Medien in Deutschland Bericht über "Bild"-Chef gestoppt
Über Monate hatte ein investigatives Journalistenteam zu Vorwürfen gegen "Bild"-Chefredakteur Reichelt recherchiert. Doch die Veröffentlichung ihres Beitrags wurde kurzfristig gestoppt. Das sorgt für harte Kritik in der Medienbranche.
Eine umfangreiche Recherche zu den Vorwürfen gegen "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt ist nicht wie geplant veröffentlicht worden. Das Team von "Ippen Investigativ", das zur Ippen-Verlagsgruppe gehört, hatte über Monate zu dem Thema recherchiert. Die Vorwürfe gegen Reichelt sind generell nicht neu, im März war er wegen eines Compliance-Verfahrens vorübergehend freigestellt worden.
Im Mai kehrte Reichelt auf seinen Posten zurück. Nach Springer-Angaben standen im Kern der Untersuchung die Vorwürfe des Machtmissbrauchs im Zusammenhang mit einvernehmlichen Beziehungen zu Mitarbeiterinnen sowie Drogenkonsum am Arbeitsplatz. "Entgegen der in einigen Medien kolportierten Darstellung gab es keine Vorwürfe und auch im Untersuchungsverfahren keine Anhaltspunkte für sexuelle Belästigung oder Nötigung", teilte der Konzern mit.
Das Team "Ippen Investigativ" blieb an der Sache dran und recherchierte verschiedenen Medienberichte zufolge neue Details zu den Vorwürfen. Das Fachmagazin "Übermedien" berichtet, die Recherchen sollen dem Vernehmen nach ein Verhalten zeigen, durch das die Entscheidung des Unternehmens, Reichelt wieder zum Chefredakteur zu machen, unverständlich und skandalös wirke.
Nach rund einem halben Jahr sei es so weit gewesen, dass die Geschichte veröffentlicht werden konnte. Das Unternehmen Axel Springer und Julian Reichelt selbst seien - so wie es der journalistischen Sorgfaltspflicht entspricht - mit den Vorwürfen konfrontiert worden.
Doch der Bericht erschien nicht. Im Hintergrund sollen Vertreter von Axel Springer Kontakt zu hochrangigen Ippen-Verlagsleuten aufgenommen und versucht haben, auf sie einzuwirken, eine Veröffentlichung zu verhindern, berichtet "Übermedien". Axel Springer teilte dem Magazin auf Anfrage mit: "Mit Wissen von Axel Springer gab es keinen Versuch, Veröffentlichungen im Zusammenhang mit der Compliance-Untersuchung zu verhindern. Davon unbenommen sind rechtliche Hinweise, die der Wahrung berechtigter Interessen des Unternehmens und seiner Mitarbeiter dienen."
Protestbrief
Das Team von "Ippen Investigativ" schrieb einen Protestbrief gegen die Entscheidung, den Bericht nicht zu veröffentlichen. Der Mehrheitsgesellschafter Dirk Ippen habe sich klar gegen eine Veröffentlichung ausgesprochen. Damit sei die journalistische und redaktionelle Unabhängigkeit des Recherche-Teams verletzt worden, dies widerspreche dem Grundsatz, Redaktion und Verlag voneinander zu trennen.
Der Deutsche Journalisten-Verband DJV warnte, sollten die Vorwürfe zutreffen, werde dadurch Vertrauen in die Unabhängigkeit von Medien in Deutschland zerstört. Auch viele Journalistinnen und Journalisten kritisierten die Entscheidung scharf.
Angeblicher DDR-Vergleich
In den USA erschien hingegen ein kritischer Medienbericht mit einigen weiteren Details in der Angelegenheit. Zudem zitiert die "New York Times" - ohne die Quelle zu nennen - aus einer angeblichen E-Mail vom Springer-Vorstandsvorsitzenden Matthias Döpfner, in der er geschrieben haben soll, die Vorwürfe gegen Reichelt müssten sehr vorsichtig behandelt werden. Denn Reichelt sei "wirklich der letzte und einzige Journalist in Deutschland, der noch mutig gegen den neuen DDR-Autoritätsstaat rebelliert". Ob dieses Zitat authentisch ist, blieb bislang unklar.
Mr. Döpfner wrote that "we have to be especially careful" in the investigation, because Mr. Reichelt "is really the last and only journalist in Germany who is still courageously rebelling against the new GDR authoritarian state,"...
Ein Sprecher des Ippen-Verlages betonte gegenüber der "New York Times", der Verlag habe den Anschein vermeiden wollen, eine journalistische Veröffentlichung mit dem wirtschaftlichen Interesse zu verbinden, dem Konkurrenten zu schaden. Daher sei die Recherche nicht erschienen.
Zu dem Verlag gehören unter anderem Zeitungen wie die "Frankfurter Rundschau" und der "Münchner Merkur" sowie der "Westfälische Anzeiger". Das Team von "Ippen Investigativ" gehörte zuvor zu Buzzfeed News Deutschland. Zuletzt kooperierte das ARD-Magazin Kontraste bei einer Recherche über den Familiennachzug mit "Ippen Investigativ".
Springer will Reichweite in den USA ausbauen
Der Springer-Verlag hatte im Sommer das US-amerikanische Nachrichtenunternehmen Politico sowie das Technologie-Portal "Protocol" gekauft. Springer verspricht sich demnach eine deutliche Steigerung der Reichweite.
Wegen dieser Expansion auf dem US-Medienmarkt ist das Interesse an dem Unternehmen in den Vereinigten Staaten weiter gewachsen - und die Unternehmenskultur wird besonders kritisch beobachtet.