Ein junges Mädchen, 10 Jahre alt, macht ein Selfie mit dem Handy.

Schleswig-Holstein Nach Schulstart in SH: Smartphone erst ab 14 Jahren?

Stand: 06.09.2024 05:00 Uhr

Viele Eltern geben ihren Kindern ein Smartphone, wenn die weiterführende Schule startet, mit etwa zehn Jahren. Die Mütter Catalina, Anke und Margarete aus Wentorf (Kreis Herzogtum Lauenburg) finden: Das eigene Smartphone kann warten.

Von Astrid Wulf

Der WhatsApp-Chat in Hennings Klasse findet ohne ihn statt. Henning ist einer der wenigen in seiner sechsten Klasse, die noch kein eigenes Smartphone haben. Für den Elfjährigen sei das okay, sagt er. "Ich spiele dreimal die Woche Hockey, habe jetzt auch länger Schule im Gymnasium, habe Hausaufgaben, dann will ich mich ja auch noch mit meinen Freunden verabreden. Deswegen denke ich darüber gar nicht so oft nach. Nur manchmal, wenn ich mich langweile." Im Chat habe er noch nicht viel verpasst, sagt er. Auch ausgelacht wurde er noch nie.

2022 hatten 86 Prozent der Zehn- bis Zwölfjährigen ein eigenes Smartphone (Kinder- und Jugendstudie des Digitalbranchenverbands Bitkom). Für Catalina aus Wentorf ist klar, dass Henning und seine jüngere Schwester Marline noch warten können. "Zur Grundschule und zur weiterführenden Schule sind es fünf oder zehn Minuten Gehweg. Da gibt es kein Argument, das vielleicht Busschüler haben." Dazu habe Henning ein Laptop seiner Schule, auch darüber könne er mit Mitschülerinnen und Mitschülern chatten.

Eine Mutter (links) steht mit ihrem Sohn (rechts) vor einer grünen Hecke.

Catalina mit ihrem Sohn Henning. Der Sechstklässler hat noch kein eigenes Smartphone - und bisher fehle es ihm nicht, sagt er.

Maias Mutter Anke: "Schulwechsel ist aufregend genug"

Maia, zehn Jahre alt, geht jetzt in die fünfte Klasse. Wenn sie Freundinnen und Freunden Nachrichten schicken möchte, nutzt sie das Handy ihrer Mutter. "Blöd ist das nur, wenn ich mich unbedingt verabreden möchte und Mama mal weg ist." Der Wechsel an die weiterführende Schule, eine neue Klasse, all das ist aufregend genug, findet Maias Mutter Anke: "Die Kinder bekommen mit dem Handy Zugang zur virtuellen Welt, auch mit den ganzen Ideen und Versprechungen. Es ist schöner, wenn sie sich voll in das Abenteuer fünfte Klasse stürzen kann und dann später das Smartphone dazukommt."

Anke findet es regelrecht unfair, Kindern ein eigenes Handy in die Hand zu drücken und dann zu verlangen, dass sie es verantwortungsvoll nutzen. "Ich glaube, in dem Alter sind sie noch nicht so reif, dass sie das differenziert betrachten können."

Eine Mutter (rechts) steht mit ihrer Tochter (links) vor einer grünen Hecke.

Anke mit ihrer Tochter Maia. Sie soll erst in der fünften Klasse ankommen, neue Freundinnen und Freunde finden und spielen, bevor sie irgendwann ein eigenes Smartphone bekommt.

Medienpädagoge: Bauchgefühl statt Mindestalter

Das perfekte Alter fürs erste Smartphone gebe es nicht, sagt Julius Keinath, Fachreferent für Jugendmedienschutz und Medienpädagogik von der Aktion Kinder- und Jugendschutz in Schleswig-Holstein. Sobald der Wunsch aufkommt, sollten Eltern fragen, was das Kind konkret mit dem Smartphone machen will. "Möchtest du in der WhatsApp-Klassengruppe sein, möchtest du einen Insta-Account haben? Was möchtest du damit machen? Wie sind die Altersfreigaben?"

