Interview

Interview zum Internationalen Tag des Waldes "Dem Wald geht es sehr gut"

Stand: 25.08.2007 18:22 Uhr

Vom sauren Regen vergiftet, vom Borkenkäfer abgenagt – eigentlich müsste er schon längst tot sein, der deutsche Wald. Doch der Patient lebt. Und wächst und gedeiht schneller, als manche Umweltschützer es sich hätten träumen lassen. So viel Wald wie heute gab es in Deutschland schon lange nicht mehr. Trotzdem: Die Bäume haben zu kämpfen – mit Menschen, Käfern und dem Wetter. Zum Gesundheitszustand des Waldes befragte tagesschau.de den Forstexperten Anton Fischer, Professor für Geobotanik am Wissenschaftszentrum Weihenstephan für Ernährung, Landnutzung und Umwelt der TU München.

tagesschau.de: Wie geht es dem Wald in Deutschland?

Anton Fischer: Wir hier in Deutschland sind in der glücklichen Lage, dass ein Drittel der Fläche bewaldet ist. In den letzten 200 Jahren hat sich der Waldzustand massiv verbessert. Die Waldfläche wird sogar jetzt noch von Jahr zu Jahr etwas mehr. Der Holzvorrat, den wir momentan in Deutschland haben, ist historisch hoch – wie seit 1000, vielleicht sogar seit 2000 Jahren nicht mehr. Damit besetzen wir auch in Europa eine Spitzenposition. Betrachtet man zunächst diese Zahlen, könnte man sagen: Dem Wald geht es sehr gut!

tagesschau.de: Woran liegt das?

Fischer: Viele Bäume wachsen deutlich besser, als man ihnen das vor 30 Jahren noch zugetraut hätte. Das hat mehrere Gründe: Zum einen haben einige der Nährstoffe, die Bäume zum Wachsen benötigen, in unserer Umwelt enorm zugenommen - beispielsweise das Kohlendioxid in der Atmosphäre. Zusätzlich ist die Temperatur in den letzten Jahrzehnten weltweit gestiegen. Wir Menschen haben außerdem für reichlich Stickstoff gesorgt, dessen Mangel das Pflanzenwachstum normalerweise begrenzt: Stickstoff wird frei, wenn wir Auto fahren, heizen oder Kühe halten, die rülpsen und Ammoniak ausscheiden. All das schafft für das Baumwachstum erst einmal ideale Voraussetzungen.

tagesschau.de: Dann brauchen wir uns also keine Sorgen machen?

Fischer: Tatsächlich wachsen die Bäume bei uns immer besser und schneller. Aber man muss unbedingt unterscheiden zwischen dem einzelnen Baum und dem Wald als Ganzes! Der Wald bildet ein komplexes Ökosystem, alles ist miteinander vernetzt. Als Ökosystem betrachtet ist der Wald in einem massiven Umbau begriffen. Das merkt man einerseits daran, dass die Bäume schneller und besser wachsen. Andererseits verschiebt sich die Zusammensetzung der Pflanzenarten. Wir haben heute deutlich mehr Pflanzen, die einen hohen Stickstoffgehalt anzeigen, als noch vor 40 Jahren. Und einige Bäume haben unter den Veränderungen zu leiden: Haben es die Fichten wärmer und werden mit Kohlendioxid und Stickstoff gedüngt, wachsen sie zwar schneller, aber ihr Holz wird weicher – so brechen die Bäume leichter im Sturm. Und dann kommen die Borkenkäfer – letztendlich geht es den Fichten also doch wieder schlechter.

tagesschau.de: Der Wald stirbt also nicht, er verändert sich nur?

