Die Spieler der Berlin Adler betreten das Feld. (Foto: IMAGO / Foot Bowl)

Berlin Zwangsabstieg nach Spiel-Absagen: Football-Klub Berlin Adler versinkt weiter im Chaos

Stand: 05.09.2024 21:26 Uhr

Eigentlich sollte es ein Wochenende des Feierns für die Berlin Adler werden. Doch das Chaos der letzten Wochen hat viel gekostet: Nerven, den Trainer, Funktionäre - und die Ligazugehörigkeit. Die Leidtragenden sind vor allem die Spieler. Von Marc Schwitzky

Stell dir vor, es ist Finale – und niemand geht hin. Eigentlich sollte die U20 der Berliner Adler am kommenden Wochenende den Junior Bowl – das Finale um die Juniorenmeisterschaft im deutschen Football – austragen. Es wäre sogar ein Heimspiel für die Adler geworden, die Entscheidung um den Titel wird im Berliner Poststadion ausgetragen. Doch die A-Jugend des Weddinger Klubs, die sich sportlich qualifiziert hatte, wird nicht antreten – und dafür empfindliche Strafen kassieren. Der Grund dafür ist eine ganze Reihe interner Konflikte im Verein, die weit über die U20 hinausgehen.

Der Football-Helm der Berlin Adler. (Foto: IMAGO / mix1)
Berlin Adler verlieren sich im Streit über Trainer-Rauswurf und Geldprobleme

Trotz sportlicher Zufriedenheit herrscht Chaos beim Football-Klub Berlin Adler. Nach einem Polizei-Einsatz entließ der Verein der Cheftrainer. Dieser wiederum wirft dem Klub vor, vor einer Insolvenz zu stehen und nicht zu handeln. Von Marc Schwitzkymehr

Ex-Trainer Cavanaugh erhebt schwere Vorwürfe gegen den Verein

Es schwelte bereits seit längerer Zeit ein Streit – zwischen dem Trainerteam und den Vereinsverantwortlichen der Adler. Zachary Cavanaugh wurde vor der noch laufenden Saison zum Headcoach der U20- und Herrenmannschaft ernannt. Sportlich lief es gut, die Spieler und das Trainerteam bildeten ein eingeschworenes Gespann, der neue Weg, auf viele Eigengewächse zu setzen, ging auf.
 
Doch mit der Zeit nehmen die Spannungen zwischen dem Trainerteam und der Führungsriege zu. Einer der Vorwürfe Cavanaughs ist der Umgang des Vorstands mit Spielern. "Ich hatte kürzlich zwei Spieler, die den Verein verlassen haben, weil sie von der Geschäftsführung schlecht behandelt wurden", sagt der 37-Jährige dem rbb. Nach Aussagen von Cavanaugh soll es immer wieder dazu gekommen sein, dass Spieler und Trainer ohne gerechte Vorlaufzeit und Nennung von Gründen den Verein verlassen mussten.
 
Darüber hinaus behauptet der US-Amerikaner, der Verein würde wissentlich eine Insolvenz verschleppen. "Finanziell sind wir hoch verschuldet", sagt er. Der Vorstand dementierte die Vorwürfe in Person von Mitglied Roman Motzkus.

Polizei-Einsatz – die Lage eskaliert

Am 23. August eskalierte die Lage beim Football-Klub. Sportdirektor Florian Raffel rief die Polizei, da er sich angeblich von Cavanaugh und einem weiteren Mitglied des Trainerteams bedroht gefühlt haben soll. "Er wusste, wenn die Polizei kommt und er sagt, dass er sich bedroht fühle, müsse ein Polizeibericht geschrieben werden. Und das ist alles, was sie bräuchten, um mich zu feuern“, schildert Cavanaugh, gegen den Anzeige erstattet wurde und der wenig später offiziell entlassen wurde, die Lage aus seiner Sicht.
 
