Hamburg Gesünderes Krankenhaus-Essen kann Leben retten
Krankenhaus-Essen ist oft nährstoffarm. Das ist gefährlich, denn rund 25 Prozent der Patientinnen und Patienten werden schon mit Mangelernährung eingeliefert. Folgen sind Komplikationen, längere Klinik-Aufenthalte und sogar Sterbefälle. Das Hamburger UKE arbeitet erfolgreich mit einem speziellen Ernährungskonzept.
Es ist fünf Uhr nachmittags. Auf dem Beistelltisch neben dem Klinikbett liegen zwei Scheiben Graubrot, eine Ecke Schmelzkäse und etwas Schinkenwurst. Die drei Scheiben Gurke und das einzelne Stück Tomate sehen so aus, als lägen sie schon länger auf dem Plastikteller. Ein klassisches Abendbrot im Krankenhaus.
55.000 Todesfälle könnten womöglich verhindert werden
Essen im Krankenhaus ist oft nicht nur geschmacklich unambitioniert, sondern auch nährstoffarm. Das kann gefährlich für die Patienten und Patientinnen sein. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin schätzt, dass bis zu 55.000 Menschen jährlich wegen Mangelernährung im Krankenhaus sterben. Mangelernährung tritt auf, wenn der Körper nicht ausreichend mit Nährstoffen versorgt wird. Das heißt, wenn man zu wenig Eiweiße, Vitamine, Mineralstoffe oder Kalorien zu sich nimmt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, mangelernährt zu sein, unabhängig vom Gewicht.
Jeder Vierte kommt mit Mangelernährung ins Krankenhaus
Rund jeder vierte Patient kommt bereits mit Mangelernährung ins Krankenhaus. Wenn die Mahlzeiten dann noch nährstoffarm sind, behindert das die Genesung. Der Ernährungsmediziner und Internist Philipp Schütz hat als Ko-Autor die sogenannte Effort-Studie veröffentlicht, bei der 2.000 Menschen mit Mangelernährung im Krankenhaus untersucht wurden. Die Hälfte bekam die übliche Krankenhauskost. Die andere Hälfte wurde ernährungsmedizinisch betreut und bekam Mahlzeiten mit mehr Kalorien, Eiweiß, Vitaminen und Nährstoffen. Das Ergebnis: Bei den Patienten und Patientinnen mit einer bedarfsgerechten Ernährung gab es deutlich weniger Komplikationen und Infekte. Ihr statistisch errechnetes Risiko, infolge ihrer Erkrankung zu sterben, war um 35 Prozent geringer.
UKE etabliert Screening-Verfahren zum Erkennen von Mangelernährung
Um die Sterberate zu verringern und Folgekomplikationen zu verhindern, wäre ein nährstoffreiches Essen wichtig. Außerdem müsste früh erkannt werden, welche Patienten ein Risiko für Mangelernährung haben oder bereits mangelernährt sind. Im Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg (UKE) werde darum seit 2008 jeder Patient und jede Patientin zu Beginn untersucht, erklärt Geraldine de Heer. Sie ist stellvertretende Klinikdirektorin für Intensivmedizin und leitet das neu gegründete Centrum für Ernährungsmedizin am UKE. Der dort eingesetzte Nutrition Risk Score ist ein international anerkanntes Screening Verfahren und wird bei der Aufnahme von Patienten durchgeführt.
Alternative Ernährungskonzepte in Hamburg
Geraldine de Heer (r.) und Kristin Thiemann-Leppin arbeiten beim universitären Ernährungszentrum im UKE und kümmern sich insbesondere um mangelernährte Patienten und Patientinnen.
Um die Patienten während ihres Aufenthaltes optimal versorgen zu können, arbeitet das UKE mit einem speziellen Ernährungskonzept: Ein rollender Buffetwagen, der sowohl erhitzt als auch gekühlt werden kann. Ernährungstherapeutin Kristin Thiemann-Leppin betont die Vorteile: Die Patienten können genau so viel essen, wie sie möchten, und spontan entscheiden, worauf sie Lust haben. Beim Mittag- und Abendessen kann zwischen 21 verschiedenen Speisen gewählt werden. Auch die Essenszeiten sind flexibel. Wenn das Ernährungsfachteam im Verlauf merkt, dass eine Patientin oder ein Patient zu wenig isst oder eine Mangelernährung besteht, gibt es einen gesonderten Essensplan.
Nur 35 von fast 2.000 Kliniken setzen Richtlinien zertifiziert um
Dabei orientiert sich das UKE am Qualitätsstandard der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Dieser Standard beschreibt eine optimale Verpflegungssituation im Krankenhaus anhand von etwa 100 Kriterien, erklärt die Ökotrophologin Eva Hoffmann. Es geht um eingesetzte Lebensmittel, aber auch die Zubereitung, Nachhaltigkeit und Essensatmosphäre spielen eine Rolle. Es sollen beispielsweise wenig Zucker und gesunde Fette wie Rapsöl eingesetzt werden. Außerdem empfohlen werden möglichst regionales und saisonales Obst und Gemüse. "Viele Kliniken setzen einen Teil der Standards vermutlich schon um", so Hoffmann. Offiziell etabliert haben sie bisher allerdings nur 35 von etwa 2.000 Kliniken in Deutschland.
Es wird an der falschen Stelle gespart
Die Krankenhäuser haben pro Patientin und Patient ein meist knapp bemessenes Budget, das auch die Verpflegung umfasst. Das hat zur Folge, dass viele Krankenhäuser mit weniger als sechs Euro pro Tag und Person auskommen müssen, um die Verpflegung sicherzustellen. Für Biolebensmittel fehlt das Geld, für neue Essenskonzepte das Personal. Doch Experten sind sich einig: Es wird an der falschen Stelle gespart. Würde mehr in die Ernährung im Krankenhaus investiert werden, müsste an anderer Stelle weniger Geld ausgegeben werden.
Wie viel Geld tatsächlich eingespart werden könnte, hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin berechnet. Im Jahr 2023 wären das demnach gesamtgesellschaftlich mehr als 8,5 Milliarden Euro gewesen - allein durch richtige Ernährung im Krankenhaus. Der Grund für das enorme Einsparungspotenzial sind Folgekomplikationen, die durch Mangelernährung entstehen können, längere Krankenhausaufenthalte beispielsweise durch mehr Infekte und langsamere Genesung.
Wirtschaftlichkeit und Ernährungsmedizin sind vereinbar
Dass Wirtschaftlichkeit und Ernährungsmedizin auch gemeinsam funktionieren können, zeigt das UKE in Hamburg: Dort werden Lebensmittel eingespart, da durch das individualisierte Essensangebot weniger Abfall entsteht. Auch andere Kliniken sind kreativ geworden und nehmen ausrangiertes Biogemüse oder nutzen Essens-Apps. Doch ein Großteil der Kliniken leidet an der knappen finanziellen Bemessung - und mit ihnen die Patienten.
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NDR Info | Wissen | 22.11.2024 | 06:47 Uhr