Ein Mann auf einem Dach zeigt über zahlreiche Häuser, die mit Solarmodulen bedeckt sind.

Sachsen-Anhalt Warum Solarenergie im Landkreis Wittenberg so beliebt ist

Stand: 16.10.2024 16:18 Uhr

Der Verkauf von Elektro-Fahrzeugen stockt, um Wärmepumpen machen viele Hausbesitzer weiter einen Bogen. Anders verhält es sich bei der Erzeugung von Solarenergie. Hier ist die Bundesrepublik auf der Überholspur. Und Sachsen-Anhalt ist ganz vorn mit dabei.

Von André Damm, MDR SACHSEN-ANHALT

"Sie müssen mal mitkommen. Da oben haben Sie die beste Sicht. Das lohnt sich wirklich." Biobauer Daniel Kirsch aus Söllichau im Landkreis Wittenberg versteht es, zu überzeugen. So klettern wir an einem 16 Meter hohen Silo eine Hühnerleiter aus Metall hoch. Doch der Ausblick entschädigt für den etwas beschwerlichen Aufstieg. "Überall ist Solar", sagt Kirsch, "das wird immer mehr." Er zeigt in mehrere Richtungen und erzählt davon, dass es die Unternehmen in dem kleinen Dorf in der Dübener Heide zuerst begriffen hätten.

Denn viele Hallendächer glänzen und funkeln im Sonnenlicht und erzeugen, fast wie nebenbei, noch jede Menge Strom. Auch Bauer Kirsch ist ein großer Verfechter von Photovoltaikanlagen. Der Anbau an seinem neu sanierten Wohnhaus wurde mit PV-Platten versehen, außerdem der Pferdestall und ein großes Nebengelass.

Solaranlagen-Boom im Landkreis Wittenberg

Solaranlagen in Söllichau, soweit das Auge reicht.

Knapp 100.000 Anlagen in Sachsen-Anhalt

"Wir machen uns unabhängig. Sonne ist umsonst, ist völlig neutral. Kein Lärm, keine Emission. Und wir haben sofort vor Ort Wertschöpfung. Ich rechne damit, dass sich eine Solaranlage schnell rentiert, schon nach wenigen Jahren." Daniel Kirschs Begeisterung für den Sonnenstrom steht längst für einen Trend, der ganz Sachsen-Anhalt erfasst hat. Viele Hausbesitzer setzen auf selbst produzierten Strom vom Dach.

Aktuell sind laut Netzbetreiber Mitnetz landesweit 97.835 Photovoltaikanlagen mit einer Leistung von bis zu 30 KW in Betrieb. Jeden Monat würden, so Konzernsprecherin Cornelia Sommerfeld, 3.500 bis 4.000 dazukommen. Dazu gehören auch sogenannte Balkonkraftwerke – kleine Solarmodule für die Steckdose, mit denen auch Mieter die Sonne anzapfen können. Auch hier gibt es einen Boom. Binnen kurzer Zeit wurden nach Angaben des Marktstammdatenregisters in Sachsen-Anhalt 19.052 Balkonkraftwerke angemeldet.

Registrierung und Zählereinbau dauern mehrere Monate

Der Andrang ist so groß, dass Mitnetz mit der Registrierung kaum noch hinterherkommt. Während die Beantragung im Durchschnitt schon nach zehn Werktagen erfolgt, dauert der Zählereinbau inzwischen 30 bis 45 Tage – da können schnell zwei volle Monate vergehen. Zusätzliche Sorgen bereitet Mitnetz auch eine IT-Umstellung. Unternehmenssprecherin Sommerfeld zufolge kommt es vor allem bei der Erfassung und Auszahlung von EEG-Vergütungen zu längeren Bearbeitungszeiten.

