Hessen Bringen FDP-Politiker aus Hessen die Ampel doch noch zu Fall?
Nach drei Jahren in der Bundesregierung geht in der FDP die nackte Existenzangst um. Vielleicht kommt die Erlösung aus Neu-Isenburg. Ein Experte hält den erneuten Anlauf aus Hessen für ein Ampel-Aus für erfolgsversprechend.
Ulf Kasimir zieht derzeit Tag für Tag einen dicken Packen Post aus seinem Briefkasten. Rückendeckung von Sympathisanten aus der ganzen Republik für den bislang unbekannten Lokalpolitiker, von dessen Aktion auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) inzwischen gehört haben dürfte.
Der Chef des FDP-Ortsverbands aus Neu-Isenburg und seine Frau Susann Guber, die im Kreisvorstand der FDP Offenbach-Land sitzt, wollen den Ausstieg ihrer Partei aus der Ampel-Bundesregierung mit SPD und Grünen erzwingen. Die Mitgliederbefragung, die sie vor einigen Tagen ins Rollen gebracht haben und deren Ergebnis für die Bundespartei bindend wäre, löst ein bundesweites Echo aus - auch in den Medien.
"Ich habe Angst, dass wir als FDP nicht mehr im Bundestag vertreten sind“ - so fasst der Diplom-Ingenieur in Diensten der Deutschen Bahn die Befürchtung zusammen, dass die Performance der Ampelregierung für seine Partei existenzbedrohend wird. Dass ein Kasseler FDP-Politiker vor einem Jahr mit einer ähnlichen Initiative knapp gescheitert ist, schreckt ihn nicht ab.
Da war doch was...
Ende 2023 hatte sich bei der bundesweiten FDP-Mitgliederbefragung die knappe Mehrheit von 52 Prozent für einen Verbleib in der Ampelkoalition ausgesprochen. Nur gut ein Drittel der seinerzeit rund 72.000 Parteimitglieder hatte sich beteiligt.
Danach aber kam es für die Partei knüppeldick. Bei der Europawahl blieb die FDP mit 5,2 Prozent auf niedrigem Niveau noch halbwegs stabil. Bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland gab es dann eine Pleite nach der anderen. Thüringen: 1,1 Prozent, Sachsen 0,9 Prozent und Brandenburg 0,83 Prozent. Beim jüngsten ARD-Deutschlandtrend vergangene Woche reichte es bundesweit gerade einmal für drei Prozent. Damit wäre man eindeutig raus aus dem Bundestag.
Auf der Suche nach dem Kompass
Für den Neu-Isenburger FDP-Chef zeigt das Abrutschten der Partei ins Lager der bedeutungslosen "Sonstigen": Der Weckruf, den die erste Mitgliederbefragung hätte darstellen müssen, sei in Berlin nicht angekommen. "Man weiß nicht, wo die Ergebnisse noch hingehen sollen“, sagt Kasimir. Und was am Schlimmsten sei: "Wir haben den Kompass verloren."
Kasimir ist sicher: Jetzt dürften noch sehr viel mehr Mitglieder als bei der ersten Befragung gemerkt haben, dass es für die FDP ums Ganze gehe und sie schnellstens raus aus dieser Bundesregierung müsse. Die Liberalen würden in der Zusammenarbeit mit zwei Partnern, die links von ihr stünden, zerrieben. Ihre Positionen würden unkenntlich.
"Wir sind die einzige Partei, die für die Freiheit des Individuums und gegen die Allmacht des Staates eintritt", sagt Kasimir und betont: Um die Person von Parteichef und Bundesfinanzminister Christian Lindner gehe es ihm nicht.
Noch fehlen viele Unterstützer
"Soll die FDP die Koalition mit SPD und Grünen als Teil der Bundesregierung vor Ablauf der Legislaturperiode beenden?" – so lautet die Frage, über die die Basis abstimmen soll. Bevor es so weit ist, müssen Kasimir und Guber aber noch eine Hürde nehmen. Ein Mitgliederentscheid muss von mindestens 100 Kreisverbänden oder von mindestens drei Landesverbänden gefordert werden - oder von mehr als fünf Prozent der Mitglieder.
Letzteres ist das Zwischenziel. Bislang sei zwar erst eine dreistellige Zahl von Unterstützern zusammen. Aber die 3.500er-Marke werde man noch erreichen, gibt sich Kasimir zuversichtlich. Und er glaubt auch, dass am Ende eine Mehrheit für den Ampel-Ausstieg sein wird.
