Drei junge Migranten in der Fußgängerzone  (v.l.n.r. Adelmajeed, Saeed, Mohanad)

Sachsen-Anhalt Stadt Magdeburg zufrieden mit Pilotprojekt zur Bezahlkarte – Betroffene üben Kritik

Stand: 05.09.2024 09:41 Uhr

In Magdeburg testen 900 Menschen seit einem halben Jahr die Bezahlkarte. Zuvor hatten sie ihre Hilfe nach dem Asylbewerberleistungsgesetz als Bargeld erhalten. Sozialverbände kritisieren das System. Es verschleppe Integration und nehme den Menschen die Selbstbestimmtheit. Die Stadt Magdeburg will die Erfahrungen auswerten, ehe das Modellprojekt auf ganz Sachsen-Anhalt übertragen werden soll.

Von Max Hensch, MDR SACHSEN-ANHALT

Mohanad steht in der Magdeburger Einkaufsmeile vor einem Geldautomaten. Der 18-Jährige tippt auf den Bildschirm, wartet vergebens. Die 50 Euro Bargeld für diesen Monat sind bereits aufgebraucht. Mohanad erhält 413 Euro Sozialleistungen auf die Bezahlkarte. Er kam vor wenigen Monaten nach Deutschland, sagt, er sei vor Krieg und Wehrdienst in Syrien geflohen. Mohanad versteht Deutsch nur bruchstückhaft. Er sagt, er habe schon mehrfach peinliche Situationen erlebt, weil er mit seinem Einkauf an der Kasse gestanden habe und die Bezahlkarte nicht akzeptiert worden sei. Das Bargeld-Limit sieht er deshalb kritisch.

Sachsen-Anhalt ist in weiten Teilen ein Bargeld-Land. Mamad Mohamad, Geschäftsführer des Landesnetzwerk Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt |
Ein Mann in einem grauen Mantel lächelt in die Kamera

Mamad Mohamad steht der Bezahlkarte, so wie sie in Magdeburg eingesetzt wird, kritisch gegenüber.

Saeed unterstützt Mohanad als Integrationslotse über den Syrisch-Deutschen Kulturverein in Magdeburg. Er spricht von "schwerwiegenden Problemen" bei der Bezahlkarte, etwa weil das günstige Einkaufen von gebrauchten Dingen, etwa über Kleinanzeigen oder Flohmärkte nur noch sehr begrenzt möglich sei. Mit Blick auf die Ausweitung der Karte in Sachsen-Anhalts ländliche Regionen mahnt Mamad Mohamad, Geschäftsführer des Landesnetzwerk Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt e.V. (Lamsa), an: "Sachsen-Anhalt ist in weiten Teilen ein Bargeld-Land." Er bezieht sich dabei etwa auf Bus-Tickets, aber auch Besuche bei Bäcker oder Friseur.

Probleme bei Lastschriften und Verträgen

Ein weiteres Problem der Bezahlkarte sehen die Sozialverbände bei Verträgen. Zum Beispiel für ein Handy oder ein Sportstudio. Die Bezahlkarte funktioniert beim Bezahlen wie eine Girocard – es kann abgebucht werden, aber es ist kein Girokonto hinterlegt. Deshalb sind Lastschriften und Überweisungen nur in Ausnahmefällen und in Absprache mit dem Sozialamt möglich. Davon aktuell auch betroffen: das Deutschlandticket. Um von den meist abgelegenen Asylunterkünften und Sozialwohnungen die Magdeburger Innenstadt zu erreichen, nutzen viele Geflüchtete das Ticket. So auch der 23-jährige Abdelmajeed. Er sagt, nach dem Kauf des Tickets am Schalter bleibe noch ein Euro Bargeld für den Rest des Monats. Um für sein Handy zu zahlen, habe er sich dann von Freunden Geld leihen müssen.

Drei junge Migranten in der Fußgängerzone  (v.l.n.r. Adelmajeed, Saeed, Mohanad)

Adelmajeed (links) und Mohanad (rechts) testen in Magdeburg aktuell die Bezahlkarte, Saeed (Mitte) unterstützt als Integrationslotse.

Auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT schrieb das Innenministerium: "Online-Käufe, Überweisungen und Lastschriftabbuchungen sollen mit der Bezahlkarte grundsätzlich nicht möglich sein. Es ist jedoch vorgesehen, für bestimmte bedarfsrelevante Angebote, die ausschließlich online erworben werden können, eng begrenzte und eindeutig definierte Ausnahmen zuzulassen. In diesem Rahmen soll auch der Erwerb des Deutschlandtickets ermöglicht werden."

Auch Magdeburgs Sozialbeigeordneter Ingo Gottschalk sagt, für Handyverträge sei man im Sozialamt bereit, Lösungen anzubieten. Sozialverbände kritisieren den dadurch vorhersehbaren bürokratischen Aufwand. Gottschalk erwidert, mit anderen Lösungen, wie etwa einem Girokonto für Geflüchtete, würde man dem "eigentlichen Sinn" der Karte entgegenwirken.

Ingo Gottschalk, Beigeordneter Soziales, Jugend und Gesundheit der Stadt Magdeburg

Ingo Gottschalk ist seit einem Jahr Beigeordneter für Soziales, Jugend und Gesundheit bei der Stadt Magdeburg.

Auslands-Überweisungen sollen gestoppt werden

Vor allem Überweisungen ins Ausland zu stoppen, ist ein zentrales Anliegen bei der Einführung der Karte und gleichzeitig großer Streitpunkt. Denn die Bundesregierung hatte mehrfach und auch auf Nachfrage angegeben, dass es keine Statistik dazu gebe, wie viel Geld von Asylbewerbern bislang ins Ausland fließt.

Abdelmajeed glaubt nicht daran, dass Auslandsüberweisungen im großen Stil mit den monatlichen 413 Euro möglich seien. Er glaubt, für Geflüchtete bräuchte es eigentlich mehr Unterstützung, damit die Integration gelinge. Er halte die Bezahlkarte an sich für eine gute Idee, habe aber vor allem mit der Untergrenze von 10 Euro pro Einkauf Probleme gehabt. Mittlerweile sei sein Asylverfahren abgeschlossen und mit seiner neuen Kreditkarte sei das Leben wieder wesentlich einfacher. Er will in Deutschland bleiben und Lkw-Fahrer oder Mechatroniker werden.

Wann die Bezahlkarte großflächig in Sachsen-Anhalt eingeführt wird, ist aktuell unklar. Geplant war die Einführung im Herbst, aber nachdem ein Dienstleister für die Karte die Ausschreibungen gewonnen hatte, hat ein anderer Bieter Beschwerde eingereicht. Zudem gibt es in einigen Einzelfällen bereits Urteile zu Gunsten der Asylbewerber, etwa dass ihnen eine höhere Summe Bargeld zustünde. Juristische Auseinandersetzungen in Magdeburg gab es laut Sozialgericht bislang nicht.

Wie geht es weiter?

Ingo Gottschalk, der das Pilotprojekt in Magdeburg betreut, ist bislang zufrieden. Aktuell stünde einem dauerhaften Betrieb in der Landeshauptstadt nichts entgegen.

Gleichwohl soll die Umfrage unter den bisherigen 900 Nutzern ausgewertet und mit dem Landesinnenministerium diskutiert werden. Als wichtigste Nachbesserung sieht Gottschalk vor allem eine interne Umstellung der Software. Zugeständnisse stellte er zunächst nicht in Aussicht. Insgesamt spricht Gottschalk aus Sicht seiner Behörde von einer Vereinfachung. Da man nun weniger Menschen händisch Geld auszahlen müsse, sei man besser in der Lage, auf inhaltliche Fragen einzugehen.

Die Arbeiterwohlfahrt in Sachsen-Anhalt will Lastschriften und Überweisungen einfacher möglich machen. Lamsa-Geschäftsführer Mohamad will auch die Bargeldgrenzen aufweichen und sagt: "Man schränkt mit dem Zugang zu Bargeld auch das selbstbestimmte Leben der Menschen ein Stück weit ein." Er unterstützt das Modell aus Hannover, bei dem die Bezahlkarte kein Bargeld-Limit hat.

MDR (Max Hensch, Marius Rudolph) | Erstmals veröffentlicht am 04.09.2024