Dann sollten Eltern selbst einschätzen, ob ihr Kind bereit ist fürs eigene Smartphone. Ob es zum Beispiel Gefahren im Internet erkennt und auch in der Lage ist, das Gerät wegzulegen. Statt rigider Vorgaben sei es besser, auf die Bedürfnisse der Kinder zu reagieren, sagt Keinath. Womöglich mit Übergangslösungen: zum Beispiel, indem ein Smartphone gemeinsam genutzt wird.

Prof. Dr. Hans-Jürgen Rumpf, leitender Psychologe der Suchtforschung an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsklinik Schleswig-Holstein in Lübeck findet hingegen: Vor zwölf Jahren sollten Kinder kein eigenes Smartphone bekommen. Gleichzeitig müsse man dafür sorgen, dass die Kinder zum Beispiel in der Klasse und im Freundeskreis nicht ausgeschlossen werden - ein schmaler Grat.

Suchtexperte: Frühere Smartphonenutzung, höhere Gefahr einer Abhängigkeit

Der Diskurs rund um Smartphonenutzung bei Kindern und Jugendlichen habe einen Höhepunkt erreicht, sagt Medienpädagoge Julius Keinath. Gewarnt wird vor Depressionen, Essstörungen, Bewegungsmangel. Davor, dass Konzentrations- und Empathiefähigkeit den Bach herunter gehen. Sowohl Julius Keinath als auch Psychologe Hans-Jürgen Rumpf plädieren dafür, dennoch nicht in Panik zu geraten. "Es bringt nichts, Smartphones als Teufelswerk zu sehen, das man von den Kindern fernhalten muss", sagt Rumpf. Man müsse stattdessen einen Weg finden, die Kinder gut heranzuführen. Keinath betont die positiven Seiten von Smartphones: soziale Teilhabe, Möglichkeiten, sich zu informieren, zu vernetzen und die digitale Technik kreativ zu nutzen.

Allerdings: "Es gibt auf jeden Fall einen Konsens von Wissenschaftlern, der besagt, dass wir eine Zunahme von Kindern mit psychischen Störungen haben und dass der unkontrollierte Mediengebrauch eine Rolle spielt", sagt Rumpf. Dazu sei erforscht, dass Social Media depressiv und ängstlich machen könne. Und je früher Kinder digitale Medien nutzten, desto höher sei die Gefahr, dass sie eine Abhängigkeit entwickeln. Bisher fehlten jedoch Ergebnisse aus lang angelegten Studien, die zeigen, wie sich Smartphonenutzung auf Kinder und Jugendliche konkret auswirkt.

Prof. Dr. Hans-Jürgen Rumpf, leitender Psychologe der Suchtforschung am Zentrum für Integrative Psychiatrie an der Universität zu Lübeck.

Prof. Dr. Hans-Jürgen Rumpf, leitender Psychologe der Suchtforschung am Zentrum für Integrative Psychiatrie an der Universität zu Lübeck, empfiehlt: Kein eigenes Smartphone vor zwölf Jahren.

Kinder brauchen gute Vorbilder und interessante Alternativen zur digitalen Welt

Schnell mal an der Ampel gucken, ob jemand geschrieben hat. Oder nach dem stressigen Arbeitstag erst mal auf dem Sofa im Instagram-Feed versinken, bis der Nacken schmerzt: Selbst vielen Erwachsenen fällt es schwer, dem Sog des Smartphones zu widerstehen. Kindern und Jugendlichen gehe es erst recht so. Die Fähigkeit, sich selbst zu regulieren, sei erst mit etwa 20 Jahren voll entwickelt, sagt Psychologe Rumpf. Wer als junger Mensch viel am Smartphone hängt, verschleppe diese Entwicklung zusätzlich: "Ich bin unausgeglichen, habe schlechte Laune und schon kann mich ein TikTok-Video da rausholen. So kann man die Fähigkeit, Emotionen zu regulieren, nicht gut lernen."

