50 Jahre Zentralstelle Kriegsdienstverweigerer Vom "Drückeberger" zum unentbehrlichen Zivi
Seit 50 Jahren erhalten Männer, die den Kriegsdienst verweigern wollen, Unterstützung von der Zentralstelle KDV. Fast ebenso lang ist Pfarrer Ulrich Finckh als Berater tätig. tagesschau.de hat mit ihm über die Motive der jungen Männer, das gewandelte Image der Zivis und die harten Prüfungsverfahren in den 60er-Jahren gesprochen.
Seit 50 Jahren erhalten Männer, die den Kriegsdienst verweigern wollen, Unterstützung von der Zentralstelle KDV. Fast ebenso lang ist Pfarrer Ulrich Finckh als Berater tätig. tagesschau.de hat mit ihm über die Motive der jungen Männer, das gewandelte Image der Zivis und die harten Prüfungsverfahren in den 60er-Jahren gesprochen.
tagesschau.de: Seit den frühen 60er Jahren beraten Sie junge Männer, die den Kriegsdienst verweigern wollen. Anders als heute, wo man die Verweigerung schriftlich begründet, gab es damals noch ein Gespräch vor einer Kommission. Wie lief das damals ab?
Ulrich Finckh: Gespräch ist ein sehr harmloser Ausdruck dafür. Das war eine sehr harte Prüfungssituation. Die Verweigerer mussten neben einer schriftlichen Begründung und einem Lebenslauf auch ein polizeiliches Führungszeugnis einreichen - weil man sie ja erst mal verdächtigt hat, eigentlich böse zu sein. Dann wurden sie relativ scharf befragt. Sie sollten dabei beweisen, dass ihre Entscheidung eine Gewissensentscheidung ist – was man natürlich letztlich nicht beweisen kann.
"Das wurde fast schon als Meuterei behandelt"
tagesschau.de: Sie haben selber an einer Vielzahl solcher Verfahren teilgenommen. Wie war die Atmosphäre dabei?
Finckh: Sie war höchst unterschiedlich – im Regelfall aber bösartig-prüfungsmäßig. Mit ist zum Beispiel ein Verfahren in besonderer Erinnerung geblieben, bei dem junge Leute in einem Bataillon gemeinsam nachträglich verweigert haben. Das wurde fast schon als Meuterei behandelt. Da kamen Offiziere zu dem Verfahren, die die tollsten Märchen erzählt haben – vom Hörensagen wohlbemerkt. In zwei Fällen saß man den ganzen Tag gegen das Licht, sodass man die Mitglieder der Kommission nicht erkennen konnte. Ich habe hier in Bremen auch einen Fall erlebt, bei dem ein junger Mann nicht anerkannt wurde, weil er sein Studium mit Taxifahren finanziert hat. Da wurde argumentiert, dass man im Straßenverkehr ja auch jemand töten könne.
tagesschau.de: Jetzt haben Sie gerade einige extreme Fälle genannt. Wenn Sie mal das Gros der Verweigerer in den 60er Jahren betrachten: Was hatten sie für ein Image?
Finckh: Sie wurden immer als „Drückeberger“ angegriffen. Manchmal wurde auch gesagt, sie seien vom Osten aus gelenkt; es gab Sprüche wie „Geht doch nach drüben“. Oder es wurde ihnen vorgeworfen, sie hätten aus „gewissen Gründen“ verweigert statt aus „Gewissensgründen“. Da steckte immer die Meinung dahinter, dass es im Zivildienst leichter wäre – was natürlich nicht der Fall ist. Denn wenn junge Menschen als Zivildienstleistende plötzlich mit schweren Krankheiten, Leiden, Behinderungen, Alter und Sterben konfrontiert werden, ist das natürlich gar nicht leicht, sondern für die meisten ein Schock.
Ulrich Finckh begann 1963 während seiner Zeit als Studentenpfarrer in Hamburg mit der Beratung von Kriegsdienstverweigerern. Von 1971 bis 2003 war der engagierte Christ und Bürgerrechtler Vorsitzender der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer (Kurz: Zentralstelle KDV). Der heute 80-Jährige lebt in Bremen und berät dort noch immer junge Männer, die den Kriegsdienst verweigern wollen.