Motzkus fügt am Mittwoch als Begründung für die Entlassung hinzu: "Wir hatten mehrere Vorfälle, bei denen Ehrenamtler beleidigt und verleumdet wurden, es verbale Angriffe auf den Vorstand gab." Das Umfeld sei von Cavanaugh "vergiftet" worden. "Es wurden Misstrauensanträge gestellt, eine Petition für die Abwahl des Vorstands gestartet – was aus Satzungsgründen gar nicht geht." Eine Woche nach der Petition musste Cavanaugh seinen Hut nehmen.

Spieler stellen sich hinter Cavanaugh

Zum Interview mit dem rbb kommt Cavanaugh nicht alleine. Er hat zehn Spieler der Herren- und Jugendmannschaft dabei – es wirkt wie ein symbolischer Akt. "Wir stärken unserem Head Coach den Rücken, weil er falsch behandelt wurde", stellt Hendrik Scharnbacher, Herren-Quarterback, klar. "Er war für uns das ganze Jahr da, hat Probleme angesprochen, die vom Management nicht gehört wurden. Deswegen sind wir hier und zeigen ihm, dass wir zu ihm halten."
 
Die Unterstützung der Spieler für ihren geschassten Trainer geht soweit, dass die U20 aus Protest zunächst für ein Spiel ihre Schwingen am Helm – das Symbol der Adler – symbolisch ablegten und wenig später in einen Vollstreik gingen. Sie werden am Wochenende nicht am Junior Bowl teilnehmen, die Herren ebenfalls das Saisonfinale nicht ausspielen. Zum einen aus Loyalität zu Cavanaugh, zum anderen, weil das Chaos im Verein eine komplette Trainingswoche verschlang und die Spieler somit nach eigenen Angaben physisch wie mental nicht mit 100 Prozent antreten könnten. "Wenn so eine Coach fehlt, in der Game Week, dann fragen wir Spieler uns, wie wir das ohne einen einzigen Coach schaffen sollen", so Scharnbacher.
 
Das Management habe laut ihm sogar manche Spieler gefragt, ob sie als Trainer für das Finale aushelfen könnten. Nach langem Überlegen habe Scharnbacher abgesagt, weil er sich mit 22 Jahren nicht für solch eine Aufgabe bereit fühlt. "Wir hatten eigentlich Kompromisse gefunden, doch zu den Gesprächen kam keiner", erklärt Motzkus, der zunächst davon ausgegangen war, dass die Teams doch wieder antreten werden.

Berlin Adler (imago images/mix1press)
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Motzkus und Sportdirektor Raffel ebenfalls keine Adler-Funktionäre mehr

Klublegende Motzkus hat mittlerweile ebenfalls kein offizielles Amt mehr bei den Adlern. Der 55-Jährige ist in den letzten Tagen aus dem Vorstand zurückgetreten. "Ich soll einer der Hauptgründe dafür sein, dass die Spieler und Trainer unzufrieden sind – es gab eine regelrechte Rebellion. Niemand ist größer als der Verein, weshalb meine Person nicht wichtig ist und ich zurücktrete, um den Weg für neue Leute freizumachen", erklärt er dem rbb. Zudem soll sein Rücktritt eine Reaktion auf die Handlungen von Sportdirektor Raffel gewesen sein.
 
Jener Raffel, der an seinem zweiten Tag im Amt die Polizei rief und Cavanaugh ein Hausverbot erteilen ließ – und nun selbst nicht mehr bei den Adlern arbeitet. Der Nächste. "Ich war zwei Wochen im Amt bis ich eine fristlose Kündigung erhalten habe. Die Begründung ist fadenscheinig. Es war eine Parkplatzkündigung. Mir wurde gesagt, ich hätte zu viel gearbeitet, mich mit zu vielen Leuten angelegt und sei zu autoritär", berichtet der 53-Jährige dem rbb.

