Collage aus einem Portraitbild eines jungen Mannes in Farbe und einer Außenansicht des Gebäudes des Historischen Museums in schwarz-weiß. Beides vor einem einfarbigen mittelblauen Hintergrund.

Hessen Historisches Museum Frankfurt: Pro-Palästina-Aktivist darf nicht mehr als Guide arbeiten

Stand: 15.10.2024 11:39 Uhr

Nach seinem Engagement bei einem umstrittenen Pro-Palästina-Camp darf Daniel Shuminov keine Führungen mehr im Historischen Museum Frankfurt geben. Er vermutet dahinter politische Gründe. Das Museum begründet die Entscheidung ganz anders.

Von Danijel Majić

Vor dem Haus, in dem er nicht mehr willkommen ist, wird Daniel Shuminov freundlich begrüßt. "Na, machst Du mal wieder was für uns", wirft ihm ein Mitarbeiter des Historischen Museums zu, der gerade dabei ist, einen Stapel alter Programmzeitschriften zu entsorgen. Der Mann lächelt Shuminov freundlich an.

Shuminov steht ihm gegenüber. Schiebermütze auf dem Kopf, eine schwarz-weiß-karrierte Kufiya - im Volksmund: Palästinensertuch - über beiden Schultern. "Nein", sagt der 29-Jährige, "ich mache keinen Führungen mehr." Er habe keine neuen Aufträge erhalten. Dabei belässt es Shuminov. "Ja, schade", sagt der Mann und geht weiter seiner Arbeit nach.

Politischer Hintergrund vermutet

Der Konflikt, der sich hinter dem lapidaren Dialog vor dem Historischen Museum in Frankfurt verbirgt, ist aus Sicht von Daniel Shuminov mehr als nur "schade". Seit 2019 hat er für das Museum gearbeitet. Erst als Publikumsbetreuer, später als Tour-Guide. "Wie ein Zuhause" habe es sich angefühlt. Damit ist Schluss.

Mitte Juni wurde Shuminov mitgeteilt, dass er keine weiteren Führungen mehr anbieten dürfe. Anlass seien Beschwerden über die Qualität seiner Touren gewesen, hieß es zur Begründung. Shuminov hingegen vermutet einen politischen Hintergrund. Denn neben seiner Tätigkeit als Guide im Museum hatte er zuletzt noch eine andere Funktion inne - als Sprecher und Organisator des Pro-Palästina-Camps an der Goethe-Uni.

Camp noch vor Beginn umstritten

Ende Mai hatten pro-palästinensische Gruppen auf dem Campus Westend der Frankfurter Universität ein Protestcamp errichtet, um - so die Eigendarstellung - ihrer Solidarität mit dem palästinensischen Volk, insbesondere den Zivilisten in Gaza, Ausdruck zu verleihen. Eine Woche lang hielten zwischen 50 und 100 Aktivisten Protestkundgebungen, Diskussionen und Workshops ab.

Umstritten war das Camp bereits vor seiner Einrichtung. Die Universitätsleitung befürchtete, dass sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Gäste und vor allem jüdische Studierende bedroht fühlen könnten.

Der hessische Antisemitismus-Beauftragte Uwe Becker (CDU) sprach von einem "Propaganda-Camp", in dem "eine toxische Verschwisterung von linksextremistischem Antisemitismus und palästinensischem Israelhass" stattfinde.

Mendel: "Klar antisemitische Forderungen"

Strafrechtlich relevante Vorfälle hat es nach Angaben des Frankfurter Polizeipräsidiums während des einwöchigen Protestcamps nicht gegeben. Die Camp-Organisatoren hätten mit der Polizei kooperiert und sogar im Voraus abgeklärt, ob Slogans auf Plakaten und Schildern zulässig seien.

Der Kritik an dem Camp tat dies indes keinen Abbruch. Der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, sprach von "klar antisemitischen Forderungen". Die Teilnehmer forderten "einen Staat Palästina auf dem gesamten Gebiet vom Mittelmeer bis zum Jordanfluss, was faktisch bedeute, dass Israel nicht mehr existieren solle", so sein Resümee nach einem Besuch des Camps.

Den Organisatoren wurde unter anderem zum Vorwurf gemacht, sich nicht eindeutig von der Terrororganisation Hamas zu distanzieren, die sich für das Massaker an mehr als 1.000 Israelis am 7. Oktober 2023 verantwortlich zeichnet. Unter anderem sei die Teilnahme der Aktivistin Aitak Barani geduldet worden.

Barani hatte bundesweit Aufmerksamkeit erregt, als sie unmittelbar nach dem Massaker gegenüber Medien erklärte, dass es "keinen Terror der Hamas" gebe. Auch Shuminov weigerte sich seinerzeit gegenüber Medien, ein eindeutiges Statement zur Hamas abzugeben.

Keine neuen Aufträge

Shuminov ist nun überzeugt, dass die Kontroverse um das Protestcamp der Grund für seine Nicht-Weiterbeschäftigung durch das Historische Museum ist. "Bei internen Diskussionen, an denen ich mich nicht beteiligen konnte, wurden sicherlich öffentliche Stimmen gescannt. Ich denke, dass da einiges relevant war."

