Politologe Niedermayer Die Zeichen stehen auf Neuwahlen
FDP-Chef Lindner habe mit seiner Begründung für den Abbruch der Sondierungen recht, meint der Politologe Niedermayer im Interview mit tagesschau.de. Nun könnte es Neuwahlen geben. Und einen Wahlkampf - härter geführt als der vergangene.
tagesschau.de: Jamaika ist gescheitert. Was bedeutet der Abbruch der Sondierungen für das Land?
Oskar Niedermayer: Wir befinden uns in einer Phase großer Unsicherheit. Deutschland wird zwar weiter regiert, allerdings nur geschäftsführend. Das wird nicht mehr lange so weitergehen. Ich denke, es liegen zwei Zukunftsszenarien auf dem Tisch: eine Minderheitsregierung oder Neuwahlen. Nach dem Ende der Sondierungsgespräche gehe ich eher von der zweiten Variante aus.
Oskar Niedermayer ist Politikwissenschaftler, war zuletzt Professor an der FU Berlin und ist inzwischen emeritiert. Schwerpunkte seiner Forschung sind politische Einstellungen sowie die Parteien- und Wahlforschung.
tagesschau.de: Woran sind die Sondierungsgespräche gescheitert?
Niedermayer: Ich gebe FDP-Chef Lindner in allen Punkten recht: Grundvertrauen zwischen potenziellen Koalitionären ist wesentlich für eine stabile Regierung. Man braucht - wenn schon nicht eine gemeinsame Vision oder Idee - doch zumindest ein gemeinsames Verständnis, wohin man mit dem Land will. Das scheint es nicht gegeben zu haben, schließlich umfasste das vermeintliche Jamaika-Abschlussdokument noch zahlreiche Widersprüche und Zielkonflikte.
Ich glaube, dass es allen Beteiligten seit Freitag vor allem darum ging, dass ein anderer die Reißleine zieht und die Gespräche beendet, damit man ihm die Schuld für das Scheitern zuweisen kann. Das geschieht ja auch bereits. Sowohl Grüne als auch CSU betonen, dass eine Einigung eigentlich möglich gewesen wäre, wenn da nicht die FDP gewesen wäre.
tagesschau.de: Wird es den Liberalen schaden, ausgestiegen zu sein?
Niedermayer: Wenn sich in der öffentlichen Diskussion die Meinung durchsetzt, dass Jamaika wirklich nur wegen der FDP nicht zu Stande gekommen ist, dann wird ihr das durchaus schaden. Es wird bereits kolportiert, dass die Partei von Anfang an nicht zu Kompromissen bereit war. Ich sehe das allerdings etwas anders. Schließlich hatte die FDP bereits früh in den Gesprächen einige Forderungen abgeräumt, eine große Steuerreform etwa oder die sofortige Abschaffung des Solidaritätszuschlags.
tagesschau.de: Was bedeutet das Jamaika-Aus für Bundeskanzlerin Angela Merkel?
Niedermayer: Viele sehen ihre Karriere jetzt schon als so gut wie beendet an. Da mache ich ein großes Fragezeichen. Merkel war bereits vor der Wahl angeschlagen und natürlich dürfte sie die Auswirkungen der gescheiterten Gespräche spüren, trotzdem stellt sich auch jetzt noch die Frage nach einer glaubwürdigen Alternative. In der CDU gibt es niemanden, der sie in den nächsten Wochen einfach so ablösen könnte. Auch liegen ihre Beliebtheitswerte immer noch deutlich über denen aller denkbarer Alternativen in der Union - von der SPD ganz zu schweigen.
tagesschau.de: Die Sozialdemokraten beharren weiter darauf, nicht für eine Große Koalition zur Verfügung zu stehen. Kann die Partei bei dieser Haltung bleiben?
Niedermayer: In der jetzigen Situation: ja. Die SPD wäre in die Bredouille gekommen, wenn alle vier Jamaika-Parteien gemeinsam vor die Presse getreten wären und verkündet hätten: Es geht nicht. Dann wäre es für die Sozialdemokraten schwer geworden, sich Gesprächen zu entziehen, da man ihr in diesem Fall die Schuld an Neuwahlen gegeben hätte. Da aber die FDP allein den Abbruch der Gespräche verkündet hat, können die anderen Parteien die Schuld für das Scheitern einfach bei den Liberalen abladen. Das nimmt der SPD den Druck. Ich halte eine Große Koalition deshalb weiterhin für unwahrscheinlich.
tagesschau.de: Wie geht es jetzt weiter?
Niedermayer: Die Kanzlerin wird jetzt auch offiziell den Bundespräsidenten über das Scheitern der Gespräche informieren. Dann sieht man weiter. Ich glaube nicht, dass Frank-Walter Steinmeier die SPD davon überzeugen können wird, doch noch in eine Koalition einzutreten. Damit blieben eine Minderheitsregierung oder Neuwahlen. Ich gehe davon aus, dass Merkel sich erneut im Bundestag zur Wahl als Bundeskanzlerin stellen wird und der Bundespräsident das Parlament dann nach einem dritten Wahlgang auflöst. Deutschland könnte also schon bald wieder im Wahlkampf stecken. Und dieser dürfte härter ausgetragen werden als der vergangene.
Das Interview führte Julian Heißler, tagesschau.de