Hessen Luxus-Behandlung in Drip Bars: Vom Sinn und Unsinn der Vitamininfusion
In Drip Bars werden Vitamin-Cocktails nicht getrunken, sondern in die Vene gespritzt: Ein Luxus-Trend aus den USA, der nun in Frankfurt angekommen ist. Dort erfährt eine neue Drip Bar viel Zulauf. Dabei warnen Mediziner vor Risiken.
Kaffeeduft an der Empfangstheke, eine moderne Siebträgermaschine und ein Gang, der zu einer Tür führt mit der Aufschrift: Infusionsraum. Anfang September hat eine sogenannte "Drip Bar" in Frankfurt eröffnet.
In Stoffsesseln unter gedimmtem Licht lassen sich Kundinnen und Kunden dort Kochsalzlösung und hochdosierte Vitamine direkt in die Vene laufen - in der Hoffnung, ihrem Immunsystem etwas Gutes zu tun.
Vitaminkur für über 100 Euro
Obwohl das Geschäft erst Anfang September geöffnet hat, kommen laut einer Sprecherin monatlich bereits 120 Menschen pro Monat zum "drippen" in die Filiale. Ein teurer Wellness-Trend aus den USA, der durchaus Risiken birgt.
In den Vitaminkuren enthalten sind hochdosiertes Vitamin C, verschiedene Aminosäuren und Elektrolyte. Etwa eine Stunde dauert die Infusionsbehandlung. Dafür bezahlt man 159 Euro.
Die Versprechen der sogenannten Drip Bars reichen von Entgiftung und Regeneration bis hin zu Linderung bei einem Kater. Doch stimmt das?
Medizinische Wirksamkeit nicht ausreichend belegt
Dr. Uwe Popert ist Hausarzt und Mitglied der Leitlinienkommission der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin. Er sagt, dass Infusionen "eigentlich nur für Notfälle gedacht sind".
Dass Menschen sich eine Infusion legen lassen - mit Inhaltsstoffen, die man eigentlich auch als Tablette schlucken könnte - hält er für leichtsinnig. "Eine Evidenz dafür, dass das notwendig ist, gibt es nicht, sondern das scheint eine Modeerscheinung zu sein", erklärt Popert.
Ich kann beim besten Willen nicht nachvollziehen, warum man dafür einerseits viel Geld ausgeben würde und andererseits das Risiko einer relativ einschneidenden Maßnahme eingehen will. Dr. Uwe Popert, Hausarzt
Eine Studie mit 34 Probanden kam beispielsweise zu dem Ergebnis, dass sich die Placebo-Gruppe nicht nennenswert von der Kontrollgruppe unterschieden hat. Uwe Popert sieht die Infusionen in Drip Bars daher sehr kritisch.
Es gebe das Risiko von Infektionen, einer Volumenüberlastung oder allergischen Reaktionen auf die Inhaltsstoffe, so Popert.
Mediziner warnt vor Allergieschock
Allergische Reaktionen nach Vitamininfusionen hat der Allgemeinmediziner Tassilo Scherle bereits in seiner Praxis erlebt. Er hat früher selbst Immuninfusionen angeboten. Davon hat er mittlerweile Abstand genommen, weil er "lebensgefährliche Komplikationen gesehen" habe.
Zwei Mal sei es "zu einem lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schock gekommen", sagt der Allgemeinmediziner.
Tassilo Scherle sieht Infusionsbehandlungen außerhalb von Arztpraxen kritisch.
Beim Unternehmen DripDrip gab es laut eigenen Angaben noch keine Nebenwirkungen. Alle vier Standorte zusammengezählt, nehmen im Schnitt 600 Kunden pro Monat die Lifestyle-Infusion in Anspruch, gibt das Unternehmen an.
