Hamburg Komponist Christian Bruhn wird 90: Der Mann der tausend Lieder
Christian Bruhn ist einer der erfolgreichsten deutschen Komponisten und Musikproduzenten der Schlagerbranche. Auch für Film und Fernsehen sowie in der Werbung war der gebürtige Wentorfer tätig. Heute wird er 90 Jahre alt.
"Zwei kleine Italiener", "Marmor, Stein und Eisen bricht", "Wunder gibt es immer wieder", "Ein bisschen Spaß muss sein", "Hey, Hey Wickie", aber auch legendäre Werbejingles wie "Milka, die zarteste Versuchung ..." - jeder dürfte diese Lieder kennen. Aber kaum einer kennt ihren Komponisten Christian Bruhn, der am 17. Oktober 1934 in Wentorf bei Hamburg zur Welt kam und für nahezu alle bekannten deutschen Schlagerstars komponiert hat: Insgesamt fast 2.500 Lieder, außerdem die Musik für zahlreiche TV-Serien, sowie Hunderte Radio- und TV-Werbespots.
Erster Nummer-eins-Hit: "Zwei kleine Italiener"
Ein Lebenswerk, das sich bereits früh anbahnt: "Ich habe schon mit 15 Jahren einem Hamburger Musikverlag Schlager angeboten, die haben sie nur nicht genommen", verriet Bruhn 2019 in einem NDR Interview. Nach der Mittleren Reife macht er zunächst eine Malerlehre und studiert später Komposition, Klavier und Klarinette an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. In verschiedenen Jazz-Combos gibt er den Pianisten.
Während des Studiums erhält er 1953 vom Filmproduzenten Werner Grassmann, dem Gründer des Hamburger Abaton-Kinos, seinen ersten Auftrag für eine Komposition: "Das war ein kleiner Dokumentarfilm namens 'Ware unterwegs'. Da haben wir in einem Trio die Musik gemacht. Es ging im Film darum, wie im Hamburger Hafen Ware umgeschlagen wird. Ein sehr trockenes Thema", erzählt Bruhn.
Ich bin ein erstklassiger Künstler zweiter Güte."
— Christian Bruhn
Alles andere als trocken verläuft dann der weitere Lebensweg des Mozart- und Jazz-Fans. Seine erste Frau - Bruhn ist inzwischen zum fünften Mal verheiratet - verschafft ihm einen Job bei der Münchner Schallplattenfirma "Spezial Record", für die er später als freier Arrangeur und Produzent arbeitet. Viel entscheidender aber ist, dass er dort auf den Textdichter Georg Buschor trifft. Das Duo Bruhn/Buschor landet 1961 mit "Zwei kleine Italiener" von Conny Froboess seinen ersten Nummer-eins-Hit, die Platte wird 1,125 Millionen Mal verkauft.
"Wunder gibt es immer wieder": Platz drei beim ESC 1970
1962 holen die beiden mit "Zwei kleine Italiener" auch den Sieg bei den Deutschen Schlagerfestspielen in Baden-Baden. Zwei Jahre später gewinnt Bruhn dort mit Siw Malmkvists "Liebeskummer lohnt sich nicht". Auch international ist der Komponist erfolgreich: Katja Ebstein, mit der er Anfang der 1970er-Jahre kurz verheiratet ist, wird 1970 beim Eurovision Song Contest mit "Wunder gibt es immer wieder" Dritte.
Für Mireille Mathieu ist er ein Jahrzehnt lang Autor und wie er es selbst auf seiner Website darstellt, "musikalisches Gewissen". Auch Drafi Deutscher verdankt seinen Riesen-Hit "Marmor, Stein und Eisen bricht..." dem Komponisten aus Wentorf. Für die falsche Grammatik des Refrains (Singular statt Plural) hat Bruhn auch eine Erklärung. So etwas sei in der Poesie durchaus üblich: Man sage ja auch "Gleich und gleich gesellt sich gern" oder "Da ist Hopfen und Malz verloren".
Erfolge auch im TV: Serien-Hits und Werbung
Hopfen und Malz ist bei Bruhn auf jeden Fall nicht verloren. Die Liste der Sängerinnen und Sänger, für die er Lieder komponiert hat, ist schier unendlich: Neben den bereits erwähnten schrieb er unter anderem auch für Caterina Valente, Manuela, Roy Black, Peter Maffay, Peter Alexander, Wencke Myhre, Freddy Quinn, France Gall, und Bata Ilic.
Zugleich betätigt sich Bruhn sehr erfolgreich als Komponist für TV-Serien: Er schreibt die Titelmelodien für "Timm Thaler", "Captain Future", "Patrik Pacard", "Wickie", "Die Rote Zora" oder "Die Wicherts von nebenan". Auch seine Werbe-Jingles für Milka, Vernel, LBS oder Shamptu Shampoo dürfte jeder kennen, der in den 1970er- und 1980er-Jahren groß geworden ist.
Bei alldem geht fast unter, dass Bruhn auch abseits der großen Unterhaltung tätig war: Für den Hessischen Rundfunk vertonte er Gedichte von James Krüss - "James' Tierleben" bezeichnet er später als seine "persönlichste Musik". Mit Katja Ebstein spielt er Lieder von Heinrich Heine ein.
