Sahra Wagenknecht hinten links auf einer Bühne, davor steht Katja Wolf.

Thüringen BSW-Machtkampf spitzt sich zu: Wagenknecht stellt Bedingungen für Thüringer Regierungsbildung

Stand: 31.10.2024 21:47 Uhr

Die BSW-Bundesspitze um Sahra Wagenknecht mischt sich weiter in die Erfurter Regierungsbildung ein. In einem Vorstandsbeschluss werden Bedingungen für die Zusammenarbeit mit CDU und SPD in Thüringen gestellt.

Von MDR THÜRINGEN

Die BSW-Bundesspitze um Sahra Wagenknecht hat am Donnerstag Bedingungen für die Regierungsbildung in Thüringen formuliert. Der Bundesvorstand fordert in einem auf der Homepage der Partei veröffentlichten Beschluss den Thüringer BSW-Landesverband auf, in den nun laufenden Koalitionsverhandlungen mit CDU und SPD außenpolitische Positionen zu konkretisieren. Gelinge dies nicht, solle man in die Opposition gehen, heißt es.

Die Thüringer BSW-Spitze um Katja Wolf reagierte am Freitag auf die massive Kritik von Wagenknecht und deren Umfeld. Der Landesvorstand nehme "die Beurteilung des BSW-Bundesvorstandes hinsichtlich der Ergebnisse, die in den Sondierungsgesprächen erreicht wurden, sehr ernst", heißt es in einer Mitteilung. Sie bilde die Grundlage für die Arbeit in den kommenden Tagen.

Thüringer hatten sich eigentlich geeinigt

Bereits zuvor hatten Parteifunktionäre die Formulierungen zu Krieg, Frieden und dem russischen Angriff gegen die Ukraine kritisiert, auf die sich die thüringische BSW-Vorsitzende Katja Wolf und ihr Co-Vorsitzender Steffen Schütz mit CDU und SPD in Erfurt geeinigt haben. Wagenknecht selbst hatte das Thüringer Kompromisspapier, das die unterschiedlichen Positionen der Parteien bei dem Thema festhält, als Fehler bezeichnet. 

Wagenknecht vergleicht wiederholt Thüringen mit Brandenburg

Im "Stern" (€) erneuerte Wagenknecht ihre Kritik und zeigte sich skeptisch, "dass am Ende der Koalitionsverhandlungen ein gutes Ergebnis stehen wird". In den Sondierungsgesprächen mit der SPD in Brandenburg sei ein guter Kompromiss in der Frage von Krieg und Frieden erzielt worden. "Das wäre auch in Thüringen möglich gewesen, wenn die Thüringer Verhandlungsführer von Beginn an verdeutlicht hätten, dass wir an diesem Punkt unsere Wahlversprechen einlösen müssen."

Allerdings geht es anders als in Brandenburg in Thüringen um ein Papier von drei Partnern, in dem sich auch die CDU wiederfinden muss - diesen Spagat hatte der Landesverband zu bewältigen versucht, in dem das Papier neben Gemeinsamkeiten auch Unterschiede thematisierte.

Sahra Wagenknecht, MdB, BSW im Deutschen Bundestag

Immer wieder hatte sich Sahra Wagenknecht aktiv in die Thüringer Regierungsbildung eingemischt.

Wagenknecht: Sondierungspapier "äußerst vage"

Auch bei anderen Punkten des Thüringer Sondierungsergebnisses beklagt der Bundesvorstand unkonkrete Festlegungen. "Wir bedauern, dass das Thüringer Sondierungspapier in vielen für uns wichtigen Fragen äußerst vage bleibt", heißt es in dem Vorstandsbeschluss, über den zunächst die "Berliner Zeitung" berichtete. Verbindliche Festlegungen fehlten demnach beim sozialen Wohnungsbau, einer besseren Kontrolle des Verfassungsschutzes oder beim Erhalt der Klinikstandorte im Bundesland.

Mit Blick insbesondere auf Brandenburg fällt jedoch auf: Die drei Thüringer Verbände von CDU, SPD und BSW haben ihre Vorhaben relativ ausführlich auf fast 19 Seiten festgehalten - in Brandenburg blieben SPD und BSW vager und notierten ihre Pläne auf gut zwei Seiten.

