JVA Gablingen in Bayern Ministerium wusste wohl länger von Folter-Vorwürfen
Die schweren Gewaltvorwürfe gegen eine JVA bei Augsburg haben nun auch politische Brisanz: Nach Recherchen des Bayerischen Rundfunks bekam das Justizministerium schon 2023 Hinweise. Es hätte mehr tun sollen, meinen Kritiker. Von A. Herz.
Am 18. Oktober 2023 versendet die damalige Ärztin der JVA Gablingen, Katharina Baur, eine Mail. Der Adressat: Das Bayerische Justizministerium, genauer gesagt das Fachreferat für den Justizvollzug. In dem Schreiben, das dem BR exklusiv vorliegt, schreibt die Medizinerin von "menschenunwürdigen Verhältnissen", insbesondere in den sogenannten "besonders gesicherten Haftzellen", kurz BgH. In solchen Zellen können Häftlinge untergebracht werden, wenn sie selbstmordgefährdet sind.
Mail an Justizministerium: Ärztin berichtet von Missständen
Die Gefangenen seien in den Keller-Zellen "komplett nackt" eingesperrt, hätten kein Nachthemd und auch keine Unterhose. "Sie haben keine Matratze, kein Kissen und keine Decke zu schlafen. Die Decke und die Matratze liegen vor dem Haftraum, wenn eine Kontrolle durch den Folterausschuss erfolgt, werden diese in den Haftraum verbracht", so die Ärztin weiter. Die Häftlinge in den speziellen Zellen würden auf nacktem Betonboden schlafen.
Je nach Dauer der BgH-Zeit sei es bei den Gefangenen zu Hämatomen gekommen. "Für mich sind diese Verhältnisse menschenunwürdig, nicht einmal Tiere müssen auf nacktem Betonboden schlafen", heißt es in dem Schreiben weiter. Ein Duschen oder Waschen würde nicht stattfinden. Daher komme es je nach Dauer der BgH-Zeit "zu Ekzemen, Exanthemen und v.a. ausgeprägtem Juckreiz mit Kratzexkoriationen".
In ihrer Zeit in der JVA habe es Wochen gegeben, "wo sowohl mein ärztlicher Kollege, als auch ich keinen Hinweis mehr auf Suizidalität hatten und dies auch von unserem Psychiater bescheinigt wurde, und der Gefangen wurde dennoch erst Tage später aus dem BgH entlassen."
Häftlinge sollen gegen Wand gelaufen sein
In den ersten sechs Wochen ihrer Tätigkeit seien drei Gefangenen mit Wahnvorstellungen im BgH untergebracht gewesen. Zwei davon seien vor lauter Verzweiflung gegen die Wand gelaufen und hätten Platzwunden gehabt, eine weiterer habe es angedroht. "Aus meiner Sicht werden v.a. die schwächsten Gefangenen in eine solch desolate Lage gebracht. Psychisch kranke Gefangene, die nicht einmal in der Lage sind sich zu beschweren oder für ihre Rechte einzustehen."
Da sie keine Vorerfahrungen in Justizvollzugsanstalten gehabt hätte, hätte sie den Austausch mit anderen Gefängnisärzten gesucht. "Diese waren über meine Schilderungen sehr betroffen und haben mich in meinem Bauchgefühl bestätigt, dass da so alles nicht rechtens ist. Ein Protokoll der Fallkonferenz füge ich Ihnen an."
Auch ihr Arzt-Kollege in der JVA habe in den Wochen vor ihrem Schreiben schon den Kontakt zum Ministerium gesucht. "Er hat bereits mehrfach versucht, Sie nochmals zu kontaktieren, weil er Interesse daran hat, wie die von ihm gemeldeten Umstände von Ihnen weiterverfolgt werden."
Ministerium bestätigt Mail der Amtsärztin
Eine Sprecherin des Justizministeriums teilte am Dienstagnachmittag auf BR-Nachfrage mit: "Es trifft zu, dass sich die damalige Anstaltsärztin der JVA Augsburg-Gablingen am 18. Oktober 2023 mit einer Eingabe insbesondere zu der Unterbringung von Gefangenen in den besonders gesicherten Hafträumen in der JVA Augsburg-Gablingen an die Strafvollzugsabteilung des Staatsministeriums der Justiz gewandt hat. Dies wurde sehr ernst genommen und nach interner Prüfung umgehend am 26. Oktober 2023 an die zuständige Staatsanwaltschaft Augsburg weitergeleitet, die Vorermittlungen einleitete." Die Weiterleitung an die Staatsanwaltschaft sei das "schärfste Schwert zur Aufklärung solch gravierender Vorwürfe", teilt die Sprecherin mit.
