Politologin Münch "Der CDU droht das Schicksal der SPD"
Streit und schlechte Wahlergebnisse - die CDU steckt in der Krise. Im Interview erklärt die Politologin Münch, warum dies Kramp-Karrenbauer die Kanzlerkandidatur kosten könnte - und was das für künftige Bündnisse bedeutet.
tagesschau.de: Massive Stimmenverluste bei mehreren Landtagswahlen, offene Kritik am Führungsduo Merkel/Kramp-Karrenbauer - wie tief steckt die CDU in der Krise?
Ursula Münch: Die Krise der CDU ist nicht so augenfällig, weil die Lage der SPD ja noch viel dramatischer ist. Aber die derzeitige Entwicklung wird intern als massive Herausforderung gesehen, etwa wie man sich inhaltlich positionieren oder mit wem man in Anbetracht von schwierigen Mehrheitsverhältnissen koalieren will.
Ursula Münch ist seit 2011 Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Sie beschäftigt sich viel mit gesellschaftlicher Spaltung und Polarisierung. Zuvor war sie Professorin für Politikwissenschaft und Dekanin der Fakultät für Staats- und Sozialwissenschaften an der Universität der Bundeswehr München.
tagesschau.de: Muss die CDU sich auf einen Abwärtstrend einstellen?
Münch: Ja, der CDU droht das gleiche Schicksal wie der SPD. Der spöttische Blick der Union auf die Verluste der Sozialdemokraten erschien mir immer schon ein bisschen verfrüht, weil relativ klar war, dass das genau die Probleme sind, die der CDU noch bevorstehen würden.
Zwar stellt sich die Situation für die CDU ein bisschen anders dar: Die Wahlergebnisse sind noch nicht einstellig und die Partei ist programmatisch und ideologisch wesentlich weniger festgelegt als die Sozialdemokraten. Das ist einerseits ein Vorteil, auch mit Blick auf eine Positionierung und Koalitionsaussagen. Aber es erschwert in Krisenzeiten auch eine mögliche Orientierung: In welche Richtung soll die Partei jetzt eigentlich gehen? Und wie nimmt sie die unterschiedlichen Flügel dabei mit?
"Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt"
tagesschau.de: Wie angeschlagen ist das Duo Angela Merkel und Annegret Kramp-Karrenbauer?
Münch: Die Kanzlerin schafft es ja, in diese Krise kaum mit hineingezogen zu werden. Sie hält sich raus und pflegt einen zunehmend präsidialen Regierungsstil. Das ist auch gut, denn wenn jetzt die Kanzlerin sich ständig einmischen würde, wäre es ja für die Partei noch schwieriger.
Kramp-Karrenbauer ist dagegen deutlich stärker unter Beschuss. Und das hat sich mit den schlechten Wahlergebnissen und der scharfen internen Kritik zuletzt noch weiter zugespitzt. Thüringen ist im Grunde nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen zu bringen scheint. Die Parteivorsitzende wird nun noch mehr in Zweifel gezogen von Teilen der Partei. Das macht einerseits Kramp-Karrenbauer unsicherer, und es verstärkt gleichzeitig die Zentrifugalkräfte in der Partei.
"Merz will eigene Rechnungen begleichen"
tagesschau.de: Jetzt hat Friedrich Merz gerade erst deutliche Kritik geübt, auch an der Kanzlerin. Spricht er da für die Mehrheit der CDU-Mitglieder?
Münch: Merz hat vor allem die Rolle eines Katalysators, der die Diskussionen weiter vorantreibt und dazu beiträgt, dass die Unzufriedenheit nicht nur schwelt, sondern vehement und offen zum Ausdruck kommt. Ich würde aber nicht sagen, dass er mit der Kritik an der Kanzlerin tatsächlich für die Partei insgesamt spricht. Mein Eindruck ist eher, dass das seine eigene Meinung ist und er auch seine eigenen Rechnungen begleichen will.
tagesschau.de: Die Forderung der Jungen Union, den künftigen Kanzlerkandidaten in einer Urwahl zu bestimmen, dann die Irritationen über ihren Vorstoß für Nordsyrien - hat Kramp-Karrenbauer noch den Rückhalt der CDU für eine Kanzlerkandidatur?
Münch: In der jetzigen Konstellation bin ich da sehr pessimistisch. Bis zu den Bundestagswahlen 2021 - wenn sie nicht schon eher kommen - kann sich zwar noch viel ändern. Aber im Augenblick erweckt sie selbst nicht den Eindruck, als ob sie sich das zutraut. Ich vermute, dass es eher auf Armin Laschet zuläuft.
tagesschau.de: In den vergangenen Wahlkämpfen im Osten haben sich die Landesverbände jeweils von der Bundes-CDU distanziert. Wie groß ist die Distanz zwischen den Verbänden und Berlin?
Münch: Das hat viel mit der speziellen Stimmungslage in Ostdeutschland zu tun. Obwohl das Thema Flüchtlingspolitik aktuell keine Rolle spielt, haftet es der CDU an. Es gibt eine extrem große Distanz der konservativen Wählerschaft in den ostdeutschen Ländern gegenüber Angela Merkel.
Dabei ist aber auch eine wahltaktische Entscheidung. Ich würde das deshalb nicht überbewerten, denn es ist per se nichts Neues. Das hat die Partei immer schon erlebt, weil die Landesverbände der CDU immer schon eigenständiger waren als die Landesverbände der SPD.
Strategische Gründe gegen Bündnis mit Linkspartei
tagesschau.de: Die CDU hat in Thüringen dramatisch Stimmen verloren. Die Mehrheitsverhältnisse sind äußerst kompliziert. Trotzdem will die CDU mit zwei Parteien kein Bündnis eingehen. Kann sie sich diese "Ausschließeritis" überhaupt noch leisten?
Münch: Die Linkspartei in Thüringen ist natürlich harmlos und vor allem Bodo Ramelow ist als Person sicherlich koalitionsfähig. Ich würde dennoch davon abraten, ein Bündnis einzugehen. Denn das wäre ein Dammbruch. Wie soll man in Zukunft gegen ein rot-rot-grünes Bündnis auf Bundesebene argumentieren, wenn man im Land selber mit den Linken koaliert?
Zweitens würde es die Parteien noch schwerer unterscheidbar machen, wenn plötzlich zwei Parteien aus ganz unterschiedlichen politischen Spektren zusammenarbeiten würden. Und das ist genau das, was die Wählerschaft den Parteien vorwirft, nicht mehr unterscheidbar zu sein. Das würde meines Erachtens der Parteiendemokratie nicht gut tun.
tagesschau.de: Und was ist mit der AfD? Der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende im Erfurter Landtag hat bereits gefordert, darüber nachzudenken.
Münch: Von der Koalition mit der AfD gerade in Thüringen muss man ja explizit abraten. Die CDU kann sich nicht einem Ministerpräsidenten Björn Höcke unterordnen - das wäre tödlich für die CDU. Das kann man nicht machen, das wäre absurd.
Das Interview führte Alexander Steininger, tagesschau.de.