Nach "Eventin"-Havarie Weiterer Öltanker-Zwischenfall vor Rügen
Fast zeitgleich mit der Havarie der "Eventin" vor Rügen hat es am Wochenende einen weiteren Zwischenfall mit einem Schattenflotten-Öltanker vor der Ostseeinsel gegeben. Wieder besteht der Verdacht der versuchten Sabotage. Derweil liegt die "Eventin" weiter auf Reede vor Sassnitz. Schifffahrtexperten fordern, den Öltanker festzusetzen.
Am vergangenen Wochenende hat es vor Rügen noch einen weiteren Notfall mit einem verdächtigen Schattenflotten-Tanker gegeben. Es handelt sich dabei um den Öltanker "Jazz", der 50.000 Tonnen russisches Rohöl geladen hat. Das ebenfalls unter Panama-Flagge fahrende Schiff hatte am Sonnabend (11. Januar) unweit der havarierten "Eventin" einen Notfall. Aufgrund eines Maschinenschadens habe der Kapitän die Fahrt drosseln müssen, teilte er dem Havariekommando mit.
Tanker: "Jazz"': Drei verdächtige Maschinenausfälle innerhalb von zwei Wochen
Nicht der erste Fall, berichtet das dänische Portal "information.dk". Nach dessen Recherchen hat das Tankschiff dreimal innerhalb von zwei Wochen Maschinenprobleme gemeldet, die Fahrt gedrosselt oder ganz gestoppt. Und jedesmal driftete die "Jazz" nahe des Datenkabels C-Lion 1, welches Finnland mit Rostock verbindet.
Das Tankschiff "Jazz" hat kurz nach Weihnachten den Nord-Ostsee-Kanal passiert.
Es wurde bereits im November mutmaßlich vom chinesischen Frachter Yi Peng 3 gekappt, danach noch von der "Eagle S", die danach von den finnischen Behörden festgesetzt wurde. Hinzu kommt im Falle der "Jazz": Neben dem Kabel C-Lion 1 befinden sich an den Stoppstellen noch andere Kabel und Röhren, insgesamt neun an der Zahl, wie "information.dk" herausgefunden hat.
Driften über norwegisch-polnischer Gasleitung
Der erste Fall ereignete sich demnach am 29. Dezember um 17.45 Uhr nahe der südfinnischen Hafenstadt Hanko. Seinerzeit machte der noch leere Tanker nur noch 1,6 Knoten Fahrt. Unterm Rumpf des Schiffes lagen das Kabel C-Lion 1 sowie drei weitere Kommunikationsleitungen und ein Hochspannungskabel.
Nach der Übernahme von 50.000 Tonnen Rohöl im russischen Primorsk stoppte das Schiff erneut, am 9. Januar um 4.23 Uhr, diesmal vor der Küste der schwedischen Insel Gotland. Nur zwei Tage später wieder ein scheinbar planloses Driften, wieder mitten in der Nacht, diesmal nordöstlich Rügen, wieder nahe von C-Lion 1 und diesmal auch der Gasleitung Baltic Pipe, die Norwegen und Polen miteinander verbindet.
Experte: Gescheiterte Sabotage oder Test der Alarmbereitschaft
Für den dänischen Militäranalytiker und Fregattenkapitän Jens Wenzel Kristoffersen war das laut "information.dk" "vielleicht ein Sabotageversuch, der misslungen ist oder ein Test, um die Bereitschaft der NATO-Länder auf die Probe zu stellen."
Im Gegensatz zur "Eventin" meldete die Besatzung der "Jazz" aber nach wenigen Stunden, dass ihr Schiff wieder flott sei. Der Tanker "Jazz" ist mittlerweile bereits dort, wo die "Eventin", die doppelt so viel Öl geladen hat, noch hin soll: nach Skagen an der Nordspitze der Halbinsel Jütland.
Der Notschlepper "Baltic" wurde zwischenzeitlich von der "Eventin" abgezogen, um dem Öltanker "Jazz" zu helfen.