Ampel-Rebell Ulf Kasimir (FDP) aus Neu-Isenburg
Experte sieht Dilemma
Auch der Kasseler Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder schätzt den Unmut in der Partei hoch ein. Der Parteienforscher, der bis vor kurzem der SPD-Grundwertekommission angehörte, sieht die FDP allerdings in einem "klassischen Dilemma": Weder Verbleib noch Austritt aus der Regierung brächten ihr demnach den erhofften Wählerschub, so wie sie derzeit aufgestellt sei.
"Die Partei ist insgesamt zu schwach, zu eng, zu wenig zukunftsfähig aufgestellt. Sie hat einen maßgeblichen Anteil daran, dass die Regierung nicht funktioniert“, glaubt Schroeder. Da die FDP ihre Rolle als Regierungspartei in der Dreier-Konstellation nie wirklich gefunden habe, sei es nur konsequent, wenn sie nun möglichst schnell aussteige.
Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass es so kommt, taxiert der Politik-Professor als hoch ein. Schon beim ersten FDP-Mitgliederentscheid sei es mit 48 Prozent, die für den Ampel-Ausstieg waren, knapp gewesen. "Der Druck für die FDP ist jetzt noch viel höher."
JuLi-Chef nicht begeistert
Dass nun womöglich "von unten eine Initiative kommt, die das Ende der Regierung herbeiführt", wie Schroeder das nennt: Nicht allen in der Hessen-FDP ist dabei ganz geheuer.
"Wir haben vor zehn Monaten darüber bestimmt, ob wir in der Ampel bleiben. Wir können nicht andauernd neu abstimmen", sagt Tim Hordorff, Landesvorsitzender des FDP-Nachwuchses von den Jungen Liberalen (JuLi). Auch wenn die Partner in der Ampelkoalition es der FDP schwer machten, bleibe noch ein Jahr für "gute Arbeit" bis zur Bundestagswahl.
Wichtig ist es laut Hordoff, dass die FDP dabei ihrem Programm treu bleibe - etwa in punkto Schuldenbremse. Gerade bei den Staatsfinanzen droht gerade neuer Koalitionskrach, wenn es um den nächsten Etat des Bundes geht.
Landespartei schweigt
Die Führung des hessischen FDP ist schmallippiger. Auf Anfrage heißt es lapidar: Einen Entscheid anzustreben, sei das gute Recht von Mitgliedern, das man achte. Ansonsten: kein Kommentar vom Landesverband, dessen Vorsitzende Ampel-Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger ist. Sie hat seit Wochen wegen einer Fördergeld-Affäre zu kämpfen, in deren Folge sie eine Staatssekretärin feuerte.
Wie sehr die gegenwärtige Krise der Partei an Spitzenvertretern nagt, hat sich erst vor kurzem im Landtag gezeigt. Es war ein Nervenzusammenbruch auf offener Bühne.
Ex-Fraktionschef René Rock und zwei weitere Mitglieder der Fraktion zettelten bei der Abstimmung über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Entlassungsaffäre im Wirtschaftsministerium vor aller Augen Streit an. Sie stimmten nur widerwillig für einen gemeinsamen Antrag von FDP und Grünen. Benachbarte Abgeordnete konnten mithören, wie Rock Oliver Stirböck, den Parlamentarischen Geschäftsführer der FDP, anfuhr: Er habe ihm gar nichts zu sagen.
Eine der Ursachen: Schon aus strategischem Prinzip fanden längst nicht alle in der FDP die enge Zusammenarbeit der Fraktionsspitze um Rock-Nachfolger Stefan Naas mit den Grünen in Sachen Untersuchungsausschuss gut.
Nicht aus der Deckung
Ob Wirtschafts- oder Umweltpolitik: Das Verhältnis der Hessen-FDP zu den Grünen ist schon lange von tiefer Abneigung geprägt. Und nun machen viele Liberale die Grünen auch noch für den Streit in der Ampel und damit für die Gefahr verantwortlich, dass ihre Partei anders als in früheren Krisen auf Nimmerwiedersehen in der Versenkung verschwindet.
Auch wenn sie anders als FDP-Ortsverbandschef Kasimir nicht aus der Deckung gehen: Hinter vorgehaltener Hand geben manche zu verstehen, dass ihnen ein vorzeitiges Ende der Bundesregierung recht wäre.
Auch der FDP-Führung in Berlin würde die heikle Entscheidung abgenommen, wie es mit der Nation und ihrer Partei weitergehen soll. Sie könnte im Falle eines Erfolgs des Entscheids darauf verweisen, dass der von ihr nicht angezettelte Beschluss der Basis eben unumstößlich ist. Initiator Kasimir ist jedenfalls zuversichtlich, dass seine Ampel-Frust-Initiative zum Ampel-Ende führt: Bisher seien die Reaktionen auf seine Initiative "zu 95 Prozent positiv".