Blick in eine leere Einkaufsstraße in Hamburg

Corona-Lockerungen Die Wirtschaft schimpft

Stand: 15.04.2020 21:15 Uhr

"Willkürlich", "kleine Signale", "nicht nachvollziehbar". Die Reaktionen auf die beschlossenen Corona-Lockerungen sind kritisch. Handel, Gaststätten und Kirchen sind unzufrieden.

Die einen dürfen die Arbeit wieder aufnehmen, andere Betriebe müssen weiter warten. Das sorgt für Unmut. Teilweise harsch kritisieren Wirtschaft und Verbände die Beschlüsse von Bund und Ländern zu Lockerungen der Corona-Beschränkungen. Die neuen Maßnahmen ermöglichen es dem Handel, Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 Quadratmetern wieder zu öffnen. Dies gelte auch "unabhängig von der Verkaufsfläche" für Kfz- und Fahrradhändler sowie Buchhandlungen.

Nach Angaben des Beratungsunternehmens Jones Lang LaSalle gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio könnten unter diesen Bedingungen etwa 80 Prozent der Läden in Innenstadtlage wieder öffnen.

800 Quadratmeter? "Willkürliche Einteilung"

Doch besonders der Einzelhandel ächzt, Branchenvertreter kritisieren die Regel als unfair. Der Einzelhandelsverband HDE teilte mit, es gebe kein Sachargument für die stufenweise Öffnung. Abstands- und Hygieneregeln könnten auch in großen Geschäften eingehalten werden. "Lockerungen der Ladenschließung dürfen sich nicht an Betriebsgrößen oder Verkaufsflächen festmachen. Die jetzt beschlossenen Vorgaben führen zu Wettbewerbsverzerrungen und Rechtsunsicherheiten", erklärte Hauptgeschäftsführer Stefan Genth.

Der Handelsverband Textil sprach von einer "willkürlichen Einteilung", die große Geschäfte benachteilige. Für Modehäuser und die ohnehin angeschlagenen Warenhäuser sei die Entscheidung von Bundesregierung und Ländern besonders problematisch, weil sie nicht öffnen dürften, während kleinere Wettbewerber bereits wieder um Kunden werben könnten. "Eigentlich müssten Unternehmen, die nicht öffnen dürfen, Kompensationszahlungen erhalten", sagte BTE-Sprecher Axel Augustin.

DIHK: Es fehlt die Perspektive

Kritisch äußerte sich auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag. DIHK-Präsident Eric Schweitzer sagte: "Trotz erster kleiner Signale von Öffnungen im Bereich des Einzelhandels fehlt für viele Betriebe weiterhin eine klare Perspektive für ihr Geschäft." Ein wirklicher gemeinsamer Fahrplan Richtung Normalität sei der Beschluss noch nicht, dafür seien noch zu wenig Konturen deutlich.

Für das "Mindestmaß des Notwendigen" hält der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, die Beschlüsse. Gegenüber "t-online.de" kritisierte er, dass die vergangenen Wochen nicht genutzt worden seien, um den Ausstieg aus den Beschränkungen systematisch vorzubereiten. Besorgt zeigte er sich mit Blick auf Gastronomie und Hotels, wo kein Ende in Sicht sei.

Dehoga fordert Rettungsfonds

Denn Restaurants, Bars und Cafés müssen weiter geschlossen bleiben. "Unsere Betriebe waren die ersten, die geschlossen wurden, und sind nun die letzten, die wieder öffnen dürfen", erklärte der Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga), Guido Zöllick.

Der Verbandschef betonte, dass das Gastgewerbe alles akzeptiere, was gesundheitspolitisch geboten sei. Allerdings müssten die Maßnahmen nachvollziehbar und begründet sein. Er forderte die Einführung eines reduzierten Mehrwertsteuersatzes und die Bildung eines sogenannten Rettungs- und Entschädigungsfonds.

Gestapelte Stühle und leere Tische von geschlossenen Cafes und Restaurants in Berlin

Bei leeren Restaurants und leeren Kirchen wird es erstmal bleiben.

Kirchen bleiben leer

Unzufrieden sind auch Kirchenvertreter, die weiter keine Gottesdienste abhalten dürfen. Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, kritisierte diese Entscheidung. Angesichts erster Lockerungen in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens könne er dies nicht nachvollziehen. Die katholische Kirche werde in das für Freitag im Bundesinnenministerium geplante Gespräch einen Vorschlag einbringen, wie Religionsausübung und Infektionsschutz gleichermaßen gewährleisten werden können.

Zufrieden zeigten sich dagegen Vertreter der Kfz-Branche und des Buchhandels. Diese dürfen ab Montag wieder öffnen. Auch der Zentralverband des Deutschen Handwerks lobte die Beschlüsse als "gemeisterte Gratwanderung". Der ZDH-Präsident bemängelte allerdings, dass es weiterhin keine Klarheit über die Rückkehr zum Normalbetrieb für Behörden und Ämter gebe. Handwerksunternehmen seien aber darauf angewiesen, um Aufträge erfüllen zu können.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 15. April 2020 um 22:45 Uhr und das ARD-Morgenmagazin am 16. April um 07:10 Uhr.