Fischer: Das Ökosystem an sich stirbt nicht. Insofern ist der Begriff „Waldsterben“ falsch. Zu keiner Zeit stand zu befürchten, dass der Wald flächendeckend und grundsätzlich sterben würde. Zu befürchten war aber, dass so viele Bäume sterben, dass wir Menschen nicht mehr den Eindruck von einem typischen Wald hätten. Denken wir an die Folgen schwefelhaltiger Abgase, die noch vor Jahrzehnten tonnenweise in die Atmosphäre gepumpt wurden: Zusammen mit Luft und Wasser bilden die Schwefel-Bestandteile Säuren. Diese regnen als der berühmte „Saure Regen“ auf die Blätter und waschen dort wichtige Inhaltsstoffe aus. Außerdem wird durch den Regen der Boden saurer – die ganze Bodenstruktur und seine Ökologie verändern sich. Das Ökosystem vergiftet sich dann sozusagen von unten. Viele Bäume sehen heute von außen sehr viel schlechter aus als früher. Aber das heißt nicht, dass sie deshalb auch sehr viel schlechter wachsen. Sie produzieren oft trotzdem mehr Biomasse als früher. Ist das nun gut oder schlecht? Aus wissenschaftlicher Sicht ist das pauschal nicht zu beantworten.

tagesschau.de: Aber warum werden die Bäume dann im Waldzustandsbericht des Bundes immer noch anhand ihrer Blätterdichte in den Kronen beurteilt? Das Merkmal macht dann doch gar keinen Sinn.

Fischer: Es ist aber nun mal das einzige Merkmal, das uns schnell zugänglich ist. Wir könnten natürlich um jeden Baum herum ein wissenschaftliches Forschungsprojekt aufbauen, aber dazu fehlen die Menschen und das Geld. Wir brauchen eine Methode, die uns rasch einen ersten Überblick über den Waldzustand verschafft. Da ist die Bestimmung der Blattverluste in Prozent eine vergleichsweise einfache Methode, die sich relativ rasch und sogar in ganz Europa durchführen lässt. Es steht aber auch in jedem Waldschadensbericht, dass die Interpretation dieser gesammelten Daten sehr schwierig ist.

tagesschau.de: Welche Aussagen über den tatsächlichen Waldzustand lassen sich denn mit dieser Methode überhaupt treffen?

Fischer: Wenn man sich die Berichte über mehrere Jahre hinweg anschaut, sieht man tatsächlich, dass unser Leitbild vom voll belaubten Baum ins Schwanken gerät. Die Zahl dieser Bäume sinkt tendenziell. Da spielt aber auch die Trockenheit eine wichtige Rolle: Im Jahr 2003 war es extrem trocken – das hat vor allem die ohnehin schon geschwächten Bäume getroffen. Der Wald ist nun einmal keine Maschine, die jeden Tag gleich funktioniert.

tagesschau.de: Aber wenn der Wald so starken natürlichen Schwankungen unterliegt, ist er dann nicht das falsche Instrument, um damit umweltpolitischen Druck auszuüben?

Fischer: Der Waldzustand ist ein Signal für den Umweltzustand. Er liefert uns eindeutige Hinweise darauf, dass sich in der Umwelt etwas verändert. Und weil wir Menschen in dieser Umwelt leben, gehen uns solche Veränderungen auch direkt an.

tagesschau.de: Kümmern wir uns heute zu wenig um unsere Wälder?

Fischer: In den achtziger Jahren drehte sich die Diskussion noch viel mehr um den Wald als Ökosystem. Heute geht es fast nur noch um das Holz. Im Fokus stehen die Holzproduktion und Holznutzung – für das Holz soll Geld gezahlt werden, natürlich möglichst viel Geld.

tagesschau.de: Trotzdem ist das Thema Wald aus der Mode geraten. Bekommt das auch die Forschung zu spüren?

Fischer: Ja, natürlich. Ohne das „Phänomen Waldsterben“ hätten wir bis heute längst nicht so viel ökologisches Wissen über den Wald sammeln können, denn die Politiker haben damals eben Geld locker gemacht. Für solche Projekte wie damals bekommt man heute keinen müden Euro mehr. Ist aber auch nicht nötig – denn wir haben schon sehr viel Wissen gewonnen. Und jetzt müssen wir uns anderen dringenden Problemen zuwenden, von denen wir ja genug haben: Wie zum Beispiel werden wir mit den Auswirkungen des hohen Kohlendioxid-Gehalts in der Atmosphäre umgehen? Dieses Thema wird viele von uns in den nächsten Jahrzehnten direkt betreffen.

Das Interview führte Susanne Lummer für tagesschau.de