Sachsen-Anhalt "Verwegen in Gardelegen": Journalist Christian Fuchs berichtet über Rechtsextremismus
Seine Recherchen sind gefährlich – für Menschen mit rechtsextremer Gesinnung, aber auch für ihn selbst. Als investigativer Journalist hat Christian Fuchs schon so manche Morddrohung erhalten. Seit 20 Jahren beschäftigt er sich mit Rechtsextremismus und hat 2019 den Spiegel-Bestseller "Das Netzwerk der Neuen Rechten" herausgebracht. Eigentlich sollte nach der 100. Lesung Schluss sein, doch für die Lesereihe "Verwegen in Gardelegen" machte er eine Ausnahme.
- Investigativ-Journalist Christian Fuchs gibt Einblicke in seinen manchmal gefährlichen Berufsalltag.
- Die Lesung der Reihe "Verwegen in Gardelegen" mit Fuchs sorgte für einen Besucherrekord. Sie fand mit erhöhten Sicherheitsmaßnahmen statt.
- Fuchs appellierte, man dürfe niemanden aufgeben, sondern müsse im Gespräch bleiben. Anders ließe sich der Riss in der Gesellschaft nicht kitten.
Rechte Gewalt in Gardelegen – die musste auch Lesereihen-Organisator und Filmproduzent Christoph Herms Anfang der 2000er erleben und berichtet davon dem Bestseller-Autor Christian Fuchs. "Dass ich von Neonazis tätlich angegriffen worden bin, das war genau hier." Christoph Herms führt Christian Fuchs zur Kreuzung am Otto-Reutter-Denkmal.
"Mit 18 oder 19 muss es gewesen sein und ich war mit Freunden unterwegs. Zwei betrunkene Neonazis haben uns dann bis zu dieser Ecke verfolgt, vorher Steine auf uns geworfen und mich dann hier zu Boden geschubst. Die hatten auch Eisenketten dabei." Passiert sei ihm damals zwar nichts weiter und er hätte die Neonazis auch identifizieren und bei der Polizei anzeigen können, aber natürlich war die Situation sehr unangenehm.
Zwei betrunkene Neonazis haben uns bis zu dieser Ecke verfolgt, vorher Steine auf uns geworfen und mich zu Boden geschubst. Die hatten auch Eisenketten dabei. Christoph Herms | Lesereihen-Organisator
Unangenehme Situationen mit Menschen mit rechtsextremen Ansichten kennt auch Christian Fuchs. Der Investigativ-Journalist beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren vor allem mit den Strukturen der Neuen Rechten, also jener Strategen, die versuchen, die Bürger der gesellschaftlichen Mitte zu entsolidarisieren, die scheinbar selbst zur gesellschaftlichen Mitte gehören und darauf abzielen, das demokratische System in Deutschland zu stürzen.
"Da gibt es ein riesiges politisches Vorfeld an Thinktanks, an Verlagen, an Magazinen, an Zeitschriften, einer eigenen Jugendbewegung, einer eigenen antifeministischen Frauenbewegung." Sogar eigenes Bier und rechte Dating-Apps gehörten dazu. Von solchen Netzwerken und Strategien der Neuen Rechten will Christian Fuchs dem Gardelegener Publikum berichten.
Sachsen-Anhalt als Hotspot rechter Strategen
Vorab aber will er Gardelegen erkunden. Doch ein unpolitischer Stadtrundgang durch die Hansestadt – egal wo er hinkommt, für Christian Fuchs ist das schwer möglich: "Ich gucke an den Litfaßsäulen und an den Straßenschildern. Welche Aufkleber sind hier eher dominant, welche erkenne ich wieder? Dann habe ich vorhin ein Logo gesehen, was mir komisch vorkam. Das hab ich gleich mal gegoogelt. Also ich gucke dann schon, ob ich Anzeichen sehe von rechtsextremen Strukturen."
Christian Fuchs arbeitet als investigativer Journalist und berichtet über Extremismus und die Neue Rechte.
Sachsen-Anhalt gelte als Hotspot rechter Strategen vor allem rund um die Landeshauptstadt, um Naumburg und Halle. Aber welche Rolle spielen Rechtsextreme aus dem Norden von Sachsen-Anhalt? "Es fühlen sich leider überall im Osten sehr viele Menschen von extremen Positionen angesprochen. Aber was die Strategen angeht, die Menschen, die die Rattenfänger sind, also die in Denkfabriken arbeiten, Verlagen, in neurechten Medien, davon gibt es hier in der Altmark keine, die wir kennen, keine, die wichtig wären."
Besucherrekord bei Lesung mit Christian Fuchs
Der 46-jährige liest in der Lesereihe "Verwegen in Gardelegen" mit ausschließlich ostdeutschen Autoren. Eingeladen dazu haben ihn Christoph Herms und Valerie Schönian, die die Lesereihe bereits in der dritten Staffel den Gardelegenern präsentieren. Viele namhafte Autoren wie Greta Taubert, Carolin Würfel, Hendrik Bolz und Katharina Warda waren schon da.
