Schleswig-Holstein Betrug am Telefon: Rentner-Paar trickst falsche Polizisten aus
Schockanrufe lösen aktuell den Enkeltrick ab. Falsche Polizisten wollten einen Rentner in Schleswig-Holstein abzocken - doch der durchschaut den Betrug, nimmt ihn auf und ruft die richtige Polizei.
So hatte sich der 74 Jahre alte Wolfgang M. aus Schleswig-Holstein seinen Tag nicht vorgestellt, als am frühen Nachmittag das Festnetztelefon klingelt. Eine Frau am anderen Ende der Leitung stellt sich als seine Tochter vor, sie weint und sagt, dass sie eine schwangere Frau überfahren und getötet habe. "Das war ein Heidenschreck", sagt der 74-jährige, "der Adrenalinspiegel steigt ganz enorm in die Höhe. Es war eigentlich unfassbar. Man ist derartig geschockt, dass man völlig aus dem Häuschen ist." Doch von seinen Gefühlen will sich der ehemalige Rechtspfleger nicht leiten lassen.
Anruf: Tochter soll tödlichen Unfall verursacht haben - eine Lüge
Die Oberstaatsanwaltschaft wirft ihrer Tochter fahrlässige Tötung vor [...] gut möglich, dass sie [...] bis zu fünf Jahre inhaftiert wird."
— Schockanruf-Betrüger am Telefon
Mittlerweile ist die angebliche Tochter verstummt und eine andere Frau und ein Mann haben das Gespräch übernommen. Die Frau ist angeblich Polizistin, der Mann angeblich Staatsanwalt. Sie üben Druck auf den Rentner aus. Wolfgang M. fallen aber Ungereimtheiten im Gespräch auf. Zum Schein nennt er am Telefon einen falschen Namen seiner eigenen Tochter: Petra. Als die angeblichen Beamten darauf eingehen, ist klar: Wolfgang M. ist ins Visier von Betrügern geraten. "Ich habe gar keine Tochter, die Petra heißt", sagt er. Er soll um sein Geld gebracht werden.
Hohe Summe Geld gefordert - Polizei ist vor Ort
Betrüger wollten Wolfgang M. um sein Geld bringen. Er stellt den Kriminellen eine Falle.
Während des Gespräches schreibt Wolfgang M. seiner Ehefrau einen Zettel: "110 anrufen!" Die beiden Senioren drehen den Spieß um. Sie alarmieren die Polizei und nehmen das Telefonat mit einem Tablet-Computer auf. "Die Oberstaatsanwaltschaft möchte, dass sie bis spätestens 16 Uhr vor dem Schnellrichter erscheint und es wäre gut möglich, dass sie zu einer Haftstrafe von bis zu fünf Jahren verurteilt wird." Das sagt der falsche Staatsanwalt am Telefon.
Um einen Gefängnisaufenthalt zu vermeiden, müsse nun schnell eine hohe Summe Bargeld oder Schmuck bereitgestellt werden. Die Kriminellen am Telefon machen Druck: "Eine Kaution im Fall einer fahrlässigen Tötung liegt in der Regel bei 30.000 bis 90.000 Euro."
Ich weiß jetzt nicht, ob 15.000 ausreichen würden oder ob sich die Oberstaatsanwaltschaft überhaupt damit zufrieden geben würde."
— Schockanruf-Betrüger am Telefon
Die Betrüger bearbeiten den Rentner aus Schleswig-Holstein mehr als fünf Stunden am Telefon. Was sie nicht wissen: Die echte Polizei ist vor Ort. Gemeinsam vereinbaren sie eine Geldübergabe mit den Verbrechern.
Geldübergabe mit den Verbrechern
Stunden später taucht ein Bote vor dem Haus des Ehepaares auf. "Gehen Sie jetzt vor die Eingangstür. Da ist jetzt ein Mitarbeiter. Das ist der Mitarbeiter Schwarz", sagt einer der Betrüger am Telefon. "Aber er ist taub. Er kann nicht reden. Sein Personalausweis ist bei uns als Pfand geblieben für den Notdienst. Übergeben Sie ihm bitte die Tasche jetzt." Dann greifen die echten Beamten ein und nehmen den Boten fest.
Kriminelle im Hintergrund schwer zu fassen
In diesem Fall wird das Verfahren gegen den Geld-Boten unter Auflagen eingestellt. Der junge Mann, den die Beamten festgenommen hatten, ist zum Tatzeitpunkt 18 Jahre alt, es wird Jugendstrafrecht angewandt. Die Staatsanwaltschaft sagt, dass er mit Komplizen in Polen zusammengearbeitet habe. Der Schockanruf sei den Ermittlungen nach von dort gekommen.
