Rheinland-Pfalz Medikamente werden auch in RLP wieder knapp
Die Erkältungswelle rollt, Kliniken und Apotheken schlagen Alarm. Wie in den vergangenen Jahren drohe wieder ein Mangel an bestimmten Medikamenten. Die Politik widerspricht.
Derzeit sind etwa 500 Medikamente nicht lieferbar, so Petra Engel-Djabarian, Apothekerin in Worms und Pressesprecherin des Apothekerverbandes RLP. Darunter sind nach ihren Angaben Insuline und Antibiotika. Auch bei Kochsalzlösungen gebe es Engpässe.
Fiebersäfte für Kinder, die gerade in den letzten beiden Jahren knapp waren, sind laut Engel-Djabarian derzeit noch zu haben. Allerdings werde sich erst in der kommenden Wintersaison herausstellen, ob die steigende Nachfrage bedient werden könne.
Krankenhäusern in RLP fehlt Kochsalzlösung
Neu auf der Mangelliste im Gegensatz zu früheren Jahren ist Kochsalzlösung. Ein vergleichsweise simpel herzustellendes Mittel, das aber vor allem in Krankenhäusern unbedingt benötigt wird, für Wundspülungen oder Infusionen. Auch Kliniken in Rheinland-Pfalz haben derzeit Probleme, ausreichend Kochsalzlösung bereitzuhalten. Grund für den Lieferengpass: Das Werk eines großen Herstellers ist ausgefallen. Betroffen sind etwa das Brüderkrankenhaus in Trier und das Koblenzer Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein. Auch die Mainzer Unimedizin muss haushalten und kann den Bedarf nur knapp decken, hieß es auf Anfrage des SWR.
Das Bundesgesundheitsministerium rechnet damit, dass sich die Lage in einigen Wochen wieder entspannt. Für eine Übergangszeit habe man die Voraussetzungen für den Import von Kochsalzlösungen als Arzneimittel geschaffen. Zum grundsätzlichen Problem des Medikamentenmangels hieß es aus Berlin: Anders als vielfach suggeriert, gebe es in Deutschland "keine Versorgungsknappheit von Arzneimitteln, sondern punktuelle Lieferengpässe" in einem sehr komplexen Markt.
Fehlt ein Medikament, dann soll laut Ministerium fast immer ein ähnliches, wirkstoffgleiches Präparat zur Verfügung stehen.
Die Gründe für die Lieferengpässe bei Medikamenten sind vielfältig und komplex - ein paar Beispiele:
- Ein Problem sehen viele Fachleute in der Globalisierung und dem Kostendruck: Viele Arzneimittel-Hersteller haben ihre Produktion nach Asien verlagert, weil sie dort kostengünstiger produzieren können als hier.
- Damit ist Deutschland teilweise abhängig von Lieferungen aus dem Ausland. Die meisten Wirkstoffe für Medikamente werden etwa in China und Indien hergestellt, dorthin sind die Wege viel weiter. Wenn es dann zu Problemen mit den Lieferketten kommt, wie zum Beispiel in der Corona-Pandemie, aber auch zu Verunreinigungen oder Ausfällen in der Produktion, hat das auch Auswirkungen auf die Versorgung mit Medikamenten in Deutschland.
- Gleichzeitig, sagen viele Experten, sei das System in Deutschland kaputt gespart, die Preise für Medikamente gedrückt worden. Deshalb verkaufen viele Hersteller ihre Produkte eher an andere Länder.
- Hinzu kommt ein teilweiser Rohstoffmangel bei Wirkstoffen oder zum Beispiel Papier für Verpackungen und Beipackzettel.
- Außerdem werden viele Wirkstoffe nur noch an wenigen Standorten produziert - wenn es dort Probleme gibt, kann auch das schnell zu weltweiten Lieferschwierigkeiten führen.
Umstellung auf alternative Medikamente schwierig
Bei lediglich einem Prozent von rund 50.000 verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gebe es Lieferengpässe, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Das klingt recht wenig, ist für Betroffene aber wenig hilfreich.
So wie für Waltraud Finkel aus Worms. Die 76-Jährige leidet an extremem Bluthochdruck und nimmt seit 25 Jahren dagegen ein bestimmtes Präparat. Das ist aber in Deutschland jetzt nicht mehr verfügbar. "Das Problem ist, es gibt kein vergleichbares Medikament auf dem Markt", so Waltraud Finkel.
Sie muss sich jetzt auf ein anderes Präparat umstellen. "Einfach aufhören und ein anderes Medikament nehmen, geht nicht", sagt sie. Vor zwei Jahren habe es für ihr Medikament schon einmal Lieferprobleme gegeben. Mit dem Alternativ-Präparat sei ihr Blutdruck "abgegangen". Nun gibt es einen Umstellungsplan über Wochen. Waltraud Finkel muss alle zwei Stunden ihren Blutdruck messen und dokumentieren, auch noch nachts.
