Hintergründe zum Rederecht Von geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen
Manchmal reicht die Zeit gerade zum Luft holen: Will ein Abgerodneter im Bundestag sprechen, dann muss er sich an bestimmte Regeln und Zeitvorgaben halten. tagesschau.de erklärt, was schriftlich vorgegeben und was ungeschriebenes Gesetz ist.
Wenn ein Abgeordneter im Bundestag sprechen will, muss er das bei den Schriftführern beantragen und bekommt vom Bundestagspräsident das Wort erteilt. Laut Geschäftsordnung entscheidet der Bundestagspräsident auch über die Reihenfolge der Redner. Dabei hat er darauf zu achten, dass die Reihenfolge der Redner "die verschiedenen Parteirichtungen", "Rede und Gegenrede" sowie die "Stärke der Fraktionen" berücksichtigt.
Die "Manager" übernehmen
Im Alltag vereinbaren die Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen, wer wann ans Rednerpult tritt. Sie sind die "Manager" des Parlaments und sorgen für den reibungslosen Ablauf der Sitzungen. Zu ihren Aufgaben gehört auch, Abweichlern ins Gewissen zu reden und für Mehrheiten zu sorgen. Darüber hinaus legen die Geschäftsführer gemeinsam fest, wie lange insgesamt über einen Tagesordnungspunkt gesprochen wird. Daraus ergibt sich dann die Redezeit für die Fraktion, die sich nach der Fraktionsstärke richtet.
Bei einer Gesamtredezeit von 60 Minuten, der so genannten "Berliner Stunde" stehen den Regierungsfraktionen CDU/CSU und FDP insgesamt 32 Minuten zu Verfügung. Auf die Opposition entfallen 28 Minuten (SPD 14 Minuten, Linkspartei und Grüne je sieben Minuten). Dauert die Debatte länger als 60 Minuten, und das ist in der Regel der Fall, wird die neue Stunde ebenfalls nach der "Berliner Stunde" aufgeteilt. Eine "Aktuelle Stunde" dagegen dauert in der Regel nur 60 Minuten. In dieser Stunde darf kein Redner länger als fünf Minuten sprechen. Außerdem ist die Zahl der Redner begrenzt. So darf die Union vier Abgeordnete sprechen lassen, die SPD drei. Die Fraktion, die eine "Aktuelle Stunde" beantragt hat, erhält einen zusätzlichen Redner.
Mitglieder der Bundesregierung und des Bundesrates sind von all diesen Regelungen ausgenommen. Sie müssen "jederzeit gehört" werden.
Redezeit für Abweichler
Der Streit um die Redezeit hatte sich entzündet, nachdem Bundestagspräsident Norbert Lammert in der Debatte um die Euro-Hilfen den Abweichlern von CDU und FDP jeweils fünf Minuten Rederecht einräumte. Lammert begründete seinen Schritt damit, dass Klaus-Peter Willsch und und Frank Schäffler von ihrem Rederecht als Mitglieder des Bundestags Gebrauch machen würden: "Ich denke, es entspricht sowohl unserem Selbstverständnis als auch der völlig unmissverständlichen Verfassungslage, dass wir diesem Anspruch Rechnung tragen." Die öffentliche Kontroverse über immer neue Euro-Hilfen sollte sich auch in der Parlamentsdebatte widerspiegeln.
Lammert handelte sich mit dieser Haltung viel Ärger ein. Der Ältestenrat, ein Gremium von sehr erfahrenen Bundestagsabgeordneten, erteilte Lammert eine Rüge. Die Fraktionschefs protestierten: Würden alle reden, die eine von der Fraktion abweichende Meinung habe, breche das System zusammen. Das Parlament mit seinen gut 600 Abgeordneten wäre nicht mehr arbeitsfähig.
Neue Verhandlung der Neuregelung
Während viele die geplante Neuregelung als "Maulkorb" kritisierten, verwiesen andere auf die mögliche Vorteile. "Wir hatten bisher überhaupt keine Regelung für Fraktionsabweichler", sagte Jörg van Essen, der für die FDP im Geschäftsordnungsausschuss des Bundestags sitzt. Der Vorschlag hätte die Rolle der Abweichler gestärkt. Das sehen die großen Fraktionen offenbar inzwischen anders. Sie wollen neu beraten und sich mit allen Parteien verständigen.