Hessen Nordhessische Krankenhäuser rutschen immer tiefer in die Krise
Personalmangel, Finanzierungslöcher und die geplante Reform lässt auf sich warten: Die Probleme in den hessischen Krankenhäusern sind vielfältig. Ein Querschnitt durch Nordhessen zeigt, wo es klemmt und was in den kommenden Jahren auf die Kliniken zukommt.
Nicht nur Gras, sondern ganze Bäume wachsen inzwischen über die Baustelle für die neue Klinik in Melsungen. Der Neubau des Allgemeinkrankenhauses in der nordhessischen Stadt ruht bereits seit 2018, vor mehr als einem Jahr wurde auch der Altbau geschlossen. Die Notfallversorgung der Region erfolgt nur noch über den ärztlichen Bereitschaftsdienst.
"Dieser Zustand wirkt auf uns inzwischen wie die Endstation der Melsunger Gesundheitsversorgung", sagt Roy Knauf, Sprecher der Bürgerinitiative "Melsunger Klinik vorantreiben". Er hat deshalb einen offenen Brief an die Landesregierung geschrieben. Denn die Fördergelder für den Neubau seien weiterhin verfügbar, heißt es von der Initiative.
Die Mitglieder der Bürgerinitiative (v.l.n.r.): Henry M. Wendel, Roy Knauf und Peter Jäger engagieren sich für eine eigene Klinik in Melsungen.
Kreis will jetzt lieber ein Versorgungszentrum
Der Kreis möchte allerdings statt einer kompletten Klinik inzwischen lieber ein Versorgungszentrum einrichten - und müsse dafür noch auf die Krankenhausreform warten, sagt Kreisbeigeordneter Jürgen Kaufmann (SPD).
Der vorherige Betreiber, der Hamburger Klinikverbund Asklepios, hatte den Standort 2023 vollständig aufgegeben. Auf eine Klage wegen Nichterfüllung der Verträge verzichtete der Kreis jedoch, obwohl der Kreistag sie bereits beschlossen hatte.
Auf diesem Grundstück sollte eigentlich eine neue Klinik gebaut werden. Stattdessen wächst es Stück für Stück zu.
Grundlage dafür sei ein Gutachten einer Rechtsberatung gewesen. Wie in vielen anderen Kliniken in Hessen hofft die Bürgerinitiative, dass die nun anstehende Krankenhausreform frischen Wind in die Sache bringt, über die Ende November der Bundesrat abstimmt.
Krankenhausreform soll 2025 kommen
Die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auf den Weg gebrachte Reform sieht vor, das Gesundheitssystem zu verschlanken und effizienter zu machen. Demnach müsste nicht jede deutsche Klinik alle Behandlungen anbieten, vielmehr soll vermehrt auf Spezialisierungen gesetzt werden.
Doch sowohl die Landesregierung in Wiesbaden als auch die Hessische Krankenhausgesellschaft fürchten um die Effektivität der Reform. "Kritisch wird insbesondere gesehen, dass sehr stark in die notwendigen Planungen für die die Länder zuständig sind, eingegriffen wird", teilt das Hessische Gesundheitsministerium dem hr auf Anfrage mit.
Diese Notaufnahme ist seit 1,5 Jahren zu: Das Krankenhaus in Melsungen hat seine Türen im März 2023 endgültig geschlossen.
Krankenhausgesellschaft für Überarbeitung der Reform
Dadurch drohe die Gefahr, "dass die Versorgung einer Region plötzlich in Frage gestellt sei, vor allem im Rahmen der Notfallversorgung", erklärt die Krankenhausgesellschaft. Deshalb müssten konkrete Punkte dringend in einem Vermittlungsausschuss überarbeitet werden.
Dabei komme besonders der Finanzierung eine Schlüsselrolle zu, weil 80 Prozent der Krankenhäuser aktuell rote Zahlen schreiben, wie die Krankenhausgesellschaft ausführt. Sie müssten mit Sofortmaßnahmen gerettet werden. Solche Maßnahmen gegen die akuten Finanzierungsprobleme der Krankenhäuser seien im Gesetzesentwurf allerdings gar nicht vorgesehen.