Viele Verweigerer nach dem ersten Irak-Krieg
tagesschau.de: Anfang der 60er Jahre gab es pro Jahr so um die 3000 Anträge auf Kriegsdienstverweigerung. Seit den 90er Jahren sind es zwischen 120.000 und 190.000. Nicht zur Bundeswehr zu gehen ist heute also schon eher die Norm als die Ausnahme. Was waren denn die wesentlichen Punkte, die zu diesem Wandel geführt haben?
Finckh: Die Diffamierungen der Zivildienstleistenden hörten natürlich in dem Augenblick auf, in dem man die Leute kennen gelernt hat. Wer selbst eine Oma hat, die im Altersheim von Zivis betreut wird, der merkt sehr schnell, dass sie keine Drückeberger oder verrückte Sektierer sind. Das hat sehr viel ausgemacht.
Das zweite waren politische Entwicklungen. Einen großen Sprung bei den Verweigererzahlen gab es zum Beispiel, als Deutschland während des Vietnam-Krieges das Lazarett-Schiff „Helgoland“ nach Vietnam geschickt hat und somit indirekt involviert war. Da schwappte die Anti-Kriegs-Bewegung aus den USA nach Deutschland. Dann kamen noch die 68er-Bewegung und der Kalte Krieg hinzu. Das hat sich dann immer weiter hochgeschaukelt. Einen ganz großen Sprung gab es dann schließlich noch mal beim ersten Irak-Krieg 1991.
tagesschau.de: Auch heute noch beraten Sie junge Männer, die verweigern wollen. Welchen Rat geben Sie Ihnen?
Finckh: Ich erwarte immer, dass sie zunächst selbst erklären, warum sie verweigern wollen. Dann kann man darüber sprechen, ob da Punkte dabei sind, die unwichtig sind oder solche, die besonders wichtig sind. Im Grunde geht es immer um dreierlei: Ersten: Ich will nicht Krieg führen und andere Menschen töten. Zweitens: Ich will nicht rumkommandiert werden, dass ich andere Menschen töten oder verletzen soll. Und drittens: Ich will etwas Sinnvolles tun, ich will lieber anderen Menschen helfen, statt zur Bundeswehr zu gehen.
"Viele junge Männer brauchen nach wie vor Rat"
tagesschau.de: Das entwürdigende Prüfungsverfahren ist Geschichte, Zivildienst ist heute mindestens ebenso hoch angesehen wie die Wehrdienst. Könnte die Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerer dann eigentlich nicht sagen: Unser Job ist erledigt, wir lösen uns auf?
Finckh: Nein, es gibt ja nach wie vor das Problem der Soldaten, die erst nachträglich merken, dass sie das nicht verantworten können. Bei diesen nachträglichen Verweigerungen sind die Verfahren mitunter immer noch schwierig. Und außerdem gibt es nach wie vor viele junge Männer, die Rat brauchen, wenn sie vor der Entscheidung stehen, ob sie den Kriegsdienst verweigern sollen oder nicht.
Auch politisch gibt es immer noch einiges zu tun. Zum einen ist das Verfahren rechtlich gesehen immer noch ein Verwaltungsverfahren – und damit für eine Gewissensfrage nicht geeignet. Denn wenn man im Verwaltungsrecht einen Antrag stellt, muss man selber beweisen, dass dieser begründet ist. Derzeit ist das de facto zwar kein Problem, denn die Bundeswehr braucht wenige Wehrpflichtige und ist deshalb froh ist, wenn möglichst viele Ersatzdienst machen. In dem Augenblick, in dem die staatliche Verwaltung anders wollte, könnte man aber wieder reihenweise die Leute ablehnen. Dieses Verfahren widerspricht dem Grundrecht auf Gewissenfreiheit. Zum anderen gibt es auch die Totalverweigerer. Sie sagen, die Vorbereitung auf den Kriegsdienst ist ein solches Verbrechen, dafür leiste ich auch keinen Ersatz. Für die ist bis heute keine Lösung gefunden.
Das Interview führte Holger Schwesinger, tagesschau.de