Interview

BER-Flughafen-Desaster "In der Krise wird der Kapitän nicht ausgetauscht"

Stand: 08.01.2013 18:01 Uhr

Nach dem erneut verschobenen Eröffnungstermin für den Flughafen Berlin-Brandenburg herrscht Aufregung. Rücktritte werden gefordert. Doch Krisenforscher Frank Roselieb rät davon ab, "Leute rauszuwerfen oder Posten hin-und-herzuschieben". Im Interview mit tagesschau.de schlägt er stattdessen einen Mediator vor.

tagesschau.de: Wie bewerten Sie die aktuelle Situation am Flughafen BER?

Frank Roselieb: Das ist eine klassische Projektkrise. Man hat lange versucht, eine schleichende Fehlentwicklung mit wenig Aufwand und möglichst geräuschlos zu beseitigen. Ein Weg, der in der Vergangenheit selten erfolgreich war. Stattdessen sollten die Beteiligten nun mit dem nötigen Tiefgang analysieren: Was ist eigentlich schief gelaufen? Hierbei machen die Verantwortlichen regelmäßig den Fehler, an Symptomen herumzudoktern, statt die wirklichen Ursachen zu analysieren: Man kümmert sich um den fehlerhafter Brandschutz und sucht nicht nach den eigentlichen Fehlern in der Projektsteuerung. Auch auf operativer Ebene läuft einiges schief. Es fehlen sowohl ein glaubwürdiger Meilenstein-Plan als auch ein Kopf an der Spitze, den man mit kritischen Fragen löchern kann, ohne ihn direkt "zu hängen". In der öffentlichen Wahrnehmung will Berlin sein eigenes Ding machen und nicht nach Bayern schauen, wo man in der Vergangenheit immerhin erfolgreich einen Flughafen auf die grüne Wiese gesetzt hat.

Zur Person

Frank Roselieb leitet das Institut für Krisenforschung in Kiel und beschäftigt sich unter anderem mit der Kommunikation im Krisenmanagement von Großprojekten. Er ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Krisenmanagement.

tagesschau.de: Und was raten Sie den BER-Verantwortlichen?

Roselieb: Auf jeden Fall nicht, Leute rauszuwerfen oder Posten hin-und-her-zu-schieben. Da gilt der alte Grundsatz: In der Krise wird der Kapitän nicht ausgetauscht. Man lässt ihn erst einmal weitermachen, denn er kennt das Schiff immer noch am besten. Man gibt ihm aber einen Sparringspartner an die Hand, um den Havaristen wieder flott zu machen.

tagesschau.de: Es gibt mit dem Bund noch einen weiteren Bauherren. Doch der verhält sich weitgehend ruhig. Warum?

Roselieb: Das entspricht dem klassischen Merkel-Prinzip bei der Krisenbewältigung: Sie hält sich zunächst zurück, lässt die Protagonisten selbst nach einer Lösung suchen und tritt erst wieder auf den Plan, wenn der Erfolg absehbar ist. Spätestens bei der Einweihung ist sie sicher wieder in der ersten Reihe dabei. In der Wahrnehmung der Öffentlichkeit bleibt der Eindruck zurück, als hätten sich zwei kleine Ministerpräsidenten als Baumeister versucht und dabei ziemlich viele Fehler gemacht. Letztlich haben die beiden dieses desaströse Bild aber selbst zu verantworten. Wenn die Ministerpräsidenten schon jetzt jede halbe Einweihung feiern wollen, dann dürfen sie sich nicht wundern, dass sie nun auch die ganze Schelte abbekommen.

tagesschau.de: Was könnte der Bund denn machen?

Roselieb: Bei anderen Projekten wurde ein Mediator gestellt. Heiner Geißler bei "Stuttgart 21" zum Beispiel. Wenn man sich die großen Flughafen-Projekte anschaut, fände sich da bestimmt jemand. Hier wäre der Bund gefragt.

"Der BER bräuchte eine neue Steuerungsinstanz"

tagesschau.de: In Großprojekten wie dem BER sind Politiker als Aufsichtsrat in der Verantwortung. Können die das? Sind hier die richtigen Personen im Aufsichtsrat?

Roselieb: Politiker im Aufsichtsrat machen durchaus Sinn, aber in einer anderen Rolle. Sie sollten darauf achten, dass mit Steuergeldern vernünftig umgegangen wird und dass die Ausschreibungen fair durchgeführt werden. Aber die operative Steuerung des Bauprojekts - beispielsweise die nötige Länge der Transportbänder oder die Einhaltung der Brandschutzvorgaben - hätte man einer Zwischeninstanz überlassen müssen. Eine solche Steuerungsinstanz aus Architekten, Sachverständigen und Bauingenieuren würde der Geschäftsführung konsequent auf die Finger schauen und dem Aufsichtsrat fachkundig berichten. Das fehlte bei diesem Projekt offenkundig.

tagesschau.de: Also gibt es beim BER auch strukturelle Fehler?

