Hessen Buchmesse 2024: Regierungskritische Autoren aus Italien "wie Abtrünnige"
Mit einem offenen Brief hatten sich italienische Autoren im Vorfeld der Buchmesse gegen den offiziellen Auftritt Italiens als Ehrengast gewandt. Gekommen sind sie trotzdem: Um ein "Gegenprogramm" zu bieten und unliebsamen Stimmen die Bühne zu geben.
Eine Debatte um den offiziellen Ehrengast-Auftritt Italiens hatte im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse für einen innenpolitischen Eklat gesorgt - und auch am ersten offiziellen Messetag an diesem Mittwoch war der Ehrengast-Auftritt das dominierende Thema. Regierungskritische Stimmen würden davon ausgeschlossen, so der Vorwurf.
Auf einer Veranstaltung, die nicht zum offiziellen Programm des Gastlandes gehört, kritisierten italienische Autoren und Autorinnen den Umgang der ultrarechten italienischen Regierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (Partei Fratelli d'Italia) mit regierungskritischen Intellektuellen am Mittwoch scharf.
Vorwurf: Kritische Stimmen werden nicht gehört
Der diesjährige Ehrengast-Auftritt zeige, dass literarische Stimmen, die nicht mit den politischen Zielen der Regierung unter Meloni übereinstimmten, nicht gehört würden, betonte der italienische Autor Antonio Scurati bei dem Podiumsgespräch. Dies entspreche dem politischen Klima in Italien.
Er und die zwei weiteren italienischen Schriftsteller auf der Bühne, Paolo Giordano und Francesca Melandri, sind separat und nicht als Teil der offiziellen Autoren-Delegation des Buchmesse-Sonderbeauftragten Mauro Mazza nach Frankfurt gereist.
"Ich wurde als Feind behandelt"
"Ich wurde als Feind behandelt - wie ein Hund", sagte Antonio Scurati. Er hätte im April zum italienischen Nationalfeiertag im staatlichen italienischen Fernsehsender Rai sprechen sollen. Seine Rede habe er zuvor bei den Journalisten eingereicht. Kurz vor dem Auftritt sei er darüber informiert worden, dass ebendieser plötzlich abgesagt wurde.
Ministerpräsidentin Giorgia Meloni habe später auf Facebook verbreitet, dass er zu viel Geld verlangt habe. Er sei in der Vergangenheit von der Regierung und den staatlichen Medien immer wieder "persönlich angegriffen, diffamiert und zensiert" worden. "Das passiert Menschen, die kritisch sind gegen die Macht."
In seiner Bestseller-Romanreihe "M" schreibt Scurati über den Aufstieg Benito Mussolinis, der 1922 bis 1943 als Diktator das faschistische Italien regierte.
Giordano initiierte Protest-Brief
Autor Paolo Giordano, der ebenfalls auf der Bühne saß, hatte nach der Bekanntgabe der italienischen Autoren-Delegation einen offenen Brief italienischer Schriftsteller initiiert, der unter anderem an den Direktor der Buchmesse, Juergen Boos, gerichtet war. Giordano ist Drehbuchautor, Physiker, Schriftsteller ("Die Einsamkeit der Primzahlen") und hatte zuletzt in einer italienischen Tageszeitung über die Seenotrettung im Mittelmeer geschrieben.
41 Literaten hatten ihren Namen unter den Brief gesetzt: Sie werfen der Regierung vor, nicht genehme und regierungskritische Stimmen von der Buchmesse auszuschließen und kritisierten die offizielle Ehrengast-Programmgestaltung auf der Buchmesse.
Ausschluss Savianos wirkte wie "ein Katalysator"
Mehrere Autoren hatten sich daraufhin aus Protest aus der offiziellen Delegation zurückgezogen. Auslöser des Briefs war insbesondere die Nichteinladung des renommierten Mafia-Enthüllungsautors Roberto Saviano ("Falcone").
Savianos Ausschluss habe wie ein "Katalysator für uns andere italienische Autoren und Autorinnen" gewirkt, sagte Paolo Giordano. Saviano gilt als einer der vehementesten Kritiker von Ministerpräsidentin Meloni.
Italienische Autoren bemühten sich um "Gegenprogramm"
Auf die anfängliche Bestürzung sei der Wunsch gefolgt, "eine Art Gegenprogramm zum offiziellen Ehrengast-Auftritt aufzustellen", erklärte Giordano. "Wir sind praktisch wie Abtrünnige auf der Buchmesse", sagte er am Mittwoch.
Gemeinsam mit der Schriftstellervereinigung PEN Berlin e.V., die von Autorin Eva Menasse und dem Journalisten Deniz Yücel geleitet wird, organisierten Giordano und weitere Autoren mehrere Veranstaltungen, die die Lage der Kultur, Meinungs- ubd Kunstfreiheit in Italien thematisieren.
"Für Themen, die italienischen Autor und Autorinnen unter den Nägeln brennen und die möglicherweise nicht ganz vom offiziellen Gastland-Auftritt abgedeckt werden", moderierte Autorin Menasse von PEN Berlin die Veranstaltung an.
Autor Saviano mehrmals auf der Bühne zu sehen
So sprechen am Samstag um 14 Uhr zum Beispiel der italienische Autor Roberto Saviano und PEN Berlin-Vorsitzender Deniz Yücel über das "Schreiben in illiberalen Zeiten". Saviano ist nun auf Einladung seines Verlags nach Frankfurt gereist und spricht auch am Samstag auf der Literaturbühne von ARD, ZDF und 3sat.
Ehrengast-Pavillon erinnert an "Beerdigungsinstitut"
Antonio Scurati betonte bei dem Gespräch am Mittwoch, dass auch er als Nicht-Mitglied der italienischen Delegation ein Vertreter der italienischen Kultur sei. Die offizielle Präsentation im Ehrengast-Pavillon sei dem Anlass nicht würdig, kritisierte er. "Das erinnert ja an ein Beerdigungsinstitut."
Italiens Ehrengast-Motto "Verwurzelt in der Zukunft" zeige, dass es an der Zeit sei, die Wurzeln Italiens zu kappen - und spielt damit auf die faschistische Geschichte Italiens an. Stattdessen habe Italien auch "Wurzeln, die sich im Kampf gegen den Faschismus" nährten.
Gegen den amtierenden italienischen Kulturminister Alessandro Giuli, der am Dienstagabend bei der Eröffnungsfeier sprach, teilte Scurati aus: Giuli sei vor Jahren Mitglied einer neofaschistischen Vereinigung in Italien gewesen. "Hat er sich je davon distanziert? Nein!", antwortete er selbst.
Giuli betont Meinungsfreiheit in seiner Rede
Bei der Eröffnungsfeier am Vorabend hatte es kurz vor dem Auftritt Giulis bereits einen Zwischenruf gegeben: Der Frankfurter Stadtverordnete Nico Wehnemann (Die Partei) hatte aus dem Publikum den Minister der Meloni-Regierung kritisiert.
"Nach den Reden einen Populisten einzuladen", warf Wehnemann den Buchmesse-Organisatoren vor, nachdem beispielsweise Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) und Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) in ihren Reden die aktuellen Gefahren für Demokratien beschrieben hatten.
Italiens Kulturminister Alessandro Giuli entgegnete in seiner Eröffnungsrede, er verteidige "die unantastbare Freiheit der Meinungsäußerung in jeder Form" - auch wenn das zu Dissens führe, "auch wenn es der Regierung, der ich angehöre, schaden könnte".
Alessandro Giuli, Minister für Kultur der Italienischen Republik, spricht auf der Eröffnungsfeier.