Mehrere Polizisten kontrollieren verschiedene Autos

Nordrhein-Westfalen Zurückweisung an den Grenzen: "schäbig" oder "längst überfällig"?

Stand: 10.09.2024 21:13 Uhr

Schon vor dem Migrationstreffen zwischen Regierung und Opposition am Nachmittag wurde über die Pläne zu bevorstehenden Grenzkontrollen und Abweisungen diskutiert. Kritik kommt unter anderem aus der Wirtschaft. Die Polizei-Gewerkschaften sind sich uneins. Reaktionen zu den bislang bekannten Plänen.

Die Ampel-Regierung und die Union haben bei ihrem zweiten Migrationstreffen im Bundesinnenministerium keinen gemeinsamen Nenner gefunden. Die Union brach die Gespräche ab, weil die Regierung sich nicht auf ihre Forderung nach umfassenden Zurücksendungen an deutschen Grenzen einließ. Die Ampel plant dennoch Reformen.

Gipfel in Berlin: Wie können Grenzkontrollen funktionieren?

Faeser schlägt neues Modell für Asylbewerber vor

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) schlug bei dem Gespräch, an dem auch Ländervertreter teilnahmen, ein Modell vor, um Asylbewerber, die anderswo in der EU schon registriert wurden, künftig rascher in für sie zuständige Staaten zu bringen. Diese Pläne will die Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP nach Angaben der Ministerin nun auch ohne die Union verfolgen.

Zu den angekündigten Grenzkontrollen, der Forderung der Union nach umfassenden Zurückweisungen und zu den neuen Asyl-Plänen von Faeser gibt es zahlreiche Reaktionen.

Reaktionen zur Verschärfung der Migrationspolitik:

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann zeigte sich offen für strengere Zurückweisungen. Er sei ein klarer Befürworter einer Begrenzung der irregulären Migration, sagte er. Es müsse aber auch eine reguläre Einwanderung geben, um den Arbeits- und Fachkräftemarkt zu stärken. "Asylrecht darf nicht ständig mit Einwanderungspolitik vermischt werden", sagte Kretschmann.

Irene Mihalic am 19.06.2023

Irene Mihalic, Grünen-Innenpolitikerin

Die Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic befürchtet eine Kettenreaktion, sollte Deutschland umfassend an den Grenzen zurückweisen. "Das hätte natürlich einen Dominoeffekt zur Folge", sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion im ARD-Morgenmagazin. Mihalic warnte vor einer Aussetzung internationalen Rechts und einer Spaltung Europas: "Der Leidtragende wäre Deutschland. Denn wir profitieren von der europäischen Einigung, gerade auch in Migrationsfragen."

EU prüft deutsche Pläne

Die EU-Kommission hat Deutschland am Dienstag an die europäischen Grundregeln erinnert. Von Mitgliedsländern angekündigte Grenzkontrollen müssten "notwendig und verhältnismäßig" sein und den Vorschriften des Schengener Grenzkodex entsprechen, sagte EU-Kommissionssprecherin Anitta Hipper. "Daher sollten derartige Maßnahmen eine absolute Ausnahme bleiben", betonte sie. Ob die neuen deutschen Grenzkontrollen diese Grundprinzipien respektieren, wollten weder Hipper noch Chefsprecher Eric Mamer bewerten. Die Bundesregierung habe die Maßnahmen in Brüssel angemeldet und diese würden nun geprüft, betonten beide. Alles Weitere sei "Spekulation", so Hipper.

Porträt von Christian Feld

Christian Feld, ARD-Korrespondent in Brüssel

In der EU gebe es nicht nur Kritik an den umfassenden Grenzkontrollen, sagt ARD-Korrespondent Christian Feld in Brüssel. Es gebe auch Zustimmung. Wie groß diese ist, werde sich noch zeigen.

Linke sehen "Wettbewerb der Schäbigkeit"

Die Linke-Vorsitzende Janine Wissler bezeichnete die Vorschläge als "Wettbewerb der Schäbigkeit". Union, SPD und FDP lieferten sich ein Wettrennen mit der AfD bei Maßnahmen zur Abschottung, sagte sie am Dienstag. Es drohe eine "Kettenreaktion" in Europa, wenn Deutschland seine Grenzen "dicht" mache. Dann würden "weitere Staaten folgen und so werden zehntausende Geflüchtete in Italien oder Griechenland stranden", so Wissler.