Das Problem ist, es gibt kein vergleichbares Medikament auf dem Markt Patientin Waltraud Finkel
In Waltraud Finkels Fall ist ihr Medikament in Deutschland generell nicht mehr verfügbar. Ihr Blutdrucksenker Clonidin wurde von einem Zulieferer des Pharmaunternehmens Teva hergestellt. Dieser hat die Produktion in Deutschland aber eingestellt.
Sie hat die Herstellerfirma angeschrieben und bekam zu Antwort, dass ihr Medikament aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr in Deutschland produziert wird, sondern in den USA. Dort wird es auch verkauft, für sie ist es aber nicht verfügbar.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) führt eine Datenbank, in die Hersteller Lieferengpässe für versorgungskritische Arzneimittel eintragen. Ein Lieferengpass ist laut BfArM eine über zwei Wochen hinausgehende Unterbrechung einer üblichen Auslieferung oder eine deutlich erhöhte Nachfrage, die das Angebot übersteigt. Am 10. Oktober waren dort knapp 500 Medikamente gelistet.
Medikamente in Deutschland zu billig?
Vertreter der Pharmaindustrie sehen in Sachen Medikamentenknappheit ein strukturelles Problem in Deutschland. Andreas Burkhardt, Generalmanager des Generika-Herstellers ratiopharm Teva mit Sitz in Ulm, sagt: "Es liegt einfach daran, dass wir in Deutschland ein System haben, das darauf abzielt, die Preise massiv nach unten zu treiben. Dadurch wird das ganze Geschäft natürlich irgendwann unattraktiv."
Der Teva-Zulieferer, der den Blutdrucksenker Clonidin von Waltraud Finkel hergestellt hat, habe die Produktion gestoppt, "weil es einfach nicht mehr lukrativ für ihn ist", so Burkhardt. Der Hersteller habe für sich beschlossen, das Produkt nicht mehr in den Markt zu bringen, "weil das Preisniveau, das durch die Krankenkassen festgelegt ist, einfach viel zu niedrig ist und die Kosten und das unternehmerische Risiko nicht abdeckt".
Medikamente vielfach in Asien produziert
70 bis 80 Prozent der Arzneimittel auf dem deutschen Markt werden in Asien produziert, vor allem in Indien und China. Also stehen deutsche Unternehmen, laut Teva-Manager Burkhardt, im permanenten Wettbewerb. Und die ausländischen Hersteller könnten unter deutlich günstigeren Bedingungen produzieren, hätten weniger Auflagen und geringere Lohnkosten.
Das sieht auch David Francas so, Professor für Daten- und Lieferkettenanalyse an der Hochschule Worms. Bei vielen wichtigen Medikamenten sei die Preisschraube zu weit gedreht worden. "Der Zusammenhang zwischen niedrigem Preisniveau und schlechterer Arzneimittelverfügbarkeit ist mittlerweile auch empirisch belegt."
Im Sommer 2023 ist das sogenannte Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln in Kraft getreten. Es sieht, kurz zusammengefasst, folgendes vor:
- Sicherheitspuffer: Für alle Medikamente mit Rabattverträgen der Krankenkassen sollen Hersteller bei sich einen Vorrat von sechs Monaten bereithalten müssen.
- Mittel für Kinder: Die Preisregeln für Kindermedikamente werden gelockert. Es soll zum Beispiel keine Rabattverträge und keine Festbeträge mehr geben - also einen maximalen Betrag, den die gesetzlichen Kassen bisher für ein Präparat gezahlt haben. Außerdem soll eine Liefermenge für vier Wochen beim Großhandel als Vorrat auf Lager gehalten werden müssen.
- Mehr Flexibilität: Apotheken soll bei nicht verfügbaren Präparaten ein Ausweichen auf wirkstoffgleiche Mittel erleichtert werden.
- Weniger Abhängigkeit: Krankenkassen werden verpflichtet, wichtige Medikamente auch in Europa einzukaufen.
Der Bund hatte im vergangenen Jahr ein Gesetz auf den Weg gebracht, das Engpässe bei Medikamenten bekämpfen und die Versorgungssicherheit verbessern soll. Gebracht hat das aus Sicht von Ärzte- und Apothekerverbänden noch nicht sehr viel.
Für Waltraud Finkel ändern Diskussion über Produktionsstandorte, Lieferketten und Preise erstmal nichts an ihrer Situation. Sie hofft, dass die Umstellung auf ein neues Präparat funktioniert und sie ihren Blutdruck wieder in den Griff bekommt.
Sendung am Do., 17.10.2024 20:15 Uhr, Zur Sache Rheinland-Pfalz, SWR RP