Shuminov gibt an, am 13. Juni telefonisch von einer Vorgesetzten informiert worden zu sein, dass es im Historischen Museum "Bedenken" wegen seiner Rolle im Protestcamp geben würde. Fünf Tage später sei er erneut telefonisch kontaktiert und ihm mitgeteilt worden, dass er vorerst keine neuen Aufträge erhalten werde.

Gleichzeitig sei ihm angekündigt worden, dass es im August ein klärendes Mitarbeitergespräch geben soll. Von diesem sei er jedoch "ausgeladen" worden, nachdem er auf eine Protokollierung bestanden habe. "Bei dieser Ausladung kam dann auch das erste Mal die Begründung, dass die Suspendierung mit der Qualität meiner Führung zusammenhinge."

Museum: Dialogangebote nicht angenommen

Dieser Darstellung widerspricht das Historische Museum auf hr-Anfrage vehement. In einer schriftlichen Stellungnahme erklärt die Museumsleitung, dass es bereits seit Ende 2023 vermehrt zu Beschwerden über Shuminovs Führungen gekommen sei. Besucher hätten sich "indoktriniert" und "respektlos behandelt" gefühlt, heißt es auf Nachfrage.

Daraufhin habe sich das Museum in mehreren Gesprächen um Klärung bemüht und Hilfestellungen angeboten. Jedoch seien diese Bemühungen ohne Erfolg geblieben. Daher werde Shuminov derzeit nicht mehr als Guide gebucht.

Das Museum habe klare Vorgaben für die inhaltliche Durchführung der Führungen. Der Bildungsauftrag müsse erfüllt werden. Wenn sich die Guides nicht an diese Vorgaben hielten oder sie missachteten, sei es unmöglich, sie weiter zu buchen. Mit seinem politischen Engagement oder seiner Religion habe dies nichts zu tun.

Shuminov sieht sich als Opfer einer Kampagne

Konkretere Angaben zur Kritik an Shuminovs Führungen macht das Museum nicht. Shuminov selbst gibt an, dass er zuletzt schwerpunktmäßig Führungen zum Thema "Faschismus in Frankfurt" angeboten habe. Tatsächlich sei es bei zwei Gelegenheiten zu Beschwerden gekommen.

In einem Fall hätten sich Besucherinnen daran gestört, dass er ihnen angeboten habe, ihn zu duzen. Außerdem sei die Aussage, dass Gastarbeiter am Wiederaufbau Deutschlands beteiligt gewesen seien, kritisiert worden. In einer zweiten Beschwerde sei behauptet worden, er würde Jüdinnen und Juden nicht als Opfergruppe benennen. Ein Vorwurf, den er als "absurd" zurückweist.

Shuminov wertet seine Nicht-Weiterbeschäftigung folglich als Teil einer anhaltenden Kampagne, die auf den systematischen Ausschluss pro-palästinensischer Stimmen aus dem öffentlichen Diskurs abziele.

Studierendenverband spricht von Holocaust-Verharmlosung

Konkrete Kritik an dem von Shuminov vermittelten Geschichtsbild hat unter anderem der Verband Jüdischer Studierender in Hessen (VJSH) formuliert. So soll Shuminov bei einer Podiumsdiskussion Ende Juni behauptet haben, man könnte nicht nur den deutschen Faschisten vorwerfen, dass es so wenig Juden in Deutschland gebe, "sondern auch jenen, die der Ansicht gewesen wären, man könne nicht mehr hier in Deutschland zusammenleben und die sich daher zur Selbstabschiebung irgendwo anders hin entschieden hätten".

Damit seien unter anderem zionistische Organisationen, die sich schon damals für einen jüdischen Staat eingesetzt hätten, gemeint gewesen. Der VJHS sieht darin eine "Täter-Opfer-Umkehr", was letztlich eine Verfälschung und Verharmlosung des Holocaust darstelle. Shuminov hingegen spricht davon, dass zwei getrennte Aussagen von ihm "künstlich zusammengezogen" und dadurch falsch wiedergegeben worden seien.

So habe er bei der genannten Podiumsdiskussion lediglich darauf hingewiesen, dass Jüdinnen und Juden bei Veranstaltungen des Protestcamps deutlich überrepräsentiert gewesen seien - obwohl sie in Deutschland lediglich 0,2 Prozent der Bevölkerung stellen.

Bei einer anderen Veranstaltung habe er darauf hingewiesen, dass der "jüdische Mittelstand" in Deutschland die Vorstellung der zionistischen Bewegung, ein jüdisches Siedlungsgebiet außerhalb Europas zu etablieren, als "absurd" und "Selbstabschiebung" aufgefasst habe.

Mehr als 1.200 Unterschriften für Weiterbeschäftigung

Solidarität erfährt Shuminov derweil erwartungsgemäß aus dem linken und pro-palästinensischen Spektrum. Einen offenen Brief, der seine Weiterbeschäftigung im Historischen Museum fordert, haben mittlerweile mehr als 1.200 Personen und 39 Gruppen unterzeichnet.

Ein juristisches Vorgehen erwägt Shuminov derzeit nicht. Dies könne mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Das würde ihn zu sehr davon ablenken, den "Genozid" in Gaza zu thematisieren.