Viele hessische Krankenhäuser in der Krise
Welche Krankenhäuser und Leistungen durch die Spezialisierungen genau wegfielen, sei aus dem Entwurf noch nicht abzusehen. Dafür brauche es eine Auswirkungsanalyse, so die Krankenhausgesellschaft. Doch die Uhr ticke: Denn in vielen Krankenhäusern sei die finanzielle Lage derzeit schon schwierig. In drei Jahren, wenn die Krankenhausreform vielleicht zu wirken beginne, könnte es für diese Krankenhäuser schon zu spät sein. Einige Beispiele aus Nordhessen:
Die Beispiele vom mehreren nordhessischen Krankenhäusern zeigt, wie schwierig die Lage ist.
Ein beispielhafter Querschnitt durch die hessische Krankenhauslandschaft: Gleich mehrere Krankenhäuser in Nordhessen haben mit der wirtschaftlichen Lage zu kämpfen.
Werra-Meißner-Klinik reißt Loch in den Kreishaushalt
So riss etwa die Kreisklinik des Werra-Meißner-Kreises in Eschwege mit ihren Kosten erst kürzlich ein weiteres, etwa fünf Millionen Euro großes Loch in den mittlerweile 24-Millionen-Euro-defizitären Jahreshaushalt des Kreises.
Der Kreis und ein Sprecher der Klinik sagten dem hr dazu zwar, es werde laufend geprüft, ob und wo gespart werden könne. Aufgrund der Versorgungspflicht sei das aber gerade gar nicht weiter möglich, da die Klinik schon im Minimalbetrieb agiere und die Qualität der Behandlung nicht leiden dürfe.
Auch durch die Krankenhausreform könnten in Eschwege selbst aufgrund der großen Entfernung zu anderen Krankenhäusern keine Leistungen gestrichen werden, betont die Klinik. Entsprechend werde sich die finanzielle Situation laut Kreis in den kommenden Monaten sogar noch weiter verschlechtern.
Kreiskrankenhaus Frankenberg schreibt rote Zahlen
Im Krankenhaus in Frankenberg versucht man, eine solche Dimension derzeit zu vermeiden, der finanzielle Druck steigt aber auch hier. Allein bis Ende des Jahres müssen zusätzliche 3,1 Millionen Euro investiert werden, von denen der Kreis nach einem Beschluss 2,5 Millionen Euro übernimmt.
Gleichzeitig hat die Klinik schon jetzt damit zu kämpfen, die vorgesehenen Behandlungszahlen einzuhalten. Immer wieder können Leistungen, etwa in der Orthopädie, der Unfallchirurgie, der Inneren Medizin oder auch der Geriatrie nicht erbracht werden. Auch hier steuern die Verantwortlichen dagegen: Zwei neue Ärzte konnten in den vergangenen Monaten angestellt werden.
Bestimmte Abstriche in der Versorgung werden jedoch künftig unvermeidlich sein: "Eine gewisse Veränderung im Leistungsportfolio von Krankenhäusern ist im Zuge der veränderten Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen erforderlich", sagt die Landesregierung, "damit die Kliniken weiterhin - wirtschaftlich solide - gute bedarfsgerechte Medizin werden anbieten können".
Vorbereitungsschritte in diese Richtung begrüße das Gesundheitsministerium deshalb.
Kurorte stemmen sich gegen den Trend
Gerade in den Kurorten erzeugen diese Entwicklung und die wirtschaftlichen Unsicherheiten aber für immer mehr Besorgnis. Viele Reha-Kliniken versuchen ihren Standort derzeit noch mit allen Kräften zu sichern. Bei der Werra Klinik der Deutschen Rentenversicherung in Bad Sooden-Allendorf gelang das jedoch nicht.
Auch die Wicker-Kliniken ringen schon seit Monaten mit den steigenden Kosten: Mit der Reha-Klinik am Homberg in Bad Wildungen muss nun auch hier ein erstes Gebäude des Klinikverbunds schließen.
Die Klinik am Homberg in Bad Wildungen soll geschlossen werden.
Es war die erste größere Entscheidung der seit August tätigen neuen Geschäftsführung. Etwa 60 Kündigungen, vor allem in der Verwaltung, könnten nun ins Haus stehen.
Für Bad Wildungen könnte die Schließung aber erst der Anfang sein: Allein in diesem Kurort gibt es 21 Kliniken, von denen 18 auf Reha spezialisiert sind. Der Bürgermeister des Kurortes hofft aber, dass es sich zunächst um einen Einzelfall handelt.