Hessen Gefunden auf Ebay: Von Nazis geraubte Thoramäntel kehren zurück nach Herleshausen
In den Pogromnächten 1938 werden sie aus der Synagoge in Herleshausen entwendet, tauchen Jahre später wieder auf, verschwinden erneut und werden schließlich auf Ebay entdeckt: Nun kehren zwei kulturell wertvolle Thoramäntel zurück nach Herleshausen.
"Die Thora gilt im Judentum sozusagen als Königin", sagt Martin Arnold. Er ist Vorsitzender des Vereins Freundinnen und Freunde des jüdischen Lebens im Werra-Meißner-Kreis. "Man kleidet sie mit einem tollen Mantel, setzt ihr eine Krone auf", erläutert er. Das sei ein Zeichen des Respekts, den man der Schriftrolle erweise. Die Thora werde nur dann aus dem Mantel genommen, wenn sie im Gottesdienst verlesen wird.
Zwei solcher Mäntel haben gerade ihren Weg zurück nach Herleshausen (Werra-Meißner) gefunden. Der eine ist rot, der andere braun. Beide sind jeweils ungefähr einen Meter lang und 50 Zentimeter breit.
Entdeckt wurden sie völlig unerwartet im April. Arnold erinnert sich, er habe einen Anruf bekommen. "Wissen Sie, dass auf Ebay zwei Thoramäntel angeboten werden?", habe der Anrufer gesagt.
Man habe das Angebot auf der Verkaufsplattform sofort nachgeprüft, so Arnold, und tatsächlich: Es handelte sich um Thoramäntel, die 1938 während der Novemberpogrome der Nationalsozialisten aus der Herleshäuser Synagoge geraubt wurden.
Wiedergefunden und wieder verschwunden
Lange waren sie verschwunden, bis sie 1977 auf einem Dachboden im Ort wiederentdeckt wurden. Von dort sollten sie eigentlich nach Yad Vashem in die zentrale Gedenkstätte für die jüdischen NS-Opfer in Israel geschickt werden.
Doch dort kamen sie nie an. Die Gründe dafür sind unbekannt. Stattdessen landeten sie irgendwann in einem Antiquitätengeschäft in Frankfurt, das sie auf Ebay zum Verkauf anbot.
Finanzierung durch Spenden
Der Entschluss zum Kauf stand beim Verein Freundinnen und Freunde des jüdischen Lebens im Werra-Meißner-Kreis schnell fest. "Das ist uns so wichtig, Geldfragen regeln wir später", erinnert sich der Vereinsvorsitzende Arnold an die Entscheidung. Stemmen konnte der Verein die Ausgabe vor allem durch die Unterstützung vieler Menschen in Herleshausen. "Den Kaufpreis haben wir durch die Spenden bei weitem raus", freut sich Arnold.
Die Thorarollen standen auf Ebay zum Verkauf.
Die Thoramäntel stammten aus einer Haushaltsauflösung, berichtete der Verkäufer dem Vereinsvorsitzenden. Der Händler habe die Rollen zuerst per Post in den Werra-Meißner-Kreis senden wollen. Doch Arnold fuhr stattdessen selbst nach Frankfurt und erstand die Mäntel für 465 Euro.
Restaurierung durch Bonner Spezialistin
"Die Mäntel waren in einem angegriffenen Zustand", erinnert er sich. Die Restauration solcher historischen Stücke sei nicht einfach, doch man fand eine auf solche Fälle spezialisierte Textil-Restauratorin in Bonn.
3.500 Euro sollte die Instandsetzung beider Mäntel kosten - zu viel für den Verein. Deswegen wurde vorerst nur einer der beiden Mäntel von der Textil-Restauratorin behandelt.
Gestiftet anlässlich einer Bar Mizwa
Dass die beiden Mäntel tatsächlich einen direkten Bezug zu Herleshausen haben, wurde mithilfe eines Sprachexperten bestätigt. Der entzifferte die hebräische Inschrift.
Auf dem roten Mantel steht: "Josef Neuhaus und seine Frau Mina Neuhaus zur Erinnerung an die Bar Mizwa ihres Sohnes Fritz 5665." Die Jahreszahl bezieht sich auf die jüdische Zeitrechnung. Nach gregorianischem Kalender wurde der Mantel demnach 1905 anlässlich einer Feier der Religionsmündigkeit gespendet.
Die Familie Neuhaus stammte aus Herleshausen. In den 1930ern wanderte die Familie aus, um der Verfolgung durch die Nazis zu entkommen. Zu den Nachkommen pflegt der Verein noch immer Kontakt.
Neuer Platz in Synagoge Abterode
Anlässlich des jüdischen Fests Simchat Thora wurden die Mäntel am 24. Oktober nun erstmals einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert. Jetzt sollen die Mäntel wieder einen Platz in einem Gotteshaus finden. Da die Synagoge in Herleshausen 1938 zerstört und nie wieder aufgebaut wurde, kommen die Mäntel nun ins benachbarte Meißner-Abterode.
In der dortigen Synagoge sollen sie nicht nur Anschauungsstücke der Geschichte sein, sondern auch zur Bildungsarbeit in der Region dienen.