Roselieb: Gemessen am desaströsen Ergebnis ja.

tagesschau.de: Welche Faktoren sind für die längere Bauzeit und die höheren Kosten verantwortlich?

Roselieb: Bei Großprojekten werden normalerweise Zeitpuffer eingeplant. Mit Blick auf andere Projektkrisen haben wir uns von Anfang an gewundert, mit welchem ambitionierten Zeitplan der Flughafen BER gebaut werden sollten. Das hätte zwar funktionieren können, aber nur, wenn absolut nichts schief gegangen wäre. Hier hat vermutlich der politische Wille einer schnellen Fertigstellung bis zur Bundestagswahl vor der Vernunft einer soliden Zeitplanung gesiegt. Eigentlich sind Bauunternehmen in der Pflicht, unrealistische Zeitpläne dem Bauherren zurückzugeben. Wahrscheinlich wollten sie aber ein solches Prestigeprojekt nicht aus der Hand geben. Nach dem Motto: "Augen zu und durch."

"Auch Hessen und Bayern haben einen Flughafen gebaut"

tagesschau.de: Mit Blick auf die aktuelle Lage: Sind die Bundesländer mit solchen Megaprojekten überfordert?

Roselieb: Eigentlich nicht, denn Hessen und Bayern haben auch Großflughäfen auf die grüne Wiese gebaut oder diese erweitert. Im Kern soll ein Bundesland bei einem solchen Bauprojekt lediglich für die Rahmenbedingungen sorgen, wie etwa die Koordination der öffentlichen Verkehrswege oder die Bauleitplanung. Im schlimmsten Fall kann ein Bundesland auch mediativ tätig werden. Mehr aber nicht. Mit Blick auf den BER scheinen sich die beiden Ministerpräsidenten zu sehr als die glamourösen Macher verstanden zu haben und nicht als die Figuren am Rande der Geschehens, die für den funktionierenden Rahmen zu sorgen haben und als Dank für die stille Hilfe bei der Eröffnung das rote Band durchschneiden dürfen.

tagesschau.de: Es liegt also nicht an der Beteiligung der Bundesländer, sondern an den handelnden Personen.

Roselieb: Letztlich sind alle Krisenfälle "man-made". Das gilt auch für Großprojekte.

"Mitte 2014 könnte der Flughafen öffnen"

tagesschau.de: Wann, glauben Sie, kann der BER tatsächlich eröffnet werden?

Roselieb: Aus der Krisenforschung wissen wir, dass die Öffentlichkeit in der Regel bestenfalls ein Bruchteil der wirklichen Probleme kennt. Ähnlich einem Eisberg dürften auch bei BER sechs Siebtel noch unter der Oberfläche verborgen sind. Bei ähnlichen Projektkrisen war eine Verdopplung der ursprünglich geplanten Zeit nicht unrealistisch.

tagesschau.de: Dann dauert es ja noch etwas...

Roselieb: Mitte 2014 könnte es vielleicht etwas werden. Dann sind wir rund zwei Jahre über dem Termin. Bildlich gesprochen hängt es aber vom Klimawandel in der Projektorganisation ab, wann der Eisberg schmilzt.

tagesschau.de: Aber der Preis ist aus dem Ruder gelaufen.

Roselieb: In einer akuten Projektkrise hat man letztlich zwei Möglichkeiten: Leidenschaft wecken, oder Leidensdruck erzeugen. In einigen Monaten wird man die Öffentlichkeit vor die Wahl stellen, entweder drei Milliarden in den Sand zu setzen oder eine weitere Milliarde hinterher zu schießen. Der Steuerzahler wird zähneknirschend sagen: "Komm, nimm das Geld." Andererseits glaube ich nicht, dass die Möglichkeit besteht, noch Leidenschaft zu wecken. Ein Flughafen ist nun einmal nicht so schick wie eine Elbphilharmonie. Deshalb wird es auf Leidensdruck hinauslaufen. Geld spielt dann keine Rolle mehr.

tagesschau.de: Halten Sie es denn für möglich, dass der BER eine ähnliche Karriere machen wird wie die Oper in Sydney, die viel mehr Geld gekostet hat als geplant, mittlerweile aber als Wahrzeichen geliebt wird?

Roselieb: Das glaube ich, ehrlich gesagt, nicht. Bei der Oper in Sydney konnte man nachher sagen, dass sich das Warten wirklich gelohnt hat. Bei einem Flughafen irgendwo in Brandenburg sind ähnliche Emotionen nicht zu erwarten - Hauptstadt hin oder her.

Das Interview führte Florian Pretz, tagesschau.de