Ausstellungsraum mit Exponaten im Deutschen Historischen Museum in Berlin (Quelle: epd/Jürgen Blume)

Berlin Interview | Ausstellung im Deutschen Historischen Museum: "Aufklärung ist ein nie abgeschlossener Prozess"

Stand: 20.10.2024 13:25 Uhr

Vieles aus der Aufklärung beschäftigt uns bis heute - von der Frage der Vernunft bis hin zu Freiheitsideen. Das Deutsche Historischen Museum beleuchtet nun die Verbindungen und Ambivalenzen dieser Epoche bis in die Gegenwart. Ein Gespräch mit der Kuratorin Liliane Weissberg.

rbb: Frau Weissberg, was fasziniert Sie an der Aufklärung?
 
Liliane Weissberg: Es sind zwei Punkte. Der eine ist die Diskussions- und Gesprächskultur. Es gibt eine Uneinigkeit, die produktiv wird. Man ist im Gespräch, man setzt sich auseinander. Der zweite sind die Forderungen. Forderungen, die für sehr viele von uns noch heute gelten: Gleichheit, Emanzipation, Redefreiheit und so weiter. Diese wurden nicht alle umgesetzt. Sodass wir uns heute fragen: Warum ist das damals nicht passiert? Und wie können wir diese Forderungen, die für uns heute noch eine Gültigkeit haben, verwirklichen? Es ist in gewisser Weise eine Lektion in Demokratie.

Archivbild: Elon Musk Portrait. (Quelle: imago images/Noroozi)
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Was war der Ausgangspunkt der Aufklärung? Von was wollte man sich wegbewegen?
 
Die Kritik der Aufklärung galt zunächst einmal politischen und kirchlichen Institutionen. Und dann gab es die Diskussion: Was ist Religion? Wie kann ein ethisches System, ein moralischer Wert vermittelt werden, ohne dass man gleich an den Vatikan denkt? Das heißt, wir haben Proteste gegen das, was ist und Reformversuche, wie es sein könnte.

Warum fand die Aufklärung ausgerechnet im 18. Jahrhundert, statt?
 
Die Verbreitung der Ideen der Aufklärung waren durch die Tatsache möglich, dass viele Leute lesen konnten - mehr als zuvor und auch Frauen. So konnten Bücher in einer sensationell hohen Anzahl gedruckt werden. Aber auch Zeitungen und Pamphlete.

Im ersten Jahr der französischen Revolution [Anm. der Redaktion: 1789 bis 1799], als es keine Zensur gab, wurden 300 Zeitungen in Paris gegründet, weil jeder natürlich schreiben musste, was passiert ist. Hinzu kam das neue Postwesen, das die verschrifteten Ideen auch verbreiten konnte. Heute haben wir das Internet und Soziale Netzwerke. Und einige Probleme von damals und heute gleichen sich merkwürdigerweise.

Was meinen Sie damit?
 
Friedrich der Große hat damals in der Akademie [Anm. der Redaktion: Berliner Académie Royale des Sciences et des Belles-Lettres, Vorläufer der Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften] einen Wettbewerb gestartet. Die Preisfrage war: Ist es nützlich für das Volk, betrogen zu werden? Das ist eine Frage der sogenannten Fake News im 18. Jahrhundert. Es ist eine Frage, die uns heute besonders beschäftigt, wenn wir anschauen, was in sozialen Netzwerken kursiert.

Wo Sie gerade Friedrich den Großen ansprechen. Inwiefern war er ein aufklärerischer Herrscher?
 
Es gibt hier einen Widerspruch. Wie kann ein Monarch ein Monarch sein, also seine Untertanen im Zaum halten, und doch aufgeklärt sein? Das Problem haben Sie bei Friedrich den Großen, Joseph II. in Wien und bei Katharina der Großen.
 
Bei Friedrich dem Großen war es so, dass er sagte: Ich bin aufgeklärt, in meinem Land kann jeder nach seiner Façon selig werden. Aber diese Toleranz besteht nur auf dem Papier. Und dann kommt ein Edikt nach dem anderen, das die Rechte der Juden einschränkt. Man kann viele dieser Beispiele nennen, die zwischen einem Text und einer praktischen Verwirklichung den Unterschied zeigen.

Eine Kritik an der Aufklärung haben auch Max Horkheimer und Theodor Adorno geäußert: Sie habe zum Rassismus und all den Schrecken des 20. Jahrhunderts geführt.
 
Aufklärer haben zunächst einmal, um sich Wissen anzueignen, gesammelt. Sie sehen in der Ausstellung Sammlungen der verschiedensten Art, Sammlungen von Kunstobjekten, Sammlungen von Abbildungen von antiken Gegenständen. Wir haben auch eine Sammlung von Tapeten, Papieren, Häkelmustern und so weiter.
 
Das Sammeln geht über in ein Ordnen. Dieses Ordnen wird aber dann gefährlich, wenn es zur Kontrolle wird, die wiederum eine Hierarchisierung nach sich ziehen kann.
 
Ein Beispiel: Wenn jemand wie Johann Friedrich Blumenbach nicht mehr nur Pflanzen in Ordnungssystemen zueinander bringt, sondern auch menschliche Schädel, und diese menschlichen Schädel so sortiert, dass man denkt, der eine ist dem anderen überlegen, dann haben wir die Grundlage dessen, was später im 19. Jahrhundert zu einer Rassentheorie wird.

Sie haben auch die Errungenschaften der Aufklärung angesprochen. Die Werte Gleichheit, Emanzipation, Redefreiheit. Sind wir heute wieder auf dem Weg zurück in eine nicht-aufgeklärte Gesellschaft?
 
Es gibt zwei Dinge, die mich beunruhigen. Das erste ist ein Abnehmen der Diskussionskultur. Wir haben im 18. Jahrhundert nicht nur die Publikationen, die Diskussionen fördern wollen, sondern auch neue öffentliche Räume wie Salons, Teegesellschaften, Kaffeehäuser, in denen man sich austauschen kann, auch in Akademien und Vereinen.
 
Diese Diskussionskultur nimmt heute ab und wird anders geführt. Man glaubt vielleicht eher etwas, als dass man es ausdiskutiert.

Das andere ist, dass wir nicht mehr die Forderungen verfolgen, die wir vielleicht als sinnvoll erkennen sollten. Wenn wir aufhören daran zu glauben, dass eine Redefreiheit, eine Gleichberechtigung aktuell und wichtig ist, dann sind wir arm dran.

Wie weit sind wir also mit der Aufklärung?
 
Aufklärung ist ein nie abgeschlossener Prozess.

Vielen Dank für das Gespräch.
 
Das Interview mit Liliane Weissberg führte Steffen Prell für rbbKultur - das Magazin.
 
Sendung: rbbKultur - das Magazin, 19.10.2024, 18:30 Uhr

Sendung: rbbKultur - das Magazin, 19.10.2024, 18:30 Uhr