Florian Raffel, ehemaliger Sportdirektor der Berlin Adler. (Foto: IMAGO / Funke Foto Services)

Florian Raffel, ehemaliger Sportdirektor der Berlin Adler. (Foto: IMAGO / Funke Foto Services)

Er sei Sportdirektor geworden, um den Machtkampf innerhalb des Vereins als Mediator zu lösen. "Ich musste allerdings feststellen, dass der Vorstand nicht wirklich die Dinge getan hatte, um den berechtigten Protest der U20-Spieler in einen Burgfrieden umzuwandeln", so Raffel. "Ich sollte mich zurückhalten. 'Wir spielen good cop, bad cop' – so eine Scheiße habe ich gesagt bekommen. Wenn du neu und weisungsgebunden bist, machst du das erstmal." So wurde auch Raffel zum roten Tuch für Cavanaugh – und andersherum.

Seitenwechsel von Raffel

Mittlerweile hat Raffel jedoch einen kompletten Seitenwechsel vollzogen. Als er erkannte, dass der Junior Bowl in Gefahr ist, habe er angefangen, auf eigene Weise zu handeln. "Ich wollte das Trainerteam Kraft meines Amtes wieder einsetzen. Ich darf eine fristlose Kündigung wieder umwandeln. Ich wollte unbedingt, dass die U20 spielen darf."
 
Als das herauskam, traten Motzkus und Präsident Mario Affeldt als Reaktion zurück. Sie fühlten sich getäuscht. Etwas, das Raffel sehr leidtue. Er behauptet, General Manager und Vize-Präsident Denis Milanovic habe im Verein herumerzählt, dass es Raffel gewesen sei, der das Trainerteam in erster Instanz entlassen habe. "Das ist Bullshit und dagegen werden meine Anwälte vorgehen."
 
Raffel hat sogar die Anzeige gegen Cavanaugh und weitere Personen offiziell zurückgezogen – das Dokument liegt dem rbb vor. "Zachary und ich haben uns in den letzten Tagen durch Telefonate ausgesprochen. Wir haben gemerkt, dass wir gespielt worden sind – vom Vorstand und dem General Manager", so Raffel, dessen Wut sich mittlerweile klar gegen Milanovic und den Verwaltungsrat, der den Vorstand bestimmt, richtet.

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Die Spieler sind die großen Verlierer

Die Ereignisse bei den Adlern überschlagen sich mittlerweile täglich. Kein Cavanaugh, kein Motzkus, kein Affeldt und auch kein Raffel mehr. Derzeit stehen die obersten zwei Teams der Berliner ohne Trainer da. Der Vorstand besteht aus nur noch drei Mitgliedern: Milanovic, dem neuen Präsidenten Christoph Sonka und einem Finanzvorstand, den Sonka kurzerhand selbst mitbrachte. Milanovic soll zudem das Amt des Sportdirektoren übernommen haben.
 
Das neue Gespann hat die riesige Aufgabe, die Adler neu aufzubauen. Aufgrund der abgesagten letzten Saisonspiele wird der Verein, der sich laut Milanovic in einer Wirtschaftsprüfung (Revision) befindet, vom Verband zwangsversetzt – vermutlich in die 3. Liga. Auch die U20 steigt ab. Ein kompletter Neuanfang. Dennoch sagt Neu-Präsident Sonka: "Die Situation im Verein ist nicht so schlimm wie oft dargestellt. Wir schaffen das."
 
Und die Spieler? "Sie sind die wahre Geschichte", so Cavanaugh. "Das sind Kinder, die fünfmal die Woche zum Training gehen." Und die nun aus Loyalität zu ihrem Trainer freiwillig auf die Ernte ihrer sportlichen Arbeit verzichten. Derzeit gibt es bei eigentlich jeder Streitfrage im Verein gleich mehrere Wahrheiten, die sich nicht ansatzweise decken. Es ist ein undurchdringbarer Kabelsalat aus Perspektiven und Informationen. Es geht um Finanzen, Ämter, Beziehungen und Emotionen.
 
Vieles wird sich erst in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten aufdecken. Manches vermutlich nie. Doch es gibt eine unumstößliche Wahrheit: Die Spieler der Berlin Adler, die ihren Traum vom Titel für empfindliche Verbandsstrafen eintauschen und nun vor einer ungewissen Zukunft stehen, sind die großen Verlierer in dieser Geschichte.

Sendung: rbb Der Tag, 05.09.2024, 18 Uhr