Wissenschaftler: "Autoritäre Strukturen" im BSW

Der Politikwissenschaftler Oliver Lembcke hatte im MDR-Interview am Mittwoch die laufende Auseinandersetzung zwischen Wagenknecht und der Thüringer BSW-Chefin als Machtprobe eingeordnet. "Das kann und wird die Koalitionsverhandlungen beeinträchtigen. Das kann sie möglicherweise behindern oder auch zum Scheitern bringen." Wagenknecht werde das Thema Krieg und Frieden niemals loslassen, so Lembcke. "Die einzige Struktur, die diese Partei kennt, ist von oben nach unten, also Top-down."

Wenn der Druck auf Wolf zu groß werde und daran die Koalitionsverhandlungen scheitern könnten, sei es aus seiner Sicht auch möglich, dass die mit CDU und SPD eigentlich schon beschlossene Präambel nochmal nachverhandelt werden könne, so Lembcke. "Wagenknecht wird auf jeden Fall eine Form der Kompensation erwarten." Generell dürfte aus seiner Sicht keine der beiden Frauen Interesse an einer Eskalation haben: "Wenn man das jetzt nicht einfängt, wird es unangenehm für Frau Wolf - aber auch für Frau Wagenknecht."

Wolf, früher Oberbürgermeisterin der Stadt Eisenach und Linke-Mitglied, gilt als Pragmatikerin. Schon im Wahlkampf hatte sie sich gelegentlich von Wagenknechts Positionen abgesetzt. Kritik aus Berlin ließ sie bislang an sich abprallen. Bei der Präsentation des Papiers in Erfurt antwortete sie am Montag auf die Frage, ob Wagenknecht der Einigung zugestimmt habe, mit einem etwas verkniffenen Lächeln: "Die Zustimmung ist rein formal nicht vorgesehen." Völlig entspannt sei sie aber nicht, gab sie zu. 

Das ist der erste öffentliche Machtkampf, den man da beobachten kann. Politikwissenschaftler Benjamin Höhne | Technische Universität Chemnitz

Auch der Politikwissenschaftler Benjamin Höhne von der Technischen Universität Chemnitz schätzt die Forderungen von Wagenknecht gegenüber Thüringen als Machtkampf ein: "Das ist der erste öffentliche Machtkampf, den man da beobachten kann", sagt er. Offiziell gehe es um sicherheitspolitische Themen. "Aber die eigentliche Frage ist: Wer hat das Sagen in der Partei?" Wagenknecht habe offenbar die Eigenwilligkeit von Wolf unterschätzt - obwohl diese sich schon länger abgezeichnet habe. 

Basis von CDU und SPD weitgehend "ernüchtert"

Bei der Thüringer Basis von CDU und SPD kommen die Einmischungen von Sahra Wagenknecht derweil weniger gut an. Im MDR-Bericht zeigten sich Parteimitglieder "ernüchtert" über die Zusammenarbeit, trotz eigentlich guter Koalitionsverhandlungen.

Die Einmischungen erzeugten eine "Unsicherheit" in Thüringen, sagte beispielsweise das SPD-Mitglied Gloria Pinetzki aus Erfurt. "Eine Unsicherheit, die sich dann durch die nächsten fünf Jahre tragen kann, wenn das jetzt nicht nur mal einmalig war. Und ich wüsste nicht, wieso das einmalig sein soll."

Scheitern in Sachsen nicht ausgeschlossen

In Sachsen laufen die Gespräche von CDU, SPD und BSW bislang schleppend. Das sächsische BSW hatte die Thüringer Einigung zuletzt ebenfalls kritisiert. Man werde sich "für eine klare Formulierung in der Friedensfrage einsetzen", hieß es in einer Mitteilung. CDU und SPD würden sich dort voraussichtlich am Thüringer Kompromiss orientieren, meint Politikwissenschaftleer Lembcke. "Wagenknecht wird aber kaum eine zweite Niederlage in Folge hinnehmen. Deswegen ist ein Scheitern dort keineswegs ausgeschlossen."

dpa/MDR (dst)

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