginnt mit Räumung von Gebäuden
Noch sind Häuser und Scheunen in Lützerath besetzt: Die Polizei hat mit der Räumung eines ersten Gehöfts im Braunkohleort begonnen. Für die Aktivisten werden das Wetter und der neue Doppelzaun zur Herausforderung.
Im von Klimaaktivisten besetzten Braunkohleort Lützerath hat die Polizei mit der Räumung von Gebäuden begonnen. Am Morgen sägten Beamte ein Loch in das Tor eines besetzten Gehöfts und verschafften sich dadurch Zutritt zum Gebäude, an dem ein großes gelbes Banner mit der Aufschrift "1,5°C heißt: Lützerath bleibt!" hängt.
Einige Aktivisten, die in dem Gebäude waren, wurden weggebracht. Wenig später fuhr die Polizei eine Hebebühne auf den Innenhof des Gehöfts. "Die Räumung geht weiter", sagte ein Polizeisprecher. Die Räumung der sieben Gebäude auf dem Gelände ist laut Aachens Polizeipräsident Dirk Weinspach die eigentliche Herausforderung. Am Nachmittag bereiteten sich die Einsatzkräfte darauf vor, einen weiteren Hof zu stürmen. Dort wo bereits geräumt wurde, reagiert der Energiekonzern RWE schnell: Hütten, Baumhäuser und eine Halle wurden abgerissen, Bäume wurden gefällt.
Stürmische Böen und Regen
Den Aktivisten macht unterdessen vor allem das Wetter zu schaffen. Für heute sind stürmische Böen mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 63 Kilometer pro Stunde vorhergesagt - zudem regnet es. "Wir hoffen, dass der Sturm nicht noch stärker wird", sagte eine Sprecherin der Initiative "Lützerath lebt". Die Situation sei etwa für die Menschen in den Baumhäusern gefährlich. "Im Normalfall kommen sie bei Sturm runter", so die Sprecherin.
In den Baumhäusern und in besetzten Gebäuden harren weiterhin Klimaaktivistinnen und -aktivisten aus. Wie viele es sind, ist unklar. Die Sprecherin machte dazu keine Angaben.
Zehn Aktivisten von Dach geholt
Die Räumung hatte am Vortag begonnen, ein Großaufgebot der Polizei ist im Einsatz. Die Siedlung soll abgerissen werden, um die darunter befindlichen Kohlevorkommen fördern zu können. Klimaaktivisten wollen dies verhindern.
In der Nacht holten die Einsatzkräfte gut zehn Aktivisten mit Hebebühnen aus etwa zehn Metern Höhe vom Dach einer früheren landwirtschaftlichen Halle. An einer anderen Stelle waren die Beamten mehrere Stunden damit beschäftigt, eine Aktivistin aus einem Autowrack zu befreien, das als Hindernis auf einem Weg aufgebaut worden war. Die Frau hatte sich in dem Wrack verschanzt und ihre Füße in den Weg zementiert. In den frühen Morgenstunden konnte sie herausgeholt werden.
Neubauer kritisiert nächtlichen Einsatz
In diesen Häusern sowie in selbstgebauten Baumhäusern halten sich weiter Aktivisten auf. "Fridays for Future"-Aktivistin Luisa Neubauer nannte das Vorgehen der Polizei "absolut unverständlich". "Räumungen nachts in der Dunkelheit", schrieb sie auf Twitter.
Das Bündnis "Lützerath unräumbar" hat für heute Protestaktionen wie Sitzblockaden in der Umgebung angekündigt. "Fridays for Future" will am zweiten Tag der Räumung bundesweit demonstrieren. In einer spontan abgehaltenen Pressekonferenz sagte Neubauer dem Fernsehsender phoenix: "Es geht nicht nur um ein Dorf, es geht um 280 Millionen Tonnen CO2, die nicht in die Luft gefeuert werden." Sie kritisierte erneut die Einsätze in der Nacht. Der Schlafentzug der Aktivisten sei hochgradig gefährlich.
