Regierungsbildung Die Schlüsselrolle des Präsidenten
Neuwahlen oder Minderheitsregierung? Diese Entscheidung muss womöglich Bundespräsident Steinmeier treffen. Damit ist er für die Regierungsbildung wichtiger als alle seine Vorgänger. Doch das Staatsoberhaupt will seinen Einfluss anders nutzen.
Nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik hatte der Bundespräsident eine wichtigere Rolle bei der Regierungsbildung als nun nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungsgespräche. Denn letztlich kann nur er die Entscheidung über Neuwahlen treffen oder einer Minderheitsregierung ins Amt verhelfen.
Alle Vorschläge der Bundespräsidenten hatten Erfolg
Im Normalfall kommt dem Staatsoberhaupt bei der Regierungsbildung eher eine formale Aufgabe zu. Allein er darf laut Grundgesetz dem Bundestag nach der Wahl einen Kandidaten oder eine Kandidatin für die Kanzlerwahl vorschlagen. Dabei ist er an keinerlei Frist gebunden. Nach allen bisherigen Bundestagswahlen wartete der Bundespräsident daher auch den erfolgreichen Abschluss der Koalitionsverhandlungen ab und schlug auf dieser Grundlage den Kandidaten des größten Koalitionspartners für die Kanzlerwahl vor. In allen Fällen erhielt dieser im ersten Wahlgang die erforderliche absolute Mehrheit.
Bundespräsident Steinmeier rückt nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen ins Zentrum der Regierungsbildung.
Grundsätzlich steht es dem Bundespräsidenten frei, jeden beliebigen Kandidaten für die Kanzlerwahl vorzuschlagen. Seine Wahl muss also keineswegs auf CDU-Chefin Angela Merkel fallen. Doch wenn sein Vorschlag nicht die notwendige Mehrheit erreicht, kann der Bundestag in den folgenden 14 Tagen nach Belieben weitere Wahlgänge mit eigenen Kandidaten ansetzen.
Schwierige Entscheidung des Bundespräsidenten
Kommt bei all diesen Versuchen keine absolute Mehrheit zustande, folgt umgehend ein weiterer Wahlgang. Kommt der Kanzlerkandidat auch dabei nur auf eine relative Mehrheit, schreibt das Grundgesetz dem Bundespräsidenten eine wichtige Entscheidung zu: Entweder er muss den Gewählten innerhalb von sieben Tagen zum Bundeskanzler ernennen - dann als Chef einer Minderheitsregierung. Oder er kann den Bundestag auflösen, sodass es binnen 60 Tagen zu vorgezogenen Neuwahlen kommen muss.
Vor dieser Entscheidung stand noch kein Bundespräsident. Frank-Walter Steinmeier wird sie aber voraussichtlich treffen müssen, falls die Parteien ihre Positionen nicht aufgeben. Nicht nur deswegen kommt ihm in der aktuellen Situation eine Schlüsselrolle zu.
Steinmeier setzt auf Gespräche
Denn jenseits dieser Aufgaben, die ihm die Verfassung zuschreibt, kann der Bundespräsident auch andere Möglichkeiten nutzen, um die Regierungsbildung zu beeinflussen. Steinmeier kündigte nach dem Scheitern der Sondierungsgespräche an, mit den Vorsitzenden aller beteiligten Parteien sprechen zu wollen - und mit den Vorsitzenden jener Parteien im Bundestag, deren inhaltliche Schnittmengen eine Regierungsbeteiligung möglich erscheinen lassen. Dies dürfte insbesondere für die SPD gelten - Steinmeiers eigene Partei, die sich ausdrücklich auf die Oppositionsrolle festgelegt hat.
Steinmeier will auch seine informellen Möglichkeiten jenseits der Kompetenzen nutzen, die ihm das Grundgesetz verleiht.
Er kann allerdings keine Partei zur Regierungsbeteiligung und damit zur erfolgreichen Regierungsbildung zwingen. Umgekehrt kann ihn aber auch niemand zwingen, den Weg zu Neuwahlen zu ebnen.