Der Rat für Migration hält eine Zurückweisung von schutzsuchenden Personen für rechtswidrig. "Die aktuell diskutierte Politik, schutzsuchende Personen an den Grenzen Deutschlands zurückzuweisen, stellt einen gefährlichen Populismus in der migrationspolitischen Debatte dar", hieß es in einer Stellungnahme am Dienstag.

Reem Alabali-Radovan, SPD, Bundesbeauftragte für Integration, Migration und Flüchtlinge

Reem Alabali-Radovan, Integrationsbeauftragte des Bundes

Die Integrationsbeauftragte des Bundes, Reem Alabali-Radovan, zeigte sich besorgt um die öffentliche Debatte rund um das Thema Migration: "Hier macht mir der Überbietungswettbewerb auch an populistischen Parolen schon große Sorge. Insbesondere wenn es darum geht, Menschen unter Generalverdacht zu stellen oder ganze Menschengruppen in eine Schublade zu stecken", sagte sie dem WDR.

Gewerkschaft der Polizei blickt skeptisch auf Grenzkontrollen

Mit Skepsis reagierte die Gewerkschaft der Polizei (GdP) auf Faesers Ankündigung zu den Grenzkontrollen. Der Vorsitzende für den Bereich Bundespolizei, Andreas Roßkopf, warf angesichts der bereits jetzt starken Auslastung der Kollegen die Frage nach der Umsetzbarkeit auf. "Das wird eine sehr sportliche Herausforderung", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Die konkurrierende Deutsche Bundespolizeigewerkschaft (DPolG Bundespolizei) hingegen begrüßte Faesers Ankündigung. "Die Grenzkontrollen sind ein längst überfälliger Schritt zur Gewährleistung der inneren Sicherheit und zur Bekämpfung illegaler Migration", sagte ihr Vorsitzender Heiko Teggatz.

Fotografie des Vorsitzender Deutsche Bundespolizeigewerkschaft Heiko Teggatz

Heiko Teggatz, Vorsitzender DPolG-Bundespolizeigewerkschaft

Er hofft darauf, dass dann zum Beispiel auch die Schweiz nachzieht und stärker ihre Grenzen zu Österreich und Italien kontrolliert, wie Teggatz bereits am Montag in den "Tagesthemen" sagte.

Einen Personalmangel kann Teggatz im Gegensatz zur GdP nicht erkennen. Man habe "ausreichend Kräfte", um diese Aufgabe zu übernehmen. "Wir können das aus dem Alltagsgeschäft heraus stemmen."

Wirtschaft befürchtet Mehrkosten und Aufwand

Auch in der Wirtschaft löste die Ankündigung Faesers Sorgen aus. Einschränkungen der Personenfreizügigkeit bedeuteten für die Wirtschaft immer Verzögerungen und damit Kostensteigerungen, sagte der Präsident des Groß- und Außenhandelsverbands (BGA), Dirk Jandura, dem Handelsblatt. "Sie stören die Logistik und bringen damit Lieferketten durcheinander."

Der Vorstandssprecher des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), Dirk Engelhardt, rechnet mit erheblichen Mehrkosten und Aufwand für betroffene Transportunternehmen. Diese könnten insbesondere für die in den Grenzregionen angesiedelten Betriebe "durchaus existenzbedrohliche Ausmaße annehmen".

Die Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Alice Weidel, kritisierte, die Ampel-Parteien "und allen voran die Grünen hängen weiter einer verantwortungslosen Politik der offenen Grenzen an". "Die Migrationskrise in Deutschland lässt sich nur durch lückenlose Grenzkontrollen und eine konsequente Zurückweisung illegaler Migranten lösen."

Unsere Quellen:

  • Nachrichtenagenturen AFP, dpa, Reuters
  • Redaktionsnetzwerk Deutschland
  • ARD-Morgenmagazin
  • Handelsblatt
  • Rheinische Post
  • Tagesthemen vom 09.09.2024
  • Website der DPolG-Bundespolizeigewerkschaft

Über dieses Thema berichten wir auch im WDR-Fernsehen und Hörfunk, unter anderem in der "Aktuellen Stunde" um 18.45 Uhr.