Reaktionen nach NSU-Prozess "Die Lücken bleiben"
Mit der Höchststrafe für die Hauptangeklagte Beate Zschäpe ist der Mammutprozess zur Mordserie des rechtsextremen NSU zu Ende gegangen. Angehörige der Opfer, aber auch Politiker fordern jedoch weitere Aufklärung.
Mehr als fünf Jahre hat der Mordprozess gegen Beate Zschäpe und vier Helfer des "Nationalsozialistischen Untergrunds" gedauert. Am Vormittag hat das Oberlandesgericht in München die Urteile gesprochen. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe wurde wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht stellte zudem die besondere Schwere der Schuld fest - damit ist eine Haftentlassung nach 15 Jahren rechtlich zwar möglich, in der Praxis aber so gut wie ausgeschlossen.
Das Gericht verurteilte außerdem die Mitangeklagten Ralf Wohlleben, Holger G., André E. und Carsten S. zu mehrjährigen Haftstrafen.
Vertreter von Politik, Religionsgemeinschaften und Verbände zeigten sich trotz aller Erleichterung über das Urteil einig, dass die NSU-Aufklärungsarbeit und der Kampf gegen den Terror von Rechts weiter gehen müssten. Dieser dürfe mit dem Ende des Prozesses nicht als erledigt betrachtet werden, warnte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. Mit dem Urteil setze der Rechtsstaat aber ein "deutliches Signal gegen Rechtsextremismus".
Das Ende des Prozesses "ist kein Schlusspunkt"
Die NSU-Verbrechen müssten "Lehre und Auftrag" sein, den Rechtsextremismus auch künftig entschieden zu bekämpfen, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer. Mit dem Urteil habe die Justiz ihre Arbeit abgeschlossen, das Ende des Prozesses sei aber nicht der Schlusspunkt für die Gesellschaft und die Sicherheitsbehörden.
Sein ganzer Respekt gelte den Angehörigen der Opfer: "Nach Jahren der Ungewissheit und zum Teil falschen Verdächtigungen durch die Strafverfolgungsbehörden wurden sie bei der gerichtlichen Aufarbeitung mit den Details der menschenverachtenden Taten konfrontiert", sagte der Minister.
Vor allem Teile der Opposition forderten, dass die Aufklärung der NSU-Verbrechen weitergehen müsse. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe bedingungslose Aufklärung versprochen, dieses Versprechen sei aber nicht eingelöst, sagte die stellvertretende Bundestagspräsidentin Petra Pau von der Linkspartei. Zu viele Fragen zur Rolle des Staates und des Verfassungsschutzes blieben weiterhin offen, kritisierte auch Linken-Parteichef Bernd Riexinger. Es sei "geschreddert und vertuscht" worden. "Ein wirklicher Aufklärungswille ist nicht vorhanden gewesen", so Riexingers Vorwurf.
Auch Opfer-Ombudsfrau fordert Aufarbeitung
Auch die Ombudsfrau der Bundesregierung für die NSU-Opfer, Barbara John, hält die Aufarbeitung des Komplexes noch nicht für beendet. Zwar entspreche das Urteil im Hinblick auf die Hauptangeklagte Zschäpe dem, was die Familien erwartet und erhofft haben, sagte sie tagesschau24. Dass aber andere Neonazis das Gericht als freie Männer verlassen konnte, habe große Abscheu bei den Hinterbliebenen ausgelöst.
Man wisse immer noch nicht, wie es so weit gekommen sei, dass drei junge Deutsche einfach Menschen ermordeten, von denen sie glauben, sie gehörten hier nicht hin, und warum die Ermittlungsbehörden das nicht entdeckten. Von dem Revisionsprozess sei eine solche Aufarbeitung jedoch nicht zu erwarten.
"Massenhaft Akten geschreddert"
Auch Grünen-Fraktionschef Hofreiter erinnerte an Merkels Worte an die Angehörigen - und beklagte, der Prozess habe die versprochene bedingungslose Aufklärung eben nicht gebracht. Vor allem auch deswegen, weil staatliche Institutionen nicht ihrer Pflicht gerecht geworden seien. "Der Verfassungsschutz hat massenhaft Akten geschreddert."
Weitere Aufklärung sei notwendig. Hochproblematisch sei, dass das Unterstützerumfeld des NSU ist immer noch vorhanden sei, beklagte Hofreiter.
Auch der Zentralrat der Muslime kritisierte, dass der jahrelange Prozess nicht ausreichend habe aufklären können, inwieweit weitere Verantwortliche in die Mordserie verwickelt waren. "Dieses Versäumnis ist eine große Belastung für die Familienangehörigen der Opfer und den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland", erklärte der Verband in Köln.
Ditib: Ergebnis "unbefriedigend und enttäuschend"
Der türkische Islamverband Ditib erklärte in Köln, das juristische Ergebnis sei vor allem für die Angehörigen der Opfer "unbefriedigend und enttäuschend". Ungeklärt sei nach wie vor, "wie es zu dem massiven Behördenversagen, den schlampigen Ermittlungen und Verstrickungen der Geheimdienste kommen konnte".
Am schwersten sei es wohl für die Angehörigen der Opfer zu ertragen, dass die rechtsextreme Mordserie immer noch nicht restlos aufgeklärt sei. "Natürlich ist auch ein Schmerz dabei, weil bestimmte Fragen offen bleiben", sagte Nebenklage-Anwalt Thomas Bliwier.
Nebenklägerin Gamze Kubasik, die Tochter eines NSU-Opfers sagte, das Urteil sei kein Trost für sie, es sei aber ein ein erster und sehr wichtiger Schritt. "Wenn das Gericht ehrlich ist, wird es auch noch sagen, dass Lücken geblieben sind. Solange diese Lücken bleiben, können meine Familie und ich nicht abschließen."