Eine Aufnahme des Sozialgerichtes in Kiel

Schleswig-Holstein Kritik an Gerichtsreform: "Die Schwächsten werden darunter leiden"

Stand: 16.10.2024 07:50 Uhr

Richterverbände und Gewerkschaften laufen Sturm gegen die geplante Gerichtsreform. Eine Petiton gegen die Zusammenlegung von Arbeits- und Sozialgerichten hat schon Tausende Unterschriften. Für Donnerstag ist eine Demo vor dem Landtag geplant.

Von Andreas Schmidt

Es scheppert und quietscht draußen an der Fassade des Justizministeriums. Die Gerüstbauer sind bei der Arbeit. Im Frühjahr sind Steine aus der Mauer auf den Parkplatz gefallen. Zum Glück wurde niemand verletzt. Jetzt sanieren Spezialisten bis Ende des Jahres Fassade und die Fenster gleich mit. Kostenpunkt: 270.000 Euro. Ein Klacks im Vergleich zum Sanierungsstau bei den Justizgebäuden im ganzen Land: geschätzte 500 Millionen. Dennoch kann das Ministeriumsgebäude sinnbildlich stehen für die Probleme der Justizministerin Kerstin von der Decken (CDU).

Ministerin in der Defensive

Drinnen müht sich von der Decken, ihre Politik zu erklären. "Wir haben es geschafft, Personalabbau in der Justiz abzuwenden. Wir schaffen sogar 25 zusätzliche Stellen, die den Staatsanwaltschaften zugute kommen." Dennoch müsse sich das Justizministerium am Sparkurs der Landesregierung beteiligen. Der Beitrag bestehe darin, die Arbeits- und Sozialgerichte an einem Ort zusammenzulegen. Im Gespräch dafür ist Neumünster. Perspektivisch könnten auch Amtsgerichte fusionieren. Langfristig, so hofft die Ministerin ließen sich so bis zu 63 Millionen Euro sparen.

Eine Frau gibt ein Interview

Klägerinnen und Kläger an den Sozialgerichten seien die Schwächsten in der Gesellschaft, sagt Sozialrichterin Kathrin Gebhardt.

"Die Schwächsten werden darunter leiden."

Kathrin Gebhardt überzeugt das Konzept der Ministerin überhaupt nicht. Sie ist Sozialrichterin und spricht für die Neue Richtervereinigung. "Zu uns kommen kranke Menschen, die sich mit der Krankenversicherung um Leistungen streiten, oder sie haben eine Behinderung und brauchen Leistungen, oder sie sind finanziell schwach und begehren Bürgergeld. Häufig trifft alles gleichzeitig zu." Klägerinnen und Kläger an den Sozialgerichten seien die Schwächsten in der Gesellschaft. "Und das sind die Menschen, denen wir zumuten wollen, durchs ganze Land zu fahren, um zu ihrem Recht zu kommen? Das halten wir überhaupt nicht für richtig."

Videoverhandlungen und Gerichtstage: ein Heilmittel?

"Ich nehme die Kritik sehr ernst," meint dazu die Justizministerin und kündigt an, mit allen Beteiligten in einen offenen Austausch zu gehen. An ihren Plänen hält sie allerdings fest. "Es gibt die Möglichkeit, über Videokonferenzen Verhandlungen zu führen." Außerdem könnten die Richterinnen und Richter zu Gerichtstagen über Land fahren und Verhandlungen weiter vor Ort führen. Dafür müssten allerdings Säle angemietet werden, beispielsweise bei den Amtsgerichten. "Aber die platzen jetzt schon aus allen Nähten," wendet Kathrin Gebhardt ein. Letztlich müssten dann wieder Säle angemietet werden, die auch Standards erfüllen müssen wie zum Beispiel ein angegliedertes schalldichtes Besprechungszimmer. "Insgesamt sehen wir hier überhaupt keinen Einspareffekt."

Petition gegen Reformpläne

Mittlerweile haben knapp 3.500 Menschen eine Petition an den Landtag unterschrieben, die fordert, die Gerichte müssten für alle Menschen im Land erreichbar bleiben. Ins Leben gerufen hat sie Frank Hornschu, Geschäftsführer des DGB in der Kiel-Region. "Die Distanz zwischen den Menschen und dem Rechtsstaat darf nicht größer werden." Außerdem könne es nicht sein, dass am Ende die Beschäftigten für die Einsparungen der Landesregierung zahlen, indem sie nach Neumünster zur Arbeit pendeln. Das Ministerium verweist auf vielfältige Möglichkeiten, aus dem Homeoffice zu arbeiten. Doch das überzeugt weder den DGB noch die Richterverbände. "Unsere Befürchtung ist, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schlicht nicht mit uns mitziehen werden," sagt Kathrin Gebhardt, "sondern sich stattdessen andere Verwaltungsjobs in ihrer unmittelbaren Umgebung suchen."

Absetzbewegungen in der Koalition

Mittlerweile ist auch den Grünen Koalitionspartnern nicht mehr wohl bei der Gerichtsreform. Sie wollen den Nachweis sehen, dass die geplanten Zusammenlegungen einen tatsächlichen Einspareffekt erzielen. Die Opposition im Landtag glaubt ohnehin nicht daran. "Wir haben allein in der Sozialgerichtsbarkeit etwa 1.000 ehrenamtliche Richter," meint Bernd Buchholz aus der FDP Fraktion. "Sollen die dann alle quer durchs Land fahren?" Für Donnerstagnachmittag ist eine Demonstration gegen die Gerichts-Pläne vor dem Landtag angemeldet. Die Justizministerin hofft, noch in diesem Jahr einen Gesetzesvorschlag dazu auf den Weg zu bringen. Gut möglich aber, dass angesichts der Widerstände die Fassadensanierung an ihrem Ministerium früher fertig wird.

Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 16.10.2024 | 09:00 Uhr