In Wittenberg wird in dem Theologen und Bürgerechtler Friedrich Schorlemmer gedenkt.

Sachsen-Anhalt Gedenkgottesdienst für Ehrenbürger Schorlemmer: Hunderte verabschieden einen Provokateur

Stand: 20.10.2024 11:14 Uhr

Friedrich Schorlemmers war Theologe und Bürgerrechtler. Mit einem Gedenkgottesdienst in der Stadtkirche St. Marien haben sich Repräsentanten und Gäste der Lutherstadt Wittenberg von dem Ehrenbürger verabschiedet. Er galt als Regimekritiker der DDR.

Von André Damm, MDR SACHSEN-ANHALT

Die Wittenberger Stadtkirche Sankt Marien war Luthers Predigtkirche, die Mutterkirche der Reformation. Und diese Kirche mochte Friedrich Schorlemmer immer viel lieber als die weltberühmte Wittenberger Schlosskirche. Hier nahmen nun  mehr als 500 Menschen Abschied. Abschied von einem Familienvater, von einem Ehrenbürger, von einem Pfarrer, von einem DDR-Bürgerrechtler, von einem Publizisten, von einem Menschen, der selten ein Blatt vor den Mund nahm, auch wenn er damit aneckte. Ein passendes großes Foto von Schorlemmer stand dazu auf einer Staffelei, die wohl aus seinem Lieblingsort – der Wittenberger Malschule – stammt. Die Besucher konnten das vertraute Gesicht eines Mannes sehen, der nachdenklich wirkt, aber auch rebellisch, mit wachem und etwas spöttischem  Blick.

Gedenk-Gottesdienst für Friedrich Schorlemmer

Schorlemmers Wunsch: Keine langen Abschiedsreden

Sollte es einmal für ihn einen Gedenkgottesdienst geben, hatte Schorlemmer seinen Kindern Uta und Martin aufgetragen, wolle er, dass keine langen Reden gehalten werden. Und so wurde in der Wittenberger Stadtkirche viel gesungen, gebetet und auf kurzweilige, fast vergnügliche Art Abschied genommen. Ganz nach der Ansicht des Theologen, dass Glauben zwar eine ernste Sache sei, aber keine Düsternis. Vielmehr solle man sich ihm frohgemut und hoffnungsvoll widmen . 

Pfarrer Volker Hörner aus Landau sagte in seiner Gedenkrede, er sei dankbar und traurig zugleich. Traurig über den Verlust, aber dankbar, diesen ungeduldigen, inspirierenden Menschen als Freund erlebt zu haben. Hörner stellte Schorlemmer vor, wie er zu DDR-Zeiten mit der Staatsmacht aneinander geriet. Er wusste, er gehört nicht dazu. Er wusste aber auch. "Ich gehöre hier her!" Auch lange nach der Wiedervereinigung sei der Wittenberger nicht müde geworden, zu mahnen und zu warnen. Aber nicht aus Angst sei das geschehen, sondern aus Liebe am Leben. Seine Texte über Frieden, Abrüstung und Naturschutz seien immer noch "beängstigend aktuell". Er nannte einen Buchtitel Schorlemmers: "Worte öffnen Fäuste".

Landesbischof Friedrich Kramer würdigte Schorlemmer "als unseren bekanntesten Pfarrer." Er sei ein Mann gewesen, der "Menschen den Himmel öffnet". Kramer sagte weiter: "Mein Abschiedswort heißt: "Auf Wiedersehen." Auf Wiedersehen in einer Welt ohne Krieg und Gewalt."

Nach dem Gottesdienst: Gedenkveranstaltung im Rathaus

In einer heiter-besinnlichen Atmosphäre fand nach dem zweistündigen Gedenkgottesdienst die Gedenkveranstaltung im historischen Rathaus statt. Oberbürgermeister Torsten Zugehör (parteilos) bekannte, von diesem klugen, konsequenten und beharrlichen Menschen viel gelernt zu haben. "Die Welt ist viel ärmer ohne die Stimme und die Worte Friedrich Schorlemmers."

Die Welt ist viel ärmer ohne die Stimme und die Worte Friedrich Schorlemmers. | Torsten Zugehör (parteilos), Oberbürgermeister von Wittenberg

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) erklärte, dass der Wittenberger mehrmals auf ihn großen Eindruck machte. Einmal durch die Aktion "Schwerter zu Pflugscharen", dann durch seine mutige Rede, als er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt.

"Ich war von ihm fasziniert. Vor allem von seiner Idee, die Menschen in Ost und West zusammenzubringen und gemeinsam etwas zu ändern." Das ist leider nichts geworden, sagte Ramelow mit Blick auf das Ergebnis der jüngsten Landtagswahlen in Thüringen.

Ich war von ihm fasziniert. Vor allem von seiner Idee, die Menschen in Ost und West zusammenzubringen und gemeinsam etwas zu ändern. | Bodo Ramelow (Die Linke), Ministerpräsident von Thüringen

Auch Gregor Gysi (Die Linke) meldete sich zu Wort: "Schorlemmer hat im vereinten Deutschland das Bundesverdienstkreuz bekommen und dennoch ist es ihm gelungen, sich auch hier unbeliebt zu machen." Und weiter sagte Gysi: "Wer ihn einmal erlebt hat, wird ihn nie vergessen". Er selbst sei durch ihn verändert worden.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sagte, man habe immer einen gemeinsamen ethischen Kompass gehabt. Schorlemmer habe seine Heimat geliebt wie kaum ein anderer. Er sei nicht nur Theologe, sondern auch Schatzsucher gewesen. "Er hinterlässt ein großes literarisches Werk, mit dem sich Historiker noch in 50 oder 100 Jahren beschäftigen werden."

Das letzte Wort hatte dann aber doch jemand, der den Namen Schorlemmer trägt. Seine Tochter Uta erklärte im Rathaus, dass sie einmal weggegangen sei aus Wittenberg. Aber inzwischen sei die Stadt wieder ein Stück Heimat geworden.

Schorlemmer war Regimekritiker in der DDR

Schorlemmer wurde am 16. Mai 1944 in Wittenberge (Brandenburg) geboren. Er gehörte zu den schärfsten Regimekritikern in der DDR. Im Herbst 1989 war er eine der prominentesten Symbolfiguren der friedlichen Revolution.

Friedrich Schorlemmer

Friedrich Schorlemmer war Regimekritiker in der DDR.

dpa, MDR (André Damm, Maximilian Fürstenberg, Johanna Daher)