Videokameras im Frankfurter Bahnhofsviertel

Hessen Kritik an Plänen von CDU und SPD für mehr Videoüberwachung in Hessen

Stand: 18.10.2024 10:13 Uhr

Die Landesregierung will mit einem neuen Gesetz das Sicherheitsgefühl der Hessinnen und Hessen verbessern. Aus dem geplanten Paket ist der Vorstoß für mehr Videoüberwachung bei Fachleuten und Opposition besonders umstritten.

Von Simone Behse

Der Jägertunnel in Marburg ist das, was Experten einen Angstraum nennen. Eine düstere, nur schwer einsehbare Gleisunterführung nahe dem Bahnhof, eher gemieden als genutzt. Ein Ort, an dem schnell was passieren kann und hin und wieder auch passiert - ein Überfall etwa oder eine Belästigung.

Nach zwei sexuellen Übergriffen auf Studentinnen vor einigen Jahren war klar, dass der Jägertunnel sicherer werden muss. Mit mehr Beleuchtung, bunten Graffitis an den kahlen Betonwänden – und einer Überwachungsanlage mit Kameras und Sprechverbindung. Die hat 50.000 Euro gekostet und ist inzwischen seit mehr als sechs Jahren aktiv.  

 

Knopf mit Beschriftung Video an am Tunneleingang in Marburg

Auf Knopfdruck kann im Jägertunnel in Marburg mit der Feuerwehr-Leitstelle Kontakt aufgenommen werden, die im Notfall die Polizei alarmiert und die Videoüberwachung startet.

Eine Investition, die sich gelohnt hat, findet Johannes Maaser. Er ist beim Marburger Ordnungsamt für Prävention zuständig und somit auch für die Anlage. Das Ergebnis einer Befragung unter Passantinnen und Passanten sei eindeutig, das Fazit durchweg positiv, berichtet er. "Die Leute geben an, dass sich die Sicherheit erhöht und dass sie den Weg häufiger nutzen, als wenn die Anlage nicht da wäre." 

Besseres Sicherheitsgefühl für Hessen

Was die Marburger geschafft haben, nimmt sich die Landesregierung nun als Beispiel für ganz Hessen und will mit mehr Videoüberwachung das Sicherheitsgefühl der Menschen verbessern. Dieses sei "durch islamistische und rechtsextremistische Terrorakte und Gewaltdelikte stark beeinträchtigt", erklärt die schwarz-rote Koalition in einem neuen Gesetzentwurf. Darin enthalten ist ein Maßnahmenkatalog, um die innere Sicherheit zu stärken. 

Dazu zählen Kontrollen und Durchsuchungen in Waffenverbotszonen sowie mehr oder schärfere Einsatzmöglichkeiten für Gewahrsam, elektronische Fußfesseln und polizeiliche Bodycams. Außerdem Regeln für den Einsatz von Drohnen. Und eben mehr Überwachungskameras. Genau die stehen im Mittelpunkt der Kritik am geplanten Gesetz. 

Präventiver Einsatz von Videoüberwachung

Denn mit mehr Videoüberwachung verfolgt Innenminister Roman Poseck (CDU) vor allem ein Ziel: Straftaten vorbeugen und verhindern. Etwa vor Synagogen zum Schutz vor antisemitischen Angriffen, die in den vergangenen zwölf Monaten stark zugenommen haben. Aber auch Angsträume, also Orte, die Menschen aus Sorge vor Verbrechen meiden, sollen zukünftig überwacht werden dürfen.  

 

Bislang sei die Videoüberwachung davon abhängig, ob es sich um einen Kriminalitätsschwerpunkt handelt", erläutert Poseck. "Aber wollen wir wirklich immer erst warten, bis es zu schwerwiegenden Straftaten gekommen ist? Oder sollten wir nicht, und das ist unser Ziel, hier frühzeitig präventiv handeln?", fragt der Innenminister.  

Ein Argument, das durch die aktuelle Studienlage jedoch widerlegt wird, erklärt Tobias Singelnstein, Professor für Kriminologie und Strafrecht an der Goethe-Universität in Frankfurt. "Die präventive Wirkung von Videoüberwachung ist sehr begrenzt." Videokameras alleine führten nicht zu weniger Straftaten, auch würden Leute kaum abgeschreckt. Hauptzweck von Kameras sei vielmehr die repressive Wirkung, also die Sammlung von Beweisen, um eine Tat aufzuklären und Täter zu identifizieren. 

Kritiker sehen Gefahr für die Grundrechte

Auch die Opposition im hessischen Landtag kritisiert am Gesetzentwurf besonders die Ausweitung der Videoüberwachung. Allen voran die FDP. Deren innenpolitischer Sprecher Moritz Promny fordert mehr Menschen statt mehr Maschinen: "Selbst wenn eine Straftat von einer Videokamera aufgezeichnet wird, wird sie von ihr noch nicht lange bekämpft." Dafür brauche es die Polizisten vor Ort.

Und noch etwas stört die Freien Demokraten: Videoüberwachung schränke die Grundrechte eines jeden ein, genauer: das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Das bedeutet, dass jeder selbst über die Aufnahme und Speicherung personenbezogener Daten entscheiden kann. Schon jetzt überwacht die hessische Polizei 43 Bereiche im Land mit 361 Kameras.

Je mehr Kameras es werden, desto tiefer werde in Grundrechte eingegriffen. Ein Aspekt, der nach Ansicht des Frankfurter Rechtsprofessors Singelnstein in der öffentlichen Debatte unterschätzt wird.

"In der gegenwärtigen politischen Lage mag es uns vielleicht nicht besonders brenzlig erscheinen, dem Staat solche Befugnisse einzuräumen." Wohl aber, warnt Singelnstein, falls eine Partei wie die AfD, die in Teilen als gesichert rechtsextrem gilt, als Mitglied einer Regierung darüber verfügen könnte. "Da muss man deutlich machen, dass man sehr sorgfältig abwägen sollte, wenn es um die Ermöglichung derartiger Grundrechtseingriffe geht." 

Marburg ist nicht Hessen

Beim Jägertunnel in Marburg ist es der Stadt mit einem Kniff gelungen, die Persönlichkeitsrechte zu wahren. Statt rund um die Uhr zu laufen, muss die Überwachungsanlage erst per Knopfdruck aktiviert werden. Diese Knöpfe sind im Abstand von zehn Metern im ganzen Tunnel angebracht, erklärt Johannes Maaser vom Ordnungsamt.

Wer den Knopf drückt, landet bei der Einsatzzentrale der Feuerwehr. "Dort wird man gesehen und man kann kommunizieren." Im Notfall alarmiert der Diensthabende dann die Polizei. "Sieht der Beamte oder die Beamtin relevante Bilder, startet er oder sie die Aufzeichnung." 

Das geschieht nach wie vor etwa fünfmal die Woche. Ein System, das für den Jägertunnel funktioniert. Ob auch für ganz Hessen, bezweifelt Maaser jedoch. Genauso wie die Opposition und die Experten.