Interview mit Sexualbegleiterin "Beatrice" "Sehnsucht nach Berührung ist extrem"
Sie nennt sich "Beatrice“. Seit über 12 Jahren bietet sie "Sexualbegleitung" für Menschen mit Behinderungen an - Massagen und Berührungen, die sexuell und seelisch entspannen. Geschlechtsverkehr gehört nicht dazu. tagesschau.de hat mit ihr über ein Thema gesprochen, das für viele ein Tabu ist.
Sie nennt sich "Beatrice". Seit über zwölf Jahren bietet sie "Sexualbegleitung" für Menschen mit Behinderungen an. Die Berührungen und Massagen der 51-Jährigen sorgen für sexuelle und seelische Entspannung. Geschlechtsverkehr gehört nicht zum Programm. Sie stillt das Grundbedürfnis nach Berührung und sorgt dadurch für innere Ausgewogenheit ihrer Kunden. Denn manche Menschen sind durch Ihre Behinderung nicht in der Lage, sich selbst zu befriedigen. So wird die eigene Lust für sie zur Last.
tagesschau.de: Warum ist es wichtig, dass es Menschen wie Sie gibt, die sich um die sexuellen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen kümmern?
Beatrice: Ich denke, dass der Wunsch nach Sexualität und Berührung ein ganz selbstverständliches Bedürfnis ist. Dem sollte auch entsprochen werden. Deswegen ist es einfach schön, wenn es Menschen gibt, die dafür offen sind und Verständnis haben. Die für Wohlbefinden sorgen. Die Menschen, die sich an mich wenden, wünschen sich seelische Gesundheit. Es geht nicht nur um Sexualität. Es geht um innere Ausgewogenheit und die Stillung eines Grundbedürfnisses.
tagesschau.de: Wie läuft eine Begegnung mit Ihren Kunden ab?
Beatrice: Wenn ein Kunde neu ist, dann schaut man, ob man miteinander zurecht kommt, ob die Stimmung gut ist und ob das Niveau stimmt. Die Hygiene sollte auch stimmen - und Sympathie sollte da sein. Mir ist gegenseitiger Respekt besonders wichtig - sowohl vor den Wünschen des anderen als auch vor seiner Person. Dann klärt man, was der eine möchte und was der andere ihm geben kann. Auf dieser Basis trifft man sich dann. Manche Kunden haben genaue Vorstellungen von dem was sie möchten. Viele wissen aber gar nicht, was Ihnen gefällt. Sie brauchen erst mal die Gelegenheit zu sehen, was schön für sie ist. Wenn jemand gar keine Wünsche hat, und einfach nur berührt werden möchte, dann macht man das ausgiebig. Fährt mit den Händen den Rücken entlang und berührt die Zonen, die er selbst nicht berühren kann. Viele genießen es auch, wenn man einfach mal die Pobacken ein bisschen durchknetet.
tagesschau.de: Können Sie sich noch erinnern, wie Sie sich bei Ihrem ersten Kontakt mit einem behinderten Menschen gefühlt haben?
Beatrice: Den ersten Kontakt hatte ich mit einem jungen Studenten, der stark gehbehindert war. Er litt sehr unter Stress und innerem Druck. Ich fand es unheimlich mutig von ihm, dass er den Kontakt zu mir aufgenommen hatte. Er hatte extra für zwei Stunden ein Zimmer gemietet, damit wir eine geschützte, geborgene Zone für unser Treffen haben. Wir hatten dort eine unheimlich schöne Zeit und er war hinterher wie verwandelt. Das hat mich dann wiederum sehr zufrieden gemacht, weil ich gemerkt habe, wie der Mann sich innerlich wieder stabilisiert hat.
tagesschau.de: Welches Erlebnis hat Sie besonders bewegt?
Beatrice: Mich hat mal die Mutter eines 17-jährigen behinderten Jungen angerufen. Sie wusste nicht, wie sie mit der Sexualität ihres Sohnes umgehen soll. Ihr Sohn hatte oft eine Erektion, wenn sie ihn badete, und sie hatte moralische Bedenken. Die Frau hat mir dann beschrieben, welche Qualen er leidet, sich zu befriedigen. Ich habe dann vorgeschlagen, dass er die Möglichkeiten bekommen sollte, seine Lust selbst zu befriedigen. Dann haben wir gemeinsam überlegt und ihm ein paar Hilfsmittel so in seinem Zimmer befestigt, dass er nach eigenen Bedürfnissen entscheiden konnte, wann er sich befriedigt.
tagesschau.de: Welche Behinderungen haben Ihre Kunden?
Beatrice: Oft sind es Gehbehinderungen oder Conterganschäden und Spastiken. Hauptsächlich also Menschen, die Schwierigkeiten haben, sich selbst zu befriedigen, weil sie schwer beweglich sind.
tagesschau.de: Rufen bestimmte Behinderung besondere Bedürfnisse hervor?
Beatrice: Blinde entwickeln völlig andere Phantasien. Sie sind nicht so festgelegt wie Sehende, weil sie keine visuellen Schranken kennen. Sie möchten manchmal ganz speziell berührt werden, sie sind auch experimentierfreudiger. Und sie haben weniger Scheu davor zu fragen, ob sie mich auch berühren dürfen. Dieses Bedürfnis nach Berührung ist groß, weil sie ja den visuellen Reiz nicht haben. Und ich denke, unter solchen Umständen kann ich es dann auch zulassen, mich berühren zu lassen.
tagesschau.de: Gibt es Bedürfnisse, die behinderte Menschen haben, die nicht-behinderte Menschen nicht haben?
Beatrice: Im Grunde sind es die gleichen Bedürfnisse. Menschen mit Behinderung sind aber häufig etwas verzweifelter, weil sie ohnehin von der Gesellschaft ausgegrenzt werden. Und natürlich ist die Sehnsucht nach körperlicher Zweisamkeit extremer, weil sie generell weniger Gelegenheit dazu haben.
tagesschau.de: Sind Sie zufrieden mit Ihrem Job?
Beatrice: Der Job erfüllt mich. Aber die Sexualbegleitung ist natürlich nicht alles, was ich mache. Mein Job ist die Gesamtbetreuung der Menschen. Dazu gehört auch, dass ich mit ihnen ins Theater gehe und mir ihre Sorgen anhöre.
tagesschau.de: Wie reagieren Menschen, wenn sie hören, dass sie - im weitesten Sinne – Sex mit behinderten Menschen haben?
Beatrice: Lange Zeit war das natürlich ein Tabuthema in der Gesellschaft. Aber je länger ich das mache, desto offener bin ich auch geworden. Ich habe respektable Gründe, diesen Job zu machen, und ich erfahre immer wieder, wie gut meine Arbeit den Kunden tut. Deshalb bin ich auch mutiger geworden und habe, wenn es gepasst hat, offen gesagt, was ich mache. Und die meisten fanden das ganz toll. Viele sagen, dass sie meine Arbeit als wichtig empfinden, dass sie es aber selbst nicht könnten.
Das Interview führte Ulrike Heimes für tagesschau.de