Gegen das JVA-Personal, gegen das die Staatsanwaltschaft Augsburg ermittelt, seien Disziplinarverfahren eingeleitet worden, so das Ministerium weiter. Zudem sei ein Betretungsverbot verhängt worden. Auch ein "vorläufiges Verbot der Führung der Dienstgeschäfte" sei veranlasst worden.
Im Video: Interview - BR-Reporterin Anita Fünffinger zum Fall JVA Gablingen
Im Video: Interview - BR-Reporterin Anita Fünffinger zum Fall JVA Gablingen
Staatsanwaltschaft Augsburg sah von Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ab
Die Staatsanwaltschaft Augsburg teilte auf Nachfrage des BR mit, dass man im Rahmen der Vorermittlungen weitere Zeugen, unter anderem die damalige Anstaltsärztin, vernommen habe. "Die Anstaltsärztin konnte die von ihr geschilderten Vorfälle nicht näher konkretisieren, insbesondere keine Namen von betroffenen Gefangenen nennen. Die Anstalt wies die erhobenen Vorwürfe im Vorermittlungsverfahren zurück. Mit Verfügung vom 19. August 2024 sah die Staatsanwaltschaft Augsburg mangels zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte für Straftaten von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ab". Man habe die Ermittlungen jedoch bereits kurz danach wieder aufgenommen, nachdem weitere Hinweise eingegangen seien.
Arnold: Vorermittlungen hätten intensiver geführt werden müssen
Der SPD-Landtagsabgeordnete und rechtspolitische Sprecher seiner Fraktion, Horst Arnold, kritisierte im BR24Live, die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen hätten "möglicherweise intensiver geführt werden müssen". Er nannte es fraglich, ob man sich damit begnüge, "dass ich die Namen der vermeintlich Geschädigten nicht finde". Auch im Justizministerium sieht Arnold Versäumnisse. Angesichts der Berichtspflichten der JVA, "hätte der Apparat stutzig werden müssen und letztendlich auch der Justizminister". Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) müsse "persönlich und unverzüglich" Stellung beziehen.
Aus dem Justizministerium selbst heißt es auf BR-Anfrage, dass ein Interview mit dem Minister "nicht möglich ist". Schriftlich äußert Eisenreich: "Selbstverständlich stehe ich dem bayerischen Landtag jederzeit gerne zur Verfügung, um über den Stand der Aufklärung zu berichten."
Staatsanwaltschaft Augsburg sah von Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ab
Die Staatsanwaltschaft Augsburg teilte auf Nachfrage des BR mit, dass man im Rahmen der Vorermittlungen weitere Zeugen, unter anderem die damalige Anstaltsärztin, vernommen habe. "Die Anstaltsärztin konnte die von ihr geschilderten Vorfälle nicht näher konkretisieren, insbesondere keine Namen von betroffenen Gefangenen nennen. Die Anstalt wies die erhobenen Vorwürfe im Vorermittlungsverfahren zurück. Mit Verfügung vom 19. August 2024 sah die Staatsanwaltschaft Augsburg mangels zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte für Straftaten von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ab". Man habe die Ermittlungen jedoch bereits kurz danach wieder aufgenommen, nachdem weitere Hinweise eingegangen seien.
Arnold: Vorermittlungen hätten intensiver geführt werden müssen
Der SPD-Landtagsabgeordnete und rechtspolitische Sprecher seiner Fraktion, Horst Arnold, kritisierte im BR24Live, die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen hätten "möglicherweise intensiver geführt werden müssen". Er nannte es fraglich, ob man sich damit begnüge, "dass ich die Namen der vermeintlich Geschädigten nicht finde". Auch im Justizministerium sieht Arnold Versäumnisse. Angesichts der Berichtspflichten der JVA, "hätte der Apparat stutzig werden müssen und letztendlich auch der Justizminister". Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) müsse "persönlich und unverzüglich" Stellung beziehen.
Aus dem Justizministerium selbst heißt es auf BR-Anfrage, dass ein Interview mit dem Minister "nicht möglich ist". Schriftlich äußert Eisenreich: "Selbstverständlich stehe ich dem bayerischen Landtag jederzeit gerne zur Verfügung, um über den Stand der Aufklärung zu berichten."
Im Video: JVA Gablingen - Ministerium kennt Vorwürfe seit einem Jahr
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Quelle: Mittags in Schwaben 29.10.2024 - 12:00 Uhr