Hessen Prozess in Fulda: Wie ein Ex-Pfarrer seinen Missbrauch zu erklären versucht
Weil er sexuelle Online-Chats mit Minderjährigen gehabt haben soll, wartet ein katholischer Priester nun auf sein Urteil. Die Anklage fordert eine lange Haftstrafe. Für die Verteidigung gehört der geständige 43-Jährige nicht ins Gefängnis.
Im Prozess gegen einen ehemaligen Pfarrer aus Kalbach (Fulda) hat die Staatsanwaltschaft wegen sexuellen Kindesmissbrauchs ohne Körperkontakt eine lange Freiheitsstrafe gefordert. Sie plädierte am Montag in der Verhandlung am Landgericht Fulda auf viereinhalb Jahre Haft.
Die Verteidigung und die Anklage lagen mit ihren Strafmaß-Empfehlungen weit auseinander. Der Anwalt des 43 Jahre alten Angeklagten hält eine Freiheitsstrafe für angemessen, die zwei Jahre nicht überschreitet und zur Bewährung ausgesetzt wird. Sein Appell an das Gericht: "Bitte stecken Sie meinen Mandanten nicht in Gefängnis."
Kinder und Jugendliche in Chats kontaktiert
Dem ehemaligen Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde in Kalbach wird vorgeworfen, zwischen September 2021 und Juli 2022 auf einer Chat-Plattform Kinder und Jugendliche kontaktiert haben. Dort soll er ihnen laut Anklage kinderpornografische Videos vorgespielt haben. Außerdem soll er sie aufgefordert haben, sich vor der Webcam auszuziehen und sexuelle Handlungen vorzunehmen.
Von den Webcam-Übertragungen soll der Angeklagte heimlich Aufnahmen angefertigt und diese auf seinem Computer gespeichert haben. Die Videos soll er auch Dritten zugänglich gemacht haben.
Rund 70 Fälle sind angeklagt
Deswegen muss er sich neben dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs ohne Körperkontakt auch wegen des Verdachts des Herstellens und des Besitzes von Material mit sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche verantworten.
Rund 70 Fälle sind angeklagt. Die Opfer sind nicht identifiziert. Einige Personen waren in den Videos auch maskiert.
Frühes Geständnis
Zu Prozessbeginn hatte der 43-Jährige die Taten weitgehend eingeräumt. In einer Erklärung, die von seinem Anwalt verlesen wurde, zeigte er Reue und sagte: "Ich habe damals zu meiner Schande wenig über die Folgen meines Handelns nachgedacht." Inzwischen sei ihm klar, dass er "großes Leid" bei den Minderjährigen ausgelöst habe.
Auch zum Ende der Plädoyers ergriff der Angeklagte am Montag das Wort, verlas eine seitenlange Erklärung. Darin versuchte er seine Situation zu erklären, die ihn zu seinem Handeln bewegten. Er wolle nichts beschönigen oder relativieren. Ihm sei klar geworden, dass er sich falsch verhalten habe. Er schäme sich und bedauere sehr, dass er Kinder und Jugendliche zu Sexualobjekten gemacht habe.
"Keine Manipulation, sondern Interaktion"
In einer Lebensphase, in der beruflich und privat gestresst gewesen sei, habe er sich in die Chats gestürzt. Erst anonym, ohne Bild. Doch er habe gemerkt, dass er dann ignoriert werde. Um sich in Chats interessant zu machen, habe er den Anwesenden (Kinder-)Pornos gezeigt.
Er erklärte: Wenn man nichts Aufregendes zeige, bekomme man keine Aufmerksamkeit. Er habe die Anwesenden in den Chats nicht als Opfer, sondern als Suchende wahrgenommen. Es sei "keine Manipulation, sondern Interaktion" mit den Kindern und Jugendlichen gewesen. Sie hätten die Chats ja schließlich jederzeit verlassen können, sagte er.
Pfarrer im "Teufelskreis"
Nichtsdestotrotz schäme er sich und sei schockiert, dass er so tief in den "Teufelskreis und eine Abwärtsspirale" geraten sei. Er würde sich gern bei allen entschuldigen. Er betonte, dass es nur zu sexuellen Kontakt in der virtuellen Welt gekommen sei - nicht zu realen Begegnungen. Er sei nicht pädophil. Das habe auch ein Gutachten bestätigt. Die Psychiaterin stellte auch fest, dass der Angeklagte voll schuldfähig sei.
Der Angeklagte kritisierte, dass sein Fall von den Medien aufgebauscht werde. Sein Eindruck: Nicht nur er als Privatperson sitze auf der Anklagebank, sondern ein ganzer Berufsstand. In der Vergangenheit gab es immer wieder Schlagzeilen wegen sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche.
Verteidigung fürchtet "grobe Keule"
Sein Verteidiger sieht in dem Verfahren die Gefahr, dass das Gericht ein besonders hartes Urteil fällen könne, buchstäblich die "grobe Keule" raushole, um die Öffentlichkeit bei diesem gesellschaftlich brisanten Thema zu besänftigen.
Der Verteidiger bezweifelte auch, dass man von besonders schwerem Missbrauch sprechen könne. Er fragte zudem, wie man sicher sein könne, dass es sich in einigen Fällen tatsächlich um Kinder (bis 14 Jahre) gehandelt habe. In Chats selbst geäußerte Altersangaben seien nicht verlässlich.
Der Anwalt gab für das Strafmaß zu bedenken, dass der Angeklagte frühzeitig gestanden habe und kooperativ gewesen sei. Er habe auch auf eigene Initiative und Kosten eine Therapie begonnen. Mit der aktuellen Situation sei der Angeklagte ohnehin schon gestraft. Er befinde sich in einem existenzbedrohenden Zustand mit ruiniertem Ruf: sozial isoliert, ohne Beschäftigung, öffentlich geächtet und ohne berufliche Perspektive.
Anfangs zurückhaltend, dann fordernder
Die Vertreterin der Anklage stellte hingegen die Schwere der Taten heraus. Nach anfänglicher Zurückhaltung sei der Geistliche in den Chats immer forscher und fordernder aufgetreten. Er habe sich angeschaut, wie sich Jungen und Mädchen nackt präsentierten und Selbstbefriedigung betrieben. Der Angeklagte habe dabei onaniert.
Die Anklage legt ihm zur Last, durch Zusammenschnitte von aufgezeichneten Chats für neue Kinderpornos gesorgt zu haben. Die Staatsanwältin gab zu bedenken: Die sexuell aufgeladenen Chats könnten die Kinder und Jugendlichen lange Zeit in ihrer Entwicklung negativ beeinflussen und schädigen.
Sicherungsverwahrung kein Thema
Eine Sicherungsverwahrung des Angeklagten kommt für die Anklage nicht in Frage. Dem Pfarrer fehle der Hang, weitere Straftaten begehen zu wollen. Er sei auch keine Gefahr für die Allgemeinheit. Das Urteil wird am nächsten Montag (10 Uhr) gesprochen.
Aufmerksam wurden die Behörden in Deutschland übrigens durch einen Tipp aus den USA. Dort waren die Chat-Aktivitäten aufgefallen. In Folge dessen wurden im Juli 2022 die Wohn- und Büroräume des Pfarrers in Kalbach durchsucht. Die deutschen Ermittler stellten elektronische Speichermedien und IT-Hardware mit belastendem Material sicher.