Schleswig-Holstein Ein Jahr nach Ostsee-Sturmflut: Nicht alle Deiche repariert
Ein Jahr nach dem Ostsee-Hochwasser gibt es noch zahlreiche Baustellen. Eine Bestandsaufnahme - von den Regionaldeichen und der Flensburger Kaikante bis zur Frage, wie Behörden künftig besser warnen können.
Ein Todesopfer, 200 Millionen Euro Schaden, gebrochene Deiche: Ein Hochwasser wie am 20. Oktober 2023 hat es in Schleswig-Holstein seit vielen Jahrzehnten nicht gegeben. In Flensburg stieg der Pegel so hoch wie zuletzt 1872. Ein Ereignis, das alle Betroffenen in dieser Heftigkeit zum ersten Mal erlebt haben - und möglicherweise nicht zum letzten Mal. "Wir hatten jetzt eine Jahrhundert-Sturmflut, aber es wird nicht ein Jahrhundert dauern, bis wieder so eine Sturmflut da ist", sagte Umweltminister Goldschmidt (Grüne). Der Meeresspiegel der Ostsee werde bis Ende des Jahrhunderts um 80 Zentimeter steigen. Wie also kann sich das Land in Zukunft besser vorbereiten? Was haben Politik und Behörden aus der Flut gelernt?
Noch sind nicht alle Deiche repariert
Schwere Flutschäden gab es laut Land auf insgesamt sechseinhalb Kilometern Ostsee-Deichlinie. Einige dieser Abschnitte habe man noch nicht vollständig reparieren können. Das betrifft mehrere Regionaldeiche, die in kommunaler Verantwortung der Wasser- und Bodenverbände liegen. In Süssau (Kreis Ostholstein) ist das Deckwerk nicht rechtzeitig fertig geworden. Und: "Die Wiederherstellungsmaßnahmen für den Ostseedeich in Oehe und am Regionaldeich Weidefeld können aufgrund des hohen Umfangs erst in 2025 abgeschlossen werden", teilt das Umweltministerium in Kiel mit. Beide Deichabschnitte liegen im Kreis Schleswig-Flensburg.
Maasholm-Oehe: Deich "teilzerstört"
"Der Deich ist immer noch in großen Teibereichen teilzerstört", sagte Jörg Reinhardt, Leiter des Katastrophenschutzes im Kreis Schleswig-Flensburg, über den Regionaldeich bei Oehe-Maasholm. "Wir haben einfach die Hoffnung, dass eine Sturmflut in Höhe des vergangenen Jahres in diesem Jahr nicht wiederkommt." Falls doch, würden noch deutlich größere Schäden als im vergangenen Jahr drohen. Das Umweltministerium versprach, die unfertigen Deichabschnitte über den Winter entsprechend zu sichern. "Glücklicherweise sind sie so wiederhergestellt, dass wir sicher in die Sturmflutsaison gehen können", sagte Goldschmidt am Dienstag (15.10.) NDR Schleswig-Holstein.
Einige Regionaldeiche könnten in Landesverantwortung gehen
Das Land hat nach der Oktober-Sturmflut bislang mehr als 24 Millionen Euro für die Reparaturen an den Regionaldeichen bereitgestellt. Eigentlich sind für die Pflege und Instandhaltung dieser Regionaldeiche die Wasser- und Bodenverbände verantwortlich. Diese Verantwortung wird einigen kleineren Verbänden aber zu groß. "Wir haben das Angebot gemacht, Deiche in die Landeszuständigkeit zu übernehmen", sagte Minister Goldschmidt. Dieses Angebot möchten zum Beispiel die Verbände Oehe-Maasholm und Grödersby (Kreis Schleswig-Flensburg) annehmen. Dann wäre für sie der Landesbetrieb für Küstenschutz zuständig. Gespräche dazu laufen nach Angaben des Umweltministeriums bereits.
Deutsche Pegel-Prognosen für Flensburg waren zu niedrig
Das Hochwasser hat Flensburg am Flut-Freitag (20.10.2023) in seiner historischen Heftigkeit überrascht. Die deutschen Modellprognosen lagen deutlich unter den tatsächlich erreichten Wasserständen. "Die Stadt Flensburg orientiert sich an den Warnmeldungen des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH). Auch hier wurde die tatsächliche Fluthöhe unterschätzt, die knapp 30 Zentimeter über den Meldungen lag", teilte die Stadt Flensburg nach dem Hochwasser mit. Die BSH-Prognose lag am Flut-Freitag bis zum Abend bei Pegelständen von zwei Metern über dem mittleren Wasserstand - um 19 Uhr wurde sie laut BSH auf 2,10 Meter angepasst. Diese Prognosen seien laut Flensburger Stadtverwaltung Basis für die Planung der Einsätze von Feuerwehr und Katastrophenschutz gewesen.
Flensburg will sich auch an dänischen Prognosen orientieren
Die Stadt kündigte deshalb bereits im Februar an, sich künftig auch an den Daten des Dänischen Meteorologischen Instituts (DMI) zu orientieren. Die Dänen hatten bei der Oktober-Sturmflut zwischenzeitlich vor Pegelständen von bis zu 2,4 Meter über dem mittleren Wasserstand gewarnt. Das BSH teilt dazu auf Nachfrage von NDR Schleswig-Holstein mit: "Generell warnen die dänischen Kolleginnen und Kollegen anders als wir. Dort wird eine Bandbreite der maximal zu erwartenden Werte angegeben, während wir möglichst gut das Maximum vorhersagen." Die DMI-Prognosen stünden auch dem BSH zur Verfügung und würden bei Vorhersagen miteinbezogen.
BSH arbeitet daran, seine Modelle zuverlässiger zu machen
"Um die Verlässlichkeit der Wasserstandsvorhersagen zu erhöhen, wollen wir in Zukunft mehrere Modellrechnungen gleichzeitig durchführen und statistisch auswerten. Dadurch können dann auch unterschiedliche Wetterprognosen verschiedener Modelle einfließen, um so die damit verbundene Unsicherheit abzuschätzen", heißt es vom BSH. Zusätzliche Rechnerkapazitäten seien im Aufbau, um bei Vorhersagen künftig auch Wahrscheinlichkeiten für unterschiedliche Szenarien liefern zu können.
Kaikante: Flensburg hofft auf Fördermittel
Für den Neubau der abgesackten Kaikante hofft die Stadt Flensburg auf Finanzhilfen aus dem Wiederaufbaufonds des Landes. Bis zu 15 Millionen Euro könnte das Projekt kosten. Bedingung für eine Förderzusage ist laut Stadt aber, dass das Absacken der Kaikante eindeutig als Flutfolge identifiziert wird. Bis Ende Oktober hat die Stadt Zeit, ihren Antrag beim Land einzureichen. Laut Stadt Flensburg dürfte es voraussichtlich etwa fünf Jahre dauern, bis eine neue Kaikante fertig ist. Zuletzt hatten sich die Abrissarbeiten verzögert. Insgesamt seien bei der Oktober-Sturmflut in Flensburg allein an öffentlichen Gebäuden und städtischer Infrastruktur Schäden in Höhe von rund 14 Millionen Euro entstanden, heißt es aus der Verwaltung.
Dieses Thema im Programm:
NDR Fernsehen | Schleswig-Holstein Magazin | 15.10.2024 | 19:30 Uhr