Kunden berichten von einer mehrmonatigen Funkstille. Cornelia Sommerfeld versucht, zu beschwichtigen. "Es muss sich niemand Sorgen machen, dass die EEG-Vergütung nicht gezahlt wird. Wir werden zustehende Zahlungen selbstverständlich auch rückwirkend vornehmen, sobald uns dies systemseitig möglich ist."

Wittenberger Wohnungsbaugenossenschaft will Balkonkraftwerk für jeden Mieter

Überrascht von der Antragsflut ist der Wittenberger Dirk Scheller nicht. Der Chef der Wohnungsbaugenossenschaft (WBG) plant, jedem Mieter die Möglichkeit zu geben, ein eigenes Balkonkraftwerk zu betreiben. Die WBG hat in Wittenberg 2.800 Wohnungen im Bestand, von denen jede mit einem Balkon ausgestattet ist. "Das wird sich durchsetzen, da habe ich keinen Zweifel. Nicht nur wegen der Kosten. Es ist auch ein gutes Gefühl, Strom selbst herzustellen."

Derzeit scheitert es noch an einer vermeintlichen Lappalie. Es fehlen noch die Gestelle, um die Solarpaneele zu befestigen. Offenbar war auch die Industrie auf den Ansturm nicht vorbereitet.

Solaranlage flach auf's Dach der DDR-Platte

Unterdessen setzen auch andere große Vermieter auf Solarstrom. Ein Beispiel: die Wohnungsbaugesellschaft Gräfenhainichen. Geschäftsführer Tobias Bommert hat auf dem Flachdach des unscheinbaren Gebäudes neuartige Solarmodule installieren lassen. "Unsere PV-Anlage wird flach aufs Dach geklebt und hat keine Ständer", erklärt er und ergänzt: "Dort ist keine Sonnenausrichtung notwendig, auch keine statische Berechnung. Die Module arbeiten auch bei diffusem Licht und haben eine hohe Leistung."

160.000 Euro haben diese Solar-Flex-Module aus Italien gekostet. Für Bommert sind sie ein wichtiger Testballon. Denn die Wohnungsbaugesellschaft verfügt über mehr als 1.000 Wohnungen, zumeist in Plattenbauten typischer DDR-Fabrikate – diese Häuser haben alle Flachdächer. "Wir haben nun mal große Dachflächen, die einfach brachliegen. Also machen wir etwas Sinnvolles und rüsten sie mit PV aus", so Bommert.

Umweltbundesamt will Klimaneutralität bis 2045

Vielerorts wird somit ein Weg beschritten, den das Umweltbundesamt (UBA) in Dessau seit Jahren fordert. Dirk Messner ist der Präsident von Deutschlands wichtigster Umweltbehörde und findet, dass man beim Solarstrom richtig weit vorangekommen sei. "Der Ausbau von Solarenergie ist regelrecht entfesselt worden. Faktor drei, das ist schon enorm. Aber wir haben auch große Ziele. Wir wollen bis 2038 grünen Strom haben und 2045 Klimaneutralität. Das werden wir auch schaffen."

Prof. Dr. Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamts

Dirk Messner,

Der UBA-Präsident hofft, dass die Solaroffensive eine Kettenreaktion auslöst und in den kommenden Jahren noch viel mehr Photovoltaik-Anlagen entstehen. Wirtschaftlich sinnvoll sei das sowieso, sagt Messner.

Solarmodule aus China

Die heimische Solarindustrie zu fördern – diesem Ziel hatten sich auch Teile der Bundesregierung verschrieben. Ein entsprechender "Resilienz-Bonus" für die heimische Solarindustrie war damals aber an internen Streitigkeiten in der Regierung gescheitert. Hintergrund der Pläne war, dass vor allem China Solarmodule baut und meist billiger anbietet.

Das Land produziert nach MDR-Recherchen weit mehr Solarmodule, als der Markt gebrauchen könne. Die Module würden auch in Europa teilweise unter dem Herstellungspreis verkauft.

MDR (André Damm, Oliver Leiste)