Sitzblockade auf Zufahrtsweg zum Tagebau
Mehrere Hundert Menschen zogen vom Erkelenzer Ortsteil Keyenberg in Richtung des etwa vier Kilometer entfernten Lützeraths. Die Polizei schätzt, dass sich 800 Menschen beteiligten. Mehrere Initiativen unterstützen die Aktion. Zwischen den Einsatzkräften und den Demonstranten war vorab eine feste Strecke vereinbart worden - die wurde von einigen Protestierenden laut Informationen des WDR-Reporters Arndt Lorenz aber nicht eingehalten. Menschen rannten demnach in Richtung Tagebau.
Dutzende Demonstranten blockierten vor der Abbruchkante einen Zufahrtsweg mit einer Sitzblockade. Die Polizei kreiste die Menschen daraufin ein. Darunter waren auch Neubauer und Greenpeace-Vorstand Martin Kaiser. "Wir wollen hier sitzenbleiben, bis wir weggetragen werden", sagte die Klimaaktivistin. Nach Neubauers Angaben setzten die Einsatzkräfte auch vereinzelt Pfefferspray ein. Ein Polizeisprecher konnte das weder bestätigen noch ausschließen.
Greta Thunberg will Lützerath besuchen
Derweil hat die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg angekündigt, Lützerath zu besuchen. Sie will am Samstag in das Kohleabbaugebiet kommen - eine große Demonstration ist geplant. Die Polizei rechnet mit 6.000 Teilnehmenden.
Im Ort Lützerath werden die Aktivistinnen und Aktivisten nicht demonstrieren können. Das Dorf ist mittlerweile von einem neuen, anderthalb Kilometer langen Zaun umgeben. Die Konstruktion sei fast fertig, nur die Tore fehlten noch, sagte ein RWE-Konzernsprecher am Morgen. Die Tore sollten im Laufe des Tages in den etwa zwei Meter hohen Doppelzaun eingehängt werden. Vor Ort frage man sich, wo die Demo rein örtlich stattfinden solle, sagte Reporterin Marion Kerstholt im WDR. Offenbar ist der Kontakt zu den Aktivistinnen und Aktivisten für die Presse schwierig. Die Polizei schirmte die Protestierenden ab, so Kerstholt.
Auch die Journalistengewerkschaft Deutsche Journalisten-Union (DJU) kritisierte die Polizei: Zeitweise sei Journalistinnen und Journalisten während eines Polizeieinsatzes der Zugang zu Hallen im Dorf verwehrt worden, twitterte Jörg Reichel, Geschäftsführer der DJU Berlin-Brandenburg. Außerdem konnten Pressevertreter zunächst nicht an ihre im geräumten Gehöft gelagerte Technik kommen, so Reichel. Bereits gestern hatte der Geschäftsführer eine "erste negative Zwischenbilanz der Pressefreiheit" gezogen. Die Presse sei immer wieder an ihrer Arbeit gehindert worden.
Habeck verteidigt Vorgehen
Angesichts von Kritik aus der Klimabewegung an den Grünen wegen der Räumung von Lützerath zeigte sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck betroffen. "Das fasst mich auch an oder treibt mich um, so wie alle in meiner Partei", sagte Habeck am Abend im "heute-journal" des ZDF. "Aber trotzdem müssen wir das erklären, was richtig ist. Und richtig war - leider -, die Gasmangellage, eine Energienotlage in Deutschland abzuwehren, auch mit zusätzlicher Verstromung von Braunkohle - und hintenraus den Kohleausstieg vorzuziehen."
Lützerath sei nicht "das Weiter-So der Energiepolitik der Vergangenheit: Verstromung von Braunkohle", betonte Habeck. "Es ist nicht, wie behauptet wird, das ewige Weiter-So, es ist der Schlussstrich darunter." Leider habe man das Dorf Lützerath nicht mehr retten können - "aber es ist das Ende der Braunkohleverstromung in NRW". "Insofern - mit großem Respekt vor der Klimabewegung - ist meiner Ansicht nach der Ort das falsche Symbol."
Die von den Grünen geführten Wirtschaftsministerien in Bund und im Land Nordrhein-Westfalen hatten mit dem Energiekonzern RWE einen Kompromiss vereinbart, der das Abbaggern der Kohle unter Lützerath beinhaltet - aber auch einen auf 2030 vorgezogenen Kohleausstieg in NRW.