Fast vier Millionen Euro Schaden
Laut Landespolizei haben Kriminelle mit Schockanrufen, dem Enkeltrick, Whatsapp-Betrügereien im vergangenen Jahr alleine in Schleswig-Holstein mehr als 500 Menschen übers Ohr gehauen. Dabei haben die Opfer Geld und Schmuck im Wert von beinahe vier Millionen Euro an die Betrüger übergeben. Fast 8.000 Betrugsversuche hat die Polizei innerhalb eines Jahres registriert. Die Landespolizei hat Fälle der vergangenen sechs Jahre ausgewertet. Die Zahlen schwanken stark. Eine Tendenz, dass die Aufklärungskampagnen und Medienberichte dafür sorgen, dass weniger Menschen auf die Trickbetrüger hereinfallen, lässt sich nicht erkennen, sagt Carola Jeschke von der Landespolizei. Die Statistik zeigt allerdings auch: Die meisten Menschen fallen nicht auf die perfiden Betrugsmaschen herein. Weil es aber so viele Versuche täglich sind, gelingt es den Kriminellen immer wieder, Opfer zu finden - in Schleswig-Holstein statistisch gesehen mindestens einmal pro Tag.
Polizei anrufen: Bei Verdacht sofort den Notruf 110 wählen
In den vergangenen Wochen haben Betrüger in verschiedenen Gegenden von Schleswig-Holstein vermehrt angerufen - etwa im Bereich Neumünster, sagt Polizeisprecher Sönke Petersen. "Das macht natürlich mit Menschen etwas. Man wird in Angstzustände versetzt, man hat Angst um seinen Sohn oder die Tochter, die man ja zuvor weinend am Telefon gehört hat", erklärt Petersen. "Das ist schon so, dass die gewaltig unter Druck gesetzt werden dadurch." Die Anrufer würden hauptsächlich im Ausland sitzen und von dort aus vorgehen. Aber wenn man dann einmal einen Geldabholer hier erwischen konnte, dann sei das für die Ermittler schon ein Erfolg, so Petersen. Die Erkenntnisse werden zusammengetragen und abgeglichen - und manchmal gelinge es dann, auch ein sogenanntes kriminelles Callcenter im Ausland auszuheben.
Polizeisprecher Sönke Petersen findet das Vorgehen der Betrüger "ekelhaft".
Opfer werden um ihre Ersparnisse gebracht
Wenn die in der Regel älteren Menschen um ihr Geld gebracht werden, haben auch die eingesetzten Beamten einen besonderen Bezug zu den Fällen: Es könnte immer auch die eigenen Eltern, oder Großeltern treffen. "Wenn man sich das nur vorstellt, die haben ihr Leben lang hart gearbeitet, haben sich wirklich ihre Ersparnisse beiseite gelegt. Und einfach, weil sie herzensgut sind - sie wollen einfach ihren Enkeln und Kindern helfen. Und dadurch wird ihnen ihr ganzes Geld geraubt, dass sie ihr Leben lang durch harte Arbeit erwirtschaftet haben", sagt Polizeisprecher Sönke Petersen. "Das ist kurz und einfach gesagt nur ekelhaft."
Was tun bei Schockanrufen? Polizei gibt Tipps
Die Landespolizei möchte in Sachen "Schockanruf" sensibilisieren, damit möglichst viele Taten scheitern. Die Beamten geben folgende Hinweise:
- Die echte Polizei sammelt niemals Geld und Wertgegenstände bei Privatpersonen ein.
- Die Polizei oder ein Staatsanwalt werden niemals direkt mit einem Angehörigen über eine Kaution oder eine Sicherheitsleistung verhandeln oder Geld dafür verlangen.
- Es sollten niemals persönliche Konto- oder Kreditkartendaten an Unbekannte weitergegeben werden.
Immer wieder drohen die falschen Polizisten mit strafrechtlichen Konsequenzen, wenn die angerufenen Menschen nicht das machen, was die Betrüger wollen. Im Zweifelsfall hilft ein Anruf bei der echten Polizei über den Notruf 110. Die Beamten dort können schnell Klarheit schaffen, ob wirklich ein Angehöriger in Not ist und entsprechend weiterhelfen.
Die Landespolizei Schleswig-Holstein informiert im Internet über aktuelle Betrugsmaschen.
Dieses Thema im Programm:
NDR Fernsehen | Schleswig-Holstein Magazin | 25.10.2024 | 15:30 Uhr