"Eventin" liegt weiter manövrierunfähig vor Rügen
Noch immer liegt die "Eventin" auf Reede vor Sassnitz - umgeben von Behördenschiffen und privaten Hochseeschleppern. Eigentlich sollte das Schiff laut dem Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Ostsee (WSA) schon am Sonntag nach Skagen geschleppt werden. Offensichtlich gibt es Probleme, die ein Abschleppen verhindern. "So einen Fall eines völligen Blackouts haben die Behörden vor Ort noch nie erlebt", erfuhr der NDR aus Behördenkreisen.
Noch immer ist der 274 Meter lange Tanker komplett ohne eigenen Strom. Warum das Schiff nicht auf Reede repariert werden kann, bleibt unklar. "Wenn Dein Auto in Rostock kaputt geht, dann schleppst Du es ja auch nicht sonst wo hin", so ein maritimer Experte gegenüber dem NDR.
"Eventin"-Reederei antwortet nicht
Laut dem Leiter des WSA, Stefan Grammann, geht keine Gefahr von dem manövrierunfähigen Tanker aus. Das weitere Schicksal sei nun Sache des Reeders, so der Amtsleiter. Die verantwortliche Reederei Wanta Shipping sitzt in einem Wolkenkratzer mitten in Dubai an der zwölfspurigen Scheich Zayed Road. Am Telefon meldet sich nur der Anrufbeantworter. E-Mails an den lettischen Flottenmanager und den russischen Sicherheitsverantwortlichen blieben bislang unbeantwortet.
Experte fordert: "Eventin" festsetzen und inspizieren
Der Experte maritime Sicherheit von der Beratungsfirma Nexmaris, Moritz Brake, fordert die deutschen Behörden auf, das Schiff festzusetzen. Dafür gebe es gleich mehrere Gründe: "Nicht nur aus Gründen der nationalen Sicherheit - Stichwort: Spionage- und Sabotageverdacht -, sondern auch aus Verantwortung für den Umweltschutz, die Schifffahrt in der Region und die Seeleute an Bord, halte ich es für dringend geboten, die Rechte des Küstenstaates im Seerecht voll auszuschöpfen, um die 'Eventin' auf Herz und Nieren zu prüfen."
Zoll könnte Ladung des Tankers beschlagnahmen
Gemäß Seerecht sei es darüber hinaus bedenkenswert, dass die Anwesenheit von mit Sanktionen belegtem Öl an Bord schon an sich als Verstoß gegen nationales Recht und die friedliche Durchfahrt in den Hoheitsgewässern gesehen werden kann, meint Brake. Mindestens aber ab dem Moment, wo deutsche Behörden einmal Zugriff auf das Schiff haben - und damit auch eine Pflicht zum Handeln abgeleitet werden kann -, könne man nicht die Augen vor Herkunft, Ziel und Zweck der Fracht verschließen. Oder anders formuliert: Der Zoll könnte die Ladung des Schiffes auch beschlagnahmen.
"Eventin" in Skagen nicht willkommen
In Skagen haben sie jedenfalls keine Lust auf noch einen weiteren Tanker. Dort liegen bereits mehr als ein Dutzend Schiffe auf Reede, viele mutmaßlich der russischen Schattenflotte zugehörig. Sie machen vor der nördlichsten Stadt Dänemarks Station, um kleinere Reparaturen auszuführen oder Vorräte aufzufrischen. Der sozialdemokratische Stadtverordnete Peter E. Nielsen befürchtet laut "Danmarks Radio" eine Umweltkatastrophe: "Allein die Tanker 'Jazz' und 'Eventin' hätten 150.000 Tonnen Rohöl an Bord, gibt er zu Bedenken. Und die 'Eventin' soll auch noch den ganzen Weg bis hier hoch geschleppt werden. Was passiert hier gerade, was soll das?", fragt sich nicht nur der Lokalpolitiker.
Live-Positionsdaten der russsichen Schattenflotte
Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 15.01.2025 | 06:00 Uhr