Interview

Interview mit Rita Süssmuth "Wir haben die Aufklärung vernachlässigt"

Stand: 27.08.2007 13:53 Uhr

Aufklärung und Medikamentenzugang für alle - das ist das Motto der 15. Welt-Aids-Konferenz in Bangkok. Im Mittelpunkt stehen dabei Asien und Osteuropa. Doch auch in Deutschland ist die Krankheit wieder auf dem Vormarsch: Nachdem die HIV-Neuinfektionen seit den 90er Jahren beständig zurückgingen, steigen sie seit 2003 wieder an.Die Vorsitzende der Deutschen Aids-Stiftung, Rita Süssmuth, fordert deshalb eine neue Kampagne. Denn noch immer gelte: "Wir haben kein Medikament gegen Aids".

tagesschau.de: Verglichen mit den Opferzahlen in Asien, Afrika oder auch Osteuropa ist das Problem Aids in Deutschland eher klein. Dennoch: Woran liegt die wieder steigende Zahl der Neuinfektionen?

Süssmuth: Wir haben die Aufklärung in den letzten Jahren vernachlässigt. Dadurch ist die Aids als gefährliche Krankheit nicht mehr so präsent. Die Deutsche Aids-Stiftung plädiert deshalb dringend für eine neue Präventionskampagne. Dazu kommt, dass der Umgang mit der Krankheit durch den medizinischen Fortschritt achtloser geworden ist. Frei nach dem Motto: Wir haben Präparate, mit denen ich überleben kann. Aber das trügt: Wir haben kein Medikament, das Aids heilt. Der einzige Schutz ist, sich selbst zu schützen.

tagesschau.de: Hat die neue Unbekümmertheit auch etwas damit zu tun, dass gerade für junge Leute Aids eher eine abstrakte Gefahr darstellt?

"Wir haben kein Medikament gegen Aids"

Süssmuth: Mitte der 80er Jahre hatten wir in Deutschland sehr viel höhere Todesraten – so wie wir sie heute aus dem asiatischen und osteuropäischen Raum kennen. Bei der jungen Generation scheint heute eher anzukommen: "Vielleicht gibt es kaum noch Menschen, bei denen ich mich anstecken kann. Und lebensgefährlich ist es nicht mehr". Deshalb brauchen wir einen Slogan, der neue Informationen transportiert: Zum Beispiel darüber, was Kombinationspräparate leisten und was nicht.

tagesschau.de: Haben Sie das Geld für neue Kampagnen?

Süssmuth: Das ist das Problem – auf dem Höhepunkt der Krankheit hatten wir 50 Millionen Euro für Aufklärung zur Verfügung, heute haben wir weniger als 10 Millionen. Hier muss etwas getan werden.

Konferenz soll Aufmerksamkeit für Asien schärfen

tagesschau.de: Die Internationale Aids-Konferenz findet dieses Jahr zum ersten Mal in Asien statt. Was erhoffen Sie sich davon?

Süssmuth: Mehr Aufmerksamkeit für diese Region. In Deutschland denkt man bei Aids als erstes an Afrika. Das ist richtig. Wir müssen aber auch nach Asien und Osteuropa blicken. Die 15. Welt-Aids-Konferenz in Bangkok will deutlich machen: Es muss für jeden Menschen möglich sein, an Vorbeugung und Therapie teilzuhaben.

Außerdem wird die Konferenz auch in der Region das Bewusstsein schärfen: In asiatischen Gesellschaften ist Aids oft ein Tabu. Das war vor Jahren auch in Deutschland so. Als ich als Ministerin von Kondomen sprach, war das damals fast wie eine Amtsverletzung. Das Thema Aids gehört aber in die Öffentlichkeit, damit Menschen sich nicht verstecken müssen, sondern mit ihrer Krankheit integriert bleiben und behandelt werden können.

Viele Menschen in Asien wissen zu wenig oder gar nichts über Aids, über die Ansteckungsgefahren und Möglichkeiten, sich zu schützen. Wir brauchen Aufklärung, die die Menschen erreicht, sei es über den Rundfunk oder über Mobiltelefone. Wir brauchen Betreuer, die informieren und beraten. Und wir müssen die Forschung an Impfstoffen fördern. Denn eine Impfung wäre der sicherste Schutz vor Aids.

Das Gespräch führte Christine Kahle