Ein junger Mann mit langen Haaren sitzt in einem Parlament.

Sachsen-Anhalt Wie Halles jüngste Stadträte die Arbeit im Stadtrat erleben

Stand: 07.09.2024 07:28 Uhr

Im Stadtrat von Halle sind Ferdinand (19) und Friedemann Raabe (23) sind die jüngsten Mitglieder. Die Brüder traten für die Partei Volt an und wurden am 9. Juni gewählt. Jetzt lernen sie ihre Aufgaben in der Kommunalpolitk kennen und die Arbeit im Stadtrat wird Teil ihres Alltags – mit einigen Herausforderungen, aber auch positiven Erlebnissen.

Von Alexander Kühne, MDR SACHSEN-ANHALT

Im ehrwürdigen Wappensaal des Halleschen Stadthauses sind die Fenster geöffnet. Draußen läutet der Rote Turm und verkündet den Beginn der ersten Sitzung des Vergabeausschusses. Auf dem Stuhl des Vorsitzenden hat der 19-jährige Ferdinand Raabe seinen Platz eingenommen. Mit seinen langen blonden Haaren und dem bunten Peru-Hemd strahlt er zwar noch nicht die dem Amt angemessene Autorität aus, aber er strahlt. "Ich hoffe, dass das eine gute Zusammenarbeit auf Augenhöhe wird", begrüßt Ferdinand die anderen zehn Mitglieder des Ausschusses. Das älteste Mitglied ist 68 Jahre alt.

Prominenz im Stadtrat von Halle – und zwei junge Brüder mittendrin

Zwei Monate ist es jetzt her, seit sich der neu gewählte Stadtrat von Halle konstituiert hat. Der neue Rat ist hochkarätig besetzt: ehemalige Ministerpräsidenten, Olympiasieger und Schönheitsköniginnen. Und mittendrin ein junges Brüderpaar, das auf seinen Sitzen tuschelt wie auf einer Schulbank. Ferdinand und sein großer Bruder Friedemann Raabe haben für die Kleinstpartei Volt bei der Kommunalwahl im Juni 2,7 Prozent der Stimmen und damit zwei Sitze erobern können. Da das nicht für eine eigene Fraktion reichte, haben sie sich mit den beiden Mitgliedern der MitBürger zusammengeschlossen.

Ein älterer Mann begrüßt einen jüngeren mit langen Haaren vor einem Tisch.

Christoph Bergner (r.) ist derzeit das älteste Mitglied im halleschen Stadtrat. Hier begrüßt der frühere Ministerpräsident Ferdinand Raabe.

Zu viert müssen sie sich nun auf mehr als ein Dutzend Ausschüsse verteilen, von denen drei an Ferdinand gehen. Als in der konstituierenden Sitzung des Stadtrates die Vorsitze für die Ausschüsse vergeben werden und die Fraktion der Raabe-Brüder endlich dran ist, einen zu wählen, stehen nur noch die drei Ausschüsse von Ferdinand zur Wahl. So bleibt dem jüngsten Stadtrat nichts anderes übrig, als ans Mikrofon zu treten und zu verkünden: "Die Fraktion Volt / MitBürger übernimmt den Ausschuss für städtische Bauangelegenheiten und Vergaben."

Mehr über Friedemann und Ferdinand Raabe

Friedemann (23) und Ferdinand Raabe (19) sind beide in Halle aufgewachsen. Zusammen besuchten sie die Latina August Hermann Francke, wo sie in Projekten wie dem Jugendparlament an die Politik herangeführt wurden. Auch ihre Eltern lebten ihnen vor, dass man gesellschaftliche Probleme vor der eigenen Haustür mit Engagement lösen kann. So engagierten sich die beiden beispielsweise in einer Bürgerinitiative für einen Spielplatz in ihrem Stadtteil Lettin oder bei Fridays for Future. Ferdinand war dann Gründungsmitglied des Landesverbandes von Volt und holte Friedemann von der SPD in seine Partei, für die sie 2024 erfolgreich für den Stadtrat kandidierten.

"Außer kleinen Sticheleien alles harmonisch"

Nun muss Ferdinand im Ausschuss die Debatten leiten und für Ruhe und Ordnung sorgen. Etwas unsicher navigiert er durch die Punkte der Tagesordnung, auch der formal korrekte Ablauf einer Abstimmung fällt ihm noch schwer. Er vergisst, nach Enthaltungen zu fragen und übersieht Wortmeldungen. Doch mit der leisen Unterstützung der Vertreterinnen der Stadtverwaltung an seiner Seite, die ihm wie Souffleusen die richtigen Schritte ins Ohr flüstern, kämpft er sich lächelnd und konzentriert durch seine erste Sitzung.

Die zehn Mitglieder auf der anderen Seite der Tafel sind zwar allesamt älter als Ferdinand, doch viele von ihnen sind auch zum ersten Mal Stadträte und entsprechend wohlwollend. "Ich finde, es gehört auch ganz viel Mut dazu, sich als 19-Jähriger da vorne hinzusetzen", meint Christine Fuhrmann von der SPD.

Ich finde, es gehört auch ganz viel Mut dazu, sich als 19-Jähriger da vorne hinzusetzen. Christine Fuhrmann | SPD-Stadträtin
Vier Menschen blicken von eine Tisch in Richtung eines Saales.

Bei seiner Ausschuss-Sitzung war Ferdinand Raabe (2.v.r.) spürbar aufgeregt.

Als die Sitzung nach zwei Stunden vorbei ist und sich alle verabschieden, kommt Ferdinands Bruder in den Saal. "Schade, ich habe deine erste Sitzung verpasst", sagt Friedemann, der gerade von einer Sitzung der Beteiligungsmanagementanstalt kommt. Dabei wurde Friedmann die Struktur des Unternehmens erklärt. "Und als man dachte, es wäre endlich vorbei, gab es noch einen Punkt und noch einen Punkt", erzählt der große Bruder. "Bei mir war alles harmonisch, außer kleinen Sticheleien bei manchen Stadträten", erwidert Ferdinand.

Wie Kommunalpolitik ein Teil des Alltags wird

Gerade die Anfangszeit als Stadtrat ist für beide anstrengend, da so viele Abläufe und Strukturen gelernt und durchdrungen werden müssen. "Das ist ein echter Overload", klagt Friedemann, der gerade ein duales Studium begonnen hat, bei dem er in Halle beim Landesverwaltungsamt arbeitet und an der Hochschule Halberstadt studiert. Daneben verbringt der 23-Jährige viel Zeit bei seiner Freundin in Leipzig. Da ist es nicht leicht, Alltag und ehrenamtliches Mandat unter einen Hut zu bekommen.

Auch Ferdinand würde jetzt eigentlich nicht mehr in Halle sein, denn er studiert Stadtentwicklung an der Bauhaus-Uni Weimar. "Zum Glück ist die Zugverbindung zwischen beiden Städten gut, da kann ich prima pendeln", erklärt er.

Zwei junge Männer sitzen in einem Café.

Dank ihres Engagements in der Kommunalpolitik sehen sich Friedemann (l.) und Ferdinand Raabe nun wieder öfters.

Doch ein Gutes hat die Stadtratsarbeit dann doch: Die beiden Brüder sehen sich jetzt wieder öfter. Sei es bei den alle zwei Wochen stattfindenden Absprachen in der Fraktion oder bei den monatlichen Stadtratssitzungen. Und zwischendurch bei gemeinsamen Treffen im Lieblingscafé, wo sie bei Kakao und Cola über Gott und die Welt philosophieren – und natürlich über Politik.

MDR (Alexander Kühne, Oliver Leiste)