Gerade Social Media-Apps seien so gestaltet, dass sie spannender sind als die Realität, sagt Medienpädagoge Keinath. "Das bedeutet Arbeit. Wie kann ich Sport, eine Freizeitaktivität, eine Schnitzeljagd gestalten, damit das Smartphone für ein paar Stunden in der Ecke liegenbleibt?" Auch gute Vorbilder helfen, einen gesunden Umgang mit Smartphones zu entwickeln, sagt Psychologe Rumpf. Das heißt: Auch die Eltern müssen sich zusammenreißen. "Man kann nicht von den Kindern fordern, dass sie das Handy weglegen, aber man selbst schaut ständig drauf."

Mutter Margarethe: Am Ende der sechsten Klasse wird es ohne Smartphone schwierig

Margarethe aus Wentorf hat fünf Kinder. Ihre beiden ältesten haben erst seit Beginn der siebten Klasse eigene Smartphones. Bis dahin hätte alles gut ohne funktioniert, sagt sie: "Dann wurde es haariger. Geburtstagseinladungen in Gruppenchats von Sportvereinen blieben hängen, die musste dann die beste Freundin meiner Tochter weiterleiten."

Nachts bleibt das Smartphone aus, auf Social Media-Kanälen wird nichts gepostet: Trotz fester Regeln und Verabredungen hat Margarethe das Gefühl, nicht mehr zu überblicken, was ihre Kinder online machen. Sie vertraut ihnen - gezwungenermaßen. "Ich bin da sehr schnell rausgeschmissen worden. Wie man ein Kind früher in den Wald geschickt hat, geh spielen, so sind die jetzt im Internet unterwegs und man hat kaum noch eine Handhabe, das zu kontrollieren."

Medienpädagoge: Gute Vorbereitung auf das erste Smartphone ist wichtig

Cybergrooming, Mobbing, zweifelhafte Social Media-Challenges: Das Internet sei ein Ort, der gefährlich sein kann, sagt Medienpädagoge Keinath. Umso wichtiger, dass Kinder und Jugendliche mit eigenem Smartphone wissen, dass sie ihre Eltern bei Schwierigkeiten ansprechen können. Was Vertrauen schaffe: ein ehrliches Interesse daran, mit wem ihre Kinder chatten, was sie spielen, welche TikTok-Trends sie spannend finden. "Die Hälfte werden Eltern nicht verstehen. Aber es ist wichtig, den Willen zu zeigen, eine Augenhöhe zu schaffen, dass man sagt: Wir können über solche Themen reden."

Julius Keinath, Fachreferent für Jugendmedienschutz und Medienpädagogik.

Medienpädagoge Julius Keinath rät, sich auf die Bedürfnisse der Kinder einzustellen.

Medienkompetenz steht mittlerweile fächerübergreifend auf dem Lehrplan, zusätzlich gibt es online viele Angebote rund um Jugendschutz und gesunde Mediennutzung für Eltern und Kinder, die man sich gemeinsam anschauen könne. Am besten, bevor das eigene Smartphone fürs Kind angeschafft wird, sagt Keinath. Die Hamburger Elterninitiative "Smarter Start ab 14" vernetzt Eltern, die mit dem ersten Smartphone für ihre Kinder noch warten wollen. Auch Margarethe, Catalina und Anke sind in den WhatsApp-Gruppen der Initiative, regelmäßig werden dort Studien und Berichte geteilt.

Mutter Catalina: Erstes Handy mit 26

Anke und Catalina wissen noch nicht genau, wann ihre Kinder Henning und Maia ihr erstes Smartphone bekommen werden. "Ich habe immer gesagt: ab 14", sagt Catalina. "Dann haben sie gefragt, wann ich mein erstes Handy hatte. Nun ja - mit 26. Dann haben die Kinder gelacht." Klar: Die jetzige Elterngeneration ist anders aufgewachsen. Dennoch will Catalina ihren Kindern deutlich machen: Eine Kindheit ohne Smartphone ist möglich.

Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Welle Nord | Moin Schleswig-Holstein – mit Mandy Schmidt und Horst Hoof | 10.09.2024 | 07:10 Uhr