Amir Aman Kiyaro

Hamburg Bedrohte Journalisten suchen Sicherheit in Deutschland

Stand: 15.10.2024 19:50 Uhr

Die Pressefreiheit in vielen Ländern dieser Welt ist massiv eingeschränkt. Eine Journalistin aus Mexiko und ein Reporter aus Äthiopien haben Zuflucht in Deutschland gesucht. Ihre Heimatländer belegen die untersten Plätze in der Weltrangliste der Pressefreiheit.

Von Andrea Brack Peña und Sonja Puhl

Amir Aman Kiyaro zeigt seine Arbeit: eine Reportage über die humanitäre Lage in Tigray. Ein Mann liegt blutüberströmt auf dem Boden einer Hütte. In Tigray, im Norden Äthiopiens, kämpfen seit vier Jahren bewaffnete Truppen gegen das äthiopische Militär. Tausende Zivilisten sterben oder verhungern, Frauen werden vergewaltigt. Nur wenige Journalisten schaffen es in die Region. Kiyaro war einer von ihnen. Das machte ihn zum Staatsfeind.

Reporter bekommt Drohanrufe

"Sie haben mich ganz offen überwacht, haben meine Telefonate abgehört. Ich bekam Drohnachrichten: 'Wir werden dich töten'", erinnert sich Kiyaro im Gespräch mit NDR Info. Er wird nach Monaten der Schikanen verhaftet, verbringt vier Monate im Gefängnis. "Ich habe den Punkt erreicht, an dem ich nicht weitermachen konnte. Das ist der Grund, warum ich in Deutschland bin, denn irgendwann wurde es zu viel - besonders für meine Familie."

Äthiopier lebt als politisch Verfolgter in Hamburg

Ein Stipendium der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte macht es möglich. Seit Mai lebt der 33-Jährige mit seiner Frau und der kleinen Tochter in Hamburg. "Das Gefühl, in Sicherheit zu sein, hat es in unserem Leben schon lange nicht mehr gegeben, und hier in Deutschland fühle ich mich zum ersten Mal wirklich sicher", berichtet Kiyaro.

Erst jetzt realisiere er, was er in den Jahren als Journalist erlebt habe - und beginnt es aufzuarbeiten. Das falle ihm schwer: "Wenn ich mir die Bilder ansehe, die Leichen, deren Gesichter sind nicht wiederzuerkennen. Krieg ist sehr schrecklich. Es ist eine Sache, darüber zu reden, aber wenn man es vor Ort sieht, ist es schrecklich."

Gewalt prägt den Alltag der Polizeireporterin in Mexiko

Wie Amir Aman Kiyaro war der mexikanischen Journalistin Vania Pigeonutt lange nicht bewusst, welches Risiko sie mit ihrer Berichterstattung eingegangen war. "Ich habe die sehr schwierigen Bedingungen normalisiert, einfach um zu überleben", erzählt die 36-Jährige.

Vania Pigeonutt

Vania Pigeonutt war zwölf Jahre lang Polizeireporterin in einer von Gewalt geprägten Region Mexikos.

Mit 22 Jahren begann sie, als Polizeireporterin zu arbeiten. Zwölf Jahre lang berichtete sie aus Guerrero, bekannt als einer der tödlichsten Bundesstaaten für Journalistinnen und Journalisten in Mexiko. Drogenkartelle und Polizeigewalt prägen den Alltag, jeden Tag werden Menschen dort getötet oder verschwinden.

Informanten wurden umgebracht

Auch Pigeonutt habe Drohungen bekommen. Informanten, die mit ihr zusammenarbeiteten, seien umgebracht worden. Aber sie sagt, damals wäre das einfach ihr Arbeitsalltag gewesen, über den sie nicht viel nachgedacht habe. "Ich erinnere mich an einen Tag, an dem ich 15 Angehörige von Verschwundenen interviewt habe. Es war viel. Sogar der Fotograf war fertig. Und ich sah aus wie ein Priester, der den Angehörigen zuhört. Wir waren und sind wie Kriegsreporter, ohne dass es einen erklärten Krieg gibt."

Projekt in Berlin: Über mentale Gesundheit in Mexiko aufklären

Erst in Deutschland sei der ehemaligen Polizeireporterin bewusst geworden, was sie erlebt habe. Deshalb sei es ihr ein Anliegen, über mentale Gesundheit in Mexiko aufzuklären. Damals sei sie eine der wenigen Frauen in einem Männerberuf gewesen.

Seit zwei Jahren lebt Vania Pigeonutt in Berlin - zunächst mit Unterstützung der Panter Stiftung der "taz" und Reporter ohne Grenzen. Seit Kurzem schreibt sie wieder und hat ein Projekt ins Leben gerufen, um mit Kolleginnen und Kollegen in ihrer Heimat über das Thema mentale Gesundheit zu sprechen. "Heute denke ich, dass es politisch ist, über Mut und über uns selbst zu sprechen, denn damals wurde man bestraft, wenn man sagen wollte 'Ich fühle mich erschöpft', weil die Kollegen sagten: 'Meckere nicht so!'"

Als "Speaker" über die Zustände in Äthiopien berichten

Auch der äthiopische Reporter Kiyaro findet in Deutschland eine neue Berufung. Er will weiterhin über die Missstände in seinem Land berichten, diesmal auf der anderen Seite des Mikrofons - als Interviewter. Auf einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung erzählte er vielen Gästen von den Zuständen in Äthiopien und dem Krieg in seinem Land. Seiner Mission bleibt er treu: Er wolle über die Geschichte derjenigen berichten, die keine Stimme haben: der Kriegsopfer, der Vertriebenen, derjenigen, die verhungern, weil in den Krisengebieten keine Hilfe ankomme. Es sei ihm sehr wichtig, dass die Welt erfahre, was in seinem Land passiere, sagt Kiyaro.

Sein Stipendium geht über ein Jahr. Ob und wann er wieder zurück nach Äthiopien könne, wisse er noch nicht. Noch sei es zu gefährlich für ihn ist. Aber er hoffe, dass er wieder zurückkönne, wenn es sicher sei. 

Deutsche Medien profitieren von Exiljournalisten

Um das Thema Exiljournalismus geht es auch bei der zweitägigen Fachtagung, dem Exile Media Forum der Körber-Stiftung in Hamburg. Einer der Gastpartner ist der JX Fund, der nach eigenen Angaben Medienschaffende nach ihrer Flucht aus Kriegs- oder Krisengebieten dabei unterstützt, ihre Arbeit im Exil fortzusetzen. Die JX-Fund-Geschäftsführerin, Penelope Winterhager, sagte im Interview bei NDR Info, dass momentan 70 Prozent der Weltbevölkerung unter autoritären Regimen leben würden: "Das Erste, was autoritäre Regime machen, ist, Informationen, Informationsfluss und Meinungsfreiheit zu regeln." Journalistinnen und Journalisten müssten deshalb das Land verlassen, weil sie dort nicht mehr arbeiten könnten.

"Exilmedien sind oft ganz wichtige Partner - gerade bei investigativen und grenzübergreifenden Projekten", betont Winterhager. "Wenn wir keine Medien aus bestimmten Ländern mehr haben, bekommen wir auch oft keine Informationen mehr dorther." Das sei aber wichtig, auch um staatlicher Desinformation und Propaganda wie etwa aus Russland entgegenzuwirken: "Wir müssen immer mehr unterstützen, dass Medien, wo immer sie dann hingehen, weiterarbeiten können", lautet Winterhagers Appell.

Dieses Thema im Programm:
NDR Info | Aktuell | 15.10.2024 | 07:46 Uhr