Affäre um US-Geheimdienst Angeblich 437 CIA-Flüge über Deutschland
Die Debatte über geheime Anti-Terror-Operationen der CIA in Europa bringt die Bundesregierung zunehmend unter Druck. Mehr als 400 Mal soll der US-Geheimdienst für seine angeblichen Gefangenenflüge deutsche Flughäfen genutzt oder deutschen Luftraum durchflogen haben, berichtet der "Spiegel".
In der Affäre um angebliche CIA-Gefangenenflüge scheint Deutschland stärker betroffen zu sein als bislang bekannt. Unter Berufung auf eine Liste der Deutschen Flugsicherung (DFS) schreibt das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", dass die CIA in mindesten 437 Fällen Flughäfen in Deutschland genutzt oder deutschen Luftraum durchflogen haben soll. Die Statistik sei aufgrund einer Anfrage der Linkspartei im Bundestag angefertigt worden.
Wusste die Bundesregierung Bescheid?
Unklar ist, ob Stellen der Bundesregierung von den angeblichen Flügen wussten oder hätten wissen müssen. Dem Auswärtigen Amt liege spätestens seit Juni 2004 die Schilderung des aus dem Libanon stammenden Deutschen Khaled al-Masri über Misshandlungen an Bord einer CIA-Maschine vor, so der "Spiegel". US-Behörden hätten die Entführung Anfang 2005 informell bestätigt. Bei Verstößen gegen die Menschenrechte von Gefangenen an Bord von Flugzeugen mache sich laut Völkerrecht möglicherweise auch jener Staat schuldig, der wissentlich nichts gegen Verstöße in seinem Hoheitsgebiet unternehme, heißt es in dem Artikel weiter.
Bundesregierung: Keine Erkenntnisse über Zweck der Flüge
Ein Sprecher der Bundesregierung bestätigte die Existenz einer von der Deutschen Flugsicherung erstellten Liste. Aus ihr lasse sich aber nur ablesen, "wie oft welche Flugzeuge von welcher Fluggesellschaft sich im deutschen Flugraum bewegt haben oder auf deutschen Flughäfen gelandet sind". Die Zahlen der Flugüberwachung "geben keinen Hinweis darauf, für welche Auftraggeber solche Maschinen von privaten Fluggesellschaften eingesetzt worden sind, noch geben die Daten der Flugsicherung irgendeinen Hinweis auf die Zweckbestimmung eines Fluges", sagte der Sprecher.
Die Deutschland-Chefin der Menschenrechtsorganisation amnesty international, Barbara Lochbihler, vermutete in einem Interview der "Frankfurter Rundschau" dagegen, dass die Bundesregierung informiert gewesen sein muss. "Ich denke, die Zuständigen müssten von den Flügen gewusst haben, zumal wir seit längerem auf die Verschleppungen durch die CIA hingewiesen haben." Hätte Berlin zudem den Verdacht gehabt, dass auf diesen Flügen gefoltert worden sei, so hätte die Bundesregierung handeln müssen. Kanzlerin Angela Merkel müsse die Vorwürfe beim Deutschlandbesuch der US-Außenministerin Condoleezza Rice in der kommenden Woche ansprechen, forderte Lochbihler.
Grüne verlangen Aufklärung
Auch die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast verlangte in der "Neuen Ruhr/Rhein Zeitung", dass die angeblichen Gefangenenflüge Thema beim Rice-Besuch sein müssten. "Das ist der Testfall für Frank-Walter Steinmeier." Künast betonte, Steinmeier dürfe nicht gute Beziehungen zu den USA "auf Kosten der europäischen Interessen pflegen". Die Bundesrepublik müsse wissen, wofür ihre Flughäfen genutzt werden und ob Gefangene rechtswidrig behandelt wurden.
Bosbach: Unschuldsvermutung für deutsche Behörden
Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach ging dagegen davon aus, dass deutsche Behörden nicht über die angeblichen Gefangenenflüge informiert waren. Sollten sie doch etwas von Gefangenenflügen zu menschenrechtswidrigen Verhören gewusst haben, wäre dies ein "massiver Verstoß" gegen die europäische Menschenrechtskonvention, sagte Bosbach. Bis zum Beweis des Gegenteils setze er aber auf die Unschuld der deutschen Sicherheitsbehörden.
Was sagt Rice auf ihrer Europareise?
Die USA hatten angekündigt, "zeitnah" für Aufklärung über mutmaßliche CIA-Überflüge in Europa zu sorgen. Die Bundesregierung hatte daraufhin am Freitag erklärt, es komme nun nicht darauf an, ob Rice bereits am Dienstag beim Treffen mit Merkel Antworten liefere.
Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet jedoch, Rice werde die europäischen Verbündeten zur Zurückhaltung im Zusammenhang mit Vorwürfen über US-Geheimgefängnisse auffordern. "Es ist ziemlich deutlich, dass sie wollen, dass die europäischen Regierungen aufhören, hierbei Druck auszuüben", sagte ein europäischer Diplomat mit Kontakten zu Vertretern der US-Regierung. Rice werde die Verbündeten daran erinnern, dass sie selbst bei US-Einsätzen mitgewirkt hätten.