Motto, Macher und Moderatoren von "Verwegen in Gardelegen"
Das Ziel der Lesereihe: einen Raum schaffen, indem man sich begegnen, Kultur erfahren und sich austauschen kann. Valerie Schönian ist Autorin ("Ostbewusstsein") und Journalistin ("Zeit im Osten"). Geboren in Gardelegen wächst sie in Magdeburg auf. Christoph Herms verbringt Kindheit und Jugend in Gardelegen. Heute ist er Geschäftsführer der Film- und Videoproduktion "gretchen". Gemeinsam haben sie die Lesereihe "Verwegen in Gardelegen" initiiert. Beide leben und arbeiten heute in Berlin, fühlen sich aber mit ihrer Heimat nach wie vor eng verbunden. Nicht zuletzt, weil sie Familie und Freunde in der Hansestadt haben.
Valerie Schönian (links) und Christoph Herms (rechts) präsentieren die Lesereihe in Gardelegen.
Jetzt konnten Schönian, die selber Autorin ist, und Herms Christian Fuchs für die Lesereihe gewinnen. Fuchs sorgt für viel Interesse. So viele Gäste wie noch nie strömen nach Voranmeldung in den Gardelegener Rathaussaal. Valerie Schönian erklärt, was sie an der Arbeit ihres Kollegen, beide arbeiten bei der Wochenzeitung "Die Zeit", so bemerkenswert findet: "Seine Genauigkeit, aber auch seine Menschenkenntnis und auch sein enormes Wissen. Es ist diese Mischung aus totaler Kenner der Szene und total einfühlsam." Aber Christian Fuchs polarisiert natürlich auch.
Christian Fuchs
Christian Fuchs arbeitet als investigativer Journalist für Zeit und Zeit Online. Er berichtet meist über Extremismus und die Neue Rechte. Zudem schreibt Christian Fuchs Bücher, die zu Bestsellern wurden: "Das Netzwerk der Neuen Rechten", "Geheimer Krieg", "Die Zelle". Seine Arbeit wurde unter anderem mit dem Deutschen Reporterpreis, dem Leuchtturmpreis für besondere publizistische Leistungen und mehrfach mit einer Ehrung als einer der Journalisten des Jahres ausgezeichnet.
Fuchs beschäftigt sich seit 20 Jahren mit Rechsextremismus.
Lesung mit erhöhten Sicherheitsmaßnahmen
Deshalb ergänzt Mitorganisator Christoph Herms: "Wir wussten einfach aus den Vorerfahrungen des Autors, dass Veranstaltungen, die er gibt, gerade zum Thema der Neuen Rechten, dass es durchaus zu Störungen kommen kann. Um für die Sicherheit aller Besucherinnen und Besucher zu sorgen, aber natürlich auch für die Sicherheit von Christian selbst, haben wir uns entschieden, die Sicherheitsmaßnahmen im Vergleich zu sonst ein bisschen nach oben zu ziehen, einfach um hier auf der sprichwörtlich sicheren Seite zu sein."
Security und Polizisten sind daher vor Ort. Am Ende kommen nur wenige Menschen mit rechten Ansichten. Ihre Fragen beantwortet Christian Fuchs gern.
Die Lesung im Gardelegener Rathaussaal sorgte für viel Interesse.
Zudem liest er Passagen aus seinem Sachbuch-Bestseller vor, er berichtet, wie nach seinen jahrelangen Recherchen die Neue Rechte die Mitte der Gesellschaft erobert und er erzählt von seinem teilweise gefährlichen Rechercheerlebnissen. Manchmal passiere es, dass ein Informant ihn alleine, an einem abgeschiedenen Ort und ohne Polizei treffen wolle.
"Das war in dem Fall einer der Top-Gefährder in Deutschland, bei dem man nicht genau wusste, ob er schon ausgestiegen ist oder nicht, und ob er schon Gewaltverbrechen begangen hat. Bei solchen Terminen geht mir dann schon die Pumpe, aber das gehört auch dazu." Das sei eben sein Berufsrisiko.
Christian Fuchs: Man dürfe niemanden aufgeben
Neben handsignierten Büchern nehmen die Gardelegener viele interessante Einblicke in den Alltag eines Investigativ-Journalisten mit nach Hause. Vor allem aber hätte man nun einen besseren Einblick gekriegt, wie rechte Strukturen vernetzt seien. Und vorsichtig müsse man sicherlich sein, erklärt der Gardelegener Volker Schlucke, der aufmerksam zugehört hat.
Ähnlich sieht es auch Zuhörerin Bianca Jex: "Leider saß ich neben Vertretern der AfD und die Aussagen von denen, die zeigen ihr Weltbild und das ist traurig. Das fand ich sehr schade. Aber ich finde es toll, dass so viele Menschen hier waren. Das zeigt, dass noch Hoffnung besteht."
Christian Fuchs selbst freut sich über jeden Gast mit konträren Ansichten. Grundsätzlich dürfe man niemanden aufgeben, sondern müsse im Gespräch bleiben, auch und gerade mit nach rechts abgedrifteten Menschen. Anders ließe sich der Riss in der Gesellschaft aus seiner Sicht nicht kitten.
MDR (Carina Emig, Hanna Kerwin)