Bundesverdienstkreuz 2022
Ein solcher Output ist wenig verwunderlich bei jemandem, der auf die Frage nach seiner liebsten Beschäftigung mit "arbeiten" antwortet, und erst dann "Beim Wein über die Künste schwätzen, Wandern, Lesen, Eisenbahnfahren, Leben" hinzufügt. Stolz ist er auf sein gewaltiges Lebenswerk nicht: "Stolz auf Herkunft oder Leistung ist dumm. Ich freue mich über meine Lieder, meine Fernseh- und Kinder-Musiken. Ich freue mich, dass viele Menschen und auch viele junge Menschen meine Musik lieben und mir das auch schreiben."
Christian Bruhn (l.) und Katja Ebstein bei der Verleihung des Deutschen Musikautor*innenpreises" 2023.
Das ist der Zweck, das ist mein Beruf! Dass, wenn ich auf das Oktoberfest komme, oder auf den Hamburger Dom, die Kapelle meine Sachen spielt. Das war mein Ziel."
— Christian Bruhn
Er möchte "lieber mit meinen Melodien auf der Straße gepfiffen als erkannt werden", sagt er im Dokumentarfilm "Mein Leben ist die Musik", der 2019 in die Kinos kommt. Auszeichnungen und Ehrungen bedeuten ihm nichts: "Ich möchte kein Bundesverdienstkreuz. An die tausend Stück werden pro Jahr verliehen. Einmal war ich bei einer Massenverleihung dabei. Seitdem möchte ich nicht mehr dabei sein", erklärt er 2019.
Zwei Jahre später bekommt er es dann doch: "Seit mehr als einem halben Jahrhundert haben die Menschen in Deutschland Ihre Melodien im Ohr - und das quer durch die Generationen. Dank dieser verbindenden Kraft Ihrer Musik haben Sie sich mit Ihrem musikalischen Lebenswerk bleibende Verdienste erworben", heißt es in der Begründung des Bayerischen Staatsministers für Wissenschaft und Kunst, Markus Blume (CSU).
"Der kann einfach alles schreiben"
"Ich sehe mich als gespaltene Persönlichkeit", sagt Bruhn im Film: "Eine, die einerseits 'Heidi' zustande bringt, auf der anderen Seite aber auch Chansons oder 'Captain Future'. Das sind Welten, das sind unterschiedliche Musikstile und kommen aber aus demselben Kopf. Ich bin halt so." Auch Techno-Musik findet er "sehr interessant": Das sei zwar eine völlig andere Welt, aber auch sie folge dem Gesetz: "Bloß nicht langweilen."
Sängerin Katja Ebstein hält ihn für "den begabtesten Nachkriegskomponisten. Der kann einfach alles schreiben, wenn er sich drauf einlässt." Auch Musikproduzent Harold Faltermayer erkennt neidlos an: "Christian hat etwas geschafft, dass nur wenige Komponisten können: Nämlich diese Simplizität auch zu leben und trotzdem etwas Gutes daraus zu machen."
Tätigkeit für die GEMA
Bruhn bekommt 1987 die Goldene Stimmgabel, 1993 den Paul-Lincke-Ring und 2023 von der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA) den Deutschen Musikautor*innenpreis für sein Lebenswerk. Im November 2024 erhält er beim Deutschen Filmmusikpreis den Ehrenpreis.
Bei der GEMA ist Bruhn von 1991 bis 2009 Aufsichtsratsvorsitzender und setzt sich für die Belange der Künstler ein - mit viel Idealismus: "Ich habe durch die GEMA so viel verdient, dass ich mich moralisch verpflichtet fühle, und ich will das aus Dankbarkeit gern zurückzahlen. Wäre ich nicht Musiker geworden, ich wäre Rechtsanwalt. Ich kämpfe sehr gern für Gerechtigkeit", erklärt er 1999 in der "Musikwoche" seine ehrenamtliche Tätigkeit, "die mir ein Drittel meiner Zeit nimmt".
Neues Album mit James-Krüss-Gedichten
Trotz des immensen Erfolgs bedrückt Bruhn "ein Leben lang das schlechte Gewissen, ich hätte alles noch ein wenig besser machen können". Und er hätte "gern ein Musical wie 'Cabaret' geschrieben oder wie 'Showboat'. Mit Liedern, die nie altmodisch und Texten, die nie unmodern werden." Vielleicht gelingt ihm das ja auch noch. Zwar verbringt Bruhn Anfang 2024 Jahres einige Wochen in einer Klinik (kurioserweise zur gleichen Zeit mit den Schlagerlegenden Ralph Siegel und Bata Ilic), doch seinem Tatendrang scheint das keinen Abbruch zu tun: "Ich nehme gerade ein neues Album auf mit vertonten Gedichten des Schriftstellers James Krüss. Mit dabei ist auch Katja Ebstein", verrät er im Januar der "Bild"-Zeitung.
Dieses Thema im Programm:
NDR Kultur | Der Morgen | 17.10.2024 | 09:20 Uhr