Kritik an Oberlandesgericht vor NSU-Prozess So funktioniert die Platzvergabe bei großen Prozessen
Die Platzvergabe für den NSU-Prozess ist laut Oberlandesgericht München streng objektiv erfolgt. Doch was sind die juristischen Kriterien dafür? Und warum darf das Verfahren nicht per Video in einen Nebenraum übertragen werden? tagesschau.de beantwortet die wichtigsten Fragen.
Von Kolja Schwartz, SWR, ARD-Rechtsredaktion
Wie werden bei großen Prozessen die Akkreditierungen vergeben?
Der Grundsatz der Öffentlichkeit ist eine ganz wichtige Prozessmaxime im Strafprozess. Grundsätzlich ist das Strafverfahren öffentlich. Wenn in einem Gerichtssaal nicht für alle Journalisten Platz ist, müssen die vorhandenen Plätze nach sachgerechten und objektiven Kriterien vergeben werden. Als objektive Auswahl kommt es zum Beispiel nicht in Betracht, nach der Bedeutung des Mediums zu entscheiden. Denn das ist kein objektives Kriterium. Wer legt fest, welches Medium wichtig ist und welches nicht? Die Entscheidungen wären subjektiv und nicht nachvollziehbar. Eine solche Auswahl wäre also nicht haltbar.
Objektiv und nachvollziehbar ist das Kriterium, dass das OLG München nun gewählt hat. Also die Vergabe nach der zeitlichen Reihenfolge der Anmeldungen. Man hätte auch das Losprinzip wählen können, was aber ebenfalls nicht sicher zu dem Zugang ausländischer Medien geführt hätte. Dazu hätte eine durchaus ebenfalls übliche Auswahl geführt, bei der man zunächst verschiedene "Töpfe" bildet. In einem Topf hätte man also zum Beispiel zehn Plätze an ausländische Medien vergeben, in einem anderen dann die 40 Plätze an deutsche Medien. Dadurch hätten auch die türkischen Medien eine wesentlich größere Chance gehabt, einen Platz zu bekommen. Welches sachgerechte Kriterium letztlich gewählt wird, entscheidet der Vorsitzende Richter.
Warum kann ein akkreditierter Journalist nicht einem anderen Journalisten seine Akkreditierung überlassen oder sich den Platz mit ihm teilen?
Es gibt eine Liste von 123 Journalisten und Medien, die sich akkreditiert haben. Davon haben 50 einen festen Platz im Gerichtssaal. Wenn einzelne Journalisten diesen Platz an Gerichtstagen nicht wahrnehmen, rücken akkreditierte Kollegen, die an den Verhandlungstagen vor Ort sind, nach. Wenn im Vorfeld einzelne Medien ihren Platz zur Verfügung stellen, wäre es nicht nachvollziehbar und wieder subjektiv, wenn diese Plätze an bestimmte Medien vergeben würden. Man hat sich für das Kriterium des Eingangs der Akkreditierung entschieden, also muss man sich dann auch daran halten. Der Nächste in der Liste, also der Journalist auf Platz 51, hätte sonst einen Angriffspunkt.
Warum ist eine Video-Übertragung in einen Nebenraum nicht möglich?
Das Gericht beruft sich auf § 169, Absatz 2, des Gerichtsverfassungsgesetzes. Danach sind "Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung" unzulässig. Viele Juristen sagen aber, dass eine Übertragung für ebenfalls akkreditierte Journalisten in einem Nebenraum keine solche "öffentliche Vorführung" wäre, sondern nur eine erweiterte Gerichtsöffentlichkeit darstellt. Natürlich müsste gesichert sein, dass diese Bilder nicht in die Öffentlichkeit gelangen, also nur für die Verfolgung des Prozesses durch die Journalisten genutzt werden. Und: Durch die Übertragung dürften die Angeklagten nicht beeinträchtigt werden. Das Gerichtsverfahren darf nicht zu einem Schauprozess werden.
Das Oberlandesgericht München ist jedoch der Auffassung, dass eine solche Übertragung in jedem Fall gegen das Gesetz verstößt. Ein Vergleichsfall gab es in Deutschland noch nicht - und so ist die Angst in München groß, dass aufgrund eines solchen Vorgehens ein späteres Urteil gegen Beate Zschäpe und die Mitangeklagten in der Revision aufgehoben würde.
Hat die Justiz die Bedeutung des Verfahrens unterschätzt?
Man hat den Eindruck, dass es dem Gericht hier an Weitsicht gefehlt hat. Die große Bedeutung wurde auch in Interviews von der Gerichtssprecherin in der Vergangenheit heruntergespielt. Natürlich geht es in dem Strafverfahren in erster Linie um die Aufklärung der juristischen Schuld der Angeklagten. Aber dem Gericht fehlte offenbar das Fingerspitzengefühl dafür, die Bedeutung des Prozesses für die Opfer und die Öffentlichkeit im In- und Ausland zu erkennen und darauf auch im Vorfeld angemessen zu reagieren. Man hätte die Öffentlichkeit auch in Entscheidungsprozesse viel mehr mit einbeziehen können. Das wurde versäumt und hinterlässt jetzt vor allem im Ausland einen schlechten Eindruck.