Behandlung durch Heilpraktikerinnen
Die Auswahl-Palette an Drips ist groß, genauso wie die Versprechen: Die Infusionen sollen schöner machen, zur Regeneration beitragen oder gegen den Kater helfen. Zwischen 100 und 400 Euro kosten die Behandlungen etwa. Bei Dripdrip werden sie von Heilpraktikerinnen und Heilpraktikern durchgeführt.
Die Heilpraktikerin Anne-Kathrin Niederhüfner ist von der Wirkung der Infusionstherapie überzeugt.
Anne-Kathrin Niederhüfner ist eine dieser Heilpraktikerinnen und sagt, sie sei überzeugt von der Wirkung. "Durch die intravenöse Gabe der Nährstoffe wird der Gastrointestinaltrakt, also unser Verdauungstrakt, umgangen und dadurch ist die Aufnahme wesentlich schneller und auch effektiver", so Niederhüfner.
Allgemeinmediziner Popert argumentiert dagegen: Wäre ein Nutzen solcher Infusionen erwiesen, dann würden die Krankenkassen die Behandlung bezahlen. Außerdem warnt der Arzt, dass fettlösliche Vitamine überdosiert werden können: "Das sind die mit den Abkürzungen E, D, K, und A", so Popert. "Die müssen entsprechend vorsichtig gehandhabt werden."
Vitamin C hingegen ist wasserlöslich. Dieses werde relativ einfach mit dem Urin wieder ausgeschieden, erklärt er. Ob es aber hilfreich ist, sich Vitamin C intravenös verabreichen zu lassen, bezweifelt er. Man könne wasserlösliche Vitamine "zwar reinlaufen lassen, aber es macht keinen Sinn - weil sie hinterher wieder im Urin sind", sagt Popert.
Infusion bei gesunden Menschen nicht notwendig
Menschen, die sich durchschnittlich ernähren, bekommen laut Tassilo Scherle in der Regel keinen Vitaminmangel. Aber was ist, wenn man wirklich unter einem Nährstoffmangel leidet?
"Es gibt vielleicht drei bis vier Bereiche, wo man wirklich mal einen Mangel entwickeln kann", sagt Scherle. Das sind Vitamin D, Vitamin B12, Folsäure und Eisen." Diese Stoffe könne man problemlos als Tabletten zu sich nehmen, "was deutlich ungefährlicher ist", so der Mediziner.
Die einzige Ausnahme sei Eisen, das in Tablettenform von manchen Menschen nicht vertragen werde. In einem solchen Fall könne man auf eine Infusion zurückgreifen, erklärt Scherle weiter.
Auch der klinische Forscher und Arzt Maximilian Huttasch bezeichnet die Lifestyle-Infusionen auf seinem Social-Media-Kanal als "kompletten Unsinn" ohne wissenschaftliche Belege.
Die Vitamininfusionen würden insbesondere nicht bei der Entgiftung oder der Regulation des Säure-Basen-Haushalts helfen und auch nicht zur Verjüngung oder dem Entfetten der Leber beitragen, erklärt er auf Instagram.
Erfolgreiches Geschäftsmodell
In Schönheits- und Naturheilpraxen ist die Infusionstherapie dennoch schon lange verbreitet. Auch einige Arztpraxen bieten sie an. Dass die Infusionstherapie als Wellnessangebot zum alleinigen Geschäftsmodell wird - wie in der Frankfurter Filiale - ist in Hessen neu.
Ich finde diese Preisdimensionen absolut überhöht. Tassilo Scherle, Hausarzt
Die hohen Preise der Lifestyle-Infusionen sieht der Arzt Tassilo Scherle kritisch: "Ich finde diese Preisdimensionen absolut überhöht, da wir häufig nur eine Kochsalzinfusion und relativ günstige Vitaminpräparate haben und auch die Abrechnungen selbst in der Privatpraxis häufig deutlich darunter liegen."
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung des Berichts wurde nicht deutlich, dass eine im Beitrag gezeigte Protagonistin bei einem Gesundheitsanbieter unter der gleichen Adresse arbeitet. Wir haben den Bericht darum überarbeitet.