Chronologie des Falls Ermyas M. Einmal Politikum und zurück
Das Urteil im Prozess um den brutalen Übergriff auf Ermyas M. aus Potsdam ist keine Überraschung - alle Prozessparteien plädierten auf Freispruch. Das ist bemerkenswert ob der hitzigen Diskussion vor einem Jahr. Chronologie eines Politikums, das dann doch keines war.
Das Urteil im Prozess um den brutalen Übergriff auf Ermyas M. aus Potsdam ist keine Überraschung - alle Prozessparteien plädierten auf Freispruch. Das ist bemerkenswert ob der hitzigen Diskussion vor einem Jahr. Chronologie eines Politikums, das dann doch keines war.
Von Jonathan Fasel für tagesschau.de
Zwei Unbekannte verletzen den dunkelhäutigen 37-jährigen Ermyas M. aus Potsdam am frühen Morgen des Ostersonntag 2006 so schwer, dass ihn die Ärzte wegen seines Schädelbruchs mehrere Wochen im künstlichen Koma halten müssen. Wie schon sechs Jahre zuvor im Falle des Mosambikaners Alberto Adriano in Dessau ist wieder ein Schwarzer Opfer einer Gewalttat. Auch diesmal deuten die ersten Ermittlungen schnell auf einen rassistischen Hintergrund des Überfalls hin: "Dreckiger Nigger" ist in der Mailboxnachricht an M.'s Ehefrau kurz vor dem Angriff zu hören. Das ist politischer Sprengstoff so kurz vor der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Land. Der Zeitpunkt hätte schlimmer nicht sein können. Denn die Tat spottet dem Motto des bevorstehenden Fußballfestes: "Die Welt zu Gast bei Freunden".
Breite Diskussion in der Öffentlichkeit
Als Generalbundesanwalt Kay Nehm zwei Tage nach dem Angriff die Ermittlungen an sich zieht, ist die Tat bereits zum Politikum geworden. Nehms Begründung: Das mögliche rassistische Motiv sei "bestimmt und geeignet, die innere Sicherheit der Bundesrepublik zu beeinflussen" - und das rechtfertige den Einsatz der Bundesstaatsanwaltschaft. Der Tatvorwurf lautet versuchter Mord. Politiker und Öffentlichkeit beschäftigen sich mit dem Fall Ermyas M. noch intensiver. Man prägt den Begriff der so genannten No-Go-Areas für Ausländer im Osten Deutschlands. Und als der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) kurz hintereinander Zweifel am fremdenfeindlichen Hintergrund der Tat artikulieren, ernten beide für ihre Aussagen harsche Kritik.
Wenig später nimmt die Polizei zwei Tatverdächtige fest. Doch die Zweifel an deren fremdenfeindlichem Motiv mehren sich. Zwei Gutachten können die Stimme des Hauptbeschuldigten auf der Handy-Mailbox nicht identifizieren. Das allerdings wird kaum noch in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Der Fokus auf die mögliche rassistische Motivation der zwei 29- und 30-Jährigen bleibt bestehen. Die Polizei entdeckt in deren Auto Musik einschlägiger Neonazi-Bands.
Einen Monat später schwebt das Opfer nicht mehr in Lebensgefahr. Am 23. Mai werden die Haftbefehle wieder aufgehoben, denn, so die Begründung, es bestehe kein dringender Tatverdacht mehr. Drei Tage später gibt auch Generalbundesanwalt Nehm die Ermittlungen wieder an die Potsdamer Staatsanwaltschaft ab: Die fremdenfeindlichen Äußerungen der mutmaßlichen Täter stünden in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Tat. Das Politikum ist kein Politikum mehr.
Selbst für eine Verurteilung reichen die Fakten nicht
Ein Fall von Fremdenfeindlichkeit oder eine alltägliche Straßenschlägerei? Der Fall von Ermyas M. bleibt weiterhin verschwommen. Sicher ist: Einer der beiden Täter hat aktiv zugeschlagen und Ermyas M. lebensgefähliche Verletzungen zugefügt - dem zweiten wird unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen. Doch die beiden Angeklagten bestreiten, zum Zeitpunkt am Tatort gewesen zu sein. Zwar belegen Telefonaufnahmen rassistische Äußerungen um den Zeitpunkt der Tat herum. Auch wollen mehrere Zeugen den Tathergang beobachtet haben: So soll Ermyas M. zwei Männer zuvor angepöbelt und einem von ihnen ins Gesäß getreten haben - doch weder Zeugen noch das Opfer selbst können vor Gericht die Täter zweifelsfrei identifizieren.
Die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit bleibt: Warum wird im Osten Deutschlands ein Schwarzer niedergeschlagen und niemand dafür zur Rechenschaft gezogen? Auch wenn der Fall Ermyas zum Politikum wurde, gilt das Rechtsstaatsprinzip